Wie der Weltkatechismus und drei österreichische Dogmatiker die zentrale dogmatische Frage nach dem Sinn des Todes Jesu beantworten - "Kathpress"-Hintergrundbericht von Robert Mitscha-Eibl

Warum musste Jesus leiden und sterben? Welchen "Plan" verfolgte Gott mit dem tragischen Märtyrerschicksal seines menschgewordenen Sohnes? Diese Fragen rund um die Ereignisse am Karfreitag vor knapp 2.000 Jahren und deren Deutung beschäftigen nicht nur Glaubensskeptiker, sondern auch tiefgläubige Kirchenangehörige.

Modernen Zeitgenossen mag das traditionelle Verständnis eines stellvertretenden Sühnetodes Jesu als anrüchig und archaischer Religiosität verpflichtet erscheinen. Dagegen heißt es lehramtlich offiziell im Weltkatechismus: "Um alle Menschen, die aufgrund der Sünde dem Tod verfallen waren, mit sich zu versöhnen, hat Gott die liebevolle Initiative ergriffen, seinen Sohn zu senden, damit dieser sich für die Sünder dem Tod überliefere".

Und weiter antwortet der Katechismus: Jesus hat "unsere Sünden durch den vollkommenen Gehorsam seiner Liebe bis zum Tod wieder gut gemacht". Das "österliche Opfer Christi" erlöse die Menschen auf einmalige, vollkommene und endgültige Weise und "erschließt ihnen die Gemeinschaft mit Gott".

Bei dieser lehramtlichen Kreuzestheologie stellt sich freilich die Frage: Wer bestimmt die "Spielregeln" für dieses - um es salopp zu sagen - "Tauschgeschäft"? "Kathpress" bat die österreichischen Theologen Jozef Niewiadomski (Innsbruck), Bernhard Körner (Graz) und Franz Gruber (Linz) um eine Antwort:

 
Niewiadomski: "Hingabe statt Sühnetod"

Prof. Niewiadomski stellt einen brandaktuellen Bezug zur jüngsten Katastrophe von Fukushima her, um die heute noch vorfindliche "Logik einer rational kalkulierten Opferung von Menschenleben" zu veranschaulichen. Von der Logik des Jerusalemer Hohepriesters Kajaphas angesichts der "Gotteslästerung" Jesu ("Es ist besser, dass EIN Mensch stirbt...") gebe es eine Verbindung zur Logik der in der japanischen AKW-Ruine tätigen Arbeiter: "Es sei doch besser, dass ein paar Männer verstrahlt und dem sicheren Tod ausgesetzt werden, als dass Hunderttausende, wenn gar nicht Millionen von Menschen zu Opfer der atomaren Katastrophe werden!"

Wie Kajaphas hätten viele theologische Ansätze Jesu Schicksal im Sinn dieser Logik als "Sühnetod" und die "Erlösung" gemäß dem Phänomen des "Sündenbocks" erklärt, so Niewiadomski. Unsere Zeit sei jedoch gegen solche Interpretationsmodelle "geradezu allergisch geworden", räumt der Theologe ein. Er weist darauf hin, dass im kurzen Prozess am Karfreitag Kajaphas ein klarer Gegner Jesu blieb: Dieser sei "mit der Sündenbocklogik, der Kajaphas in seinem Denken verpflichtet ist, keineswegs einverstanden. Im Gegenteil: Nichts erregt seinen Zorn so sehr, wie die Opferungen und Ausgrenzungen von Menschen." Jesu biete daher zum "Tauschgeschäft" eine Alternative: "Anstelle der Opferung Hingabe". Dies entspreche den "Spielregeln Gottes" eher als die Rede vom Sühnetod.

Laut Niewiadomski "gibt es keinen Plan Gottes, der den Menschen ein Opferdasein auferlegt". Um Menschen zu Opfern zu machen, brauche es keinen Gott: "Wir selber und die Folgen unseres Handelns reichen da vollständig aus." Gottes "Amour fou" zum Menschen und seine Identifizierung Gottes mit ihm reiche "bis hin zur Menschwerdung seines Sohnes und zum Risiko, dass der Menschgewordene selber zum Opfer und zum Sündenbock, zur Schachfigur 'im Spiel eines Kajaphas' wird". Als "Liebhaber des Lebens" begleite Gott uns bis in die tiefsten Abgründe. "Damit der Tod nicht das letzte Wort hat."

 
Körner: "Die letzte Konsquenz ist das Kreuz"

Prof. Bernhard Körner führt eine hohe Autorität ins Treffen, um die Vorstellung, ein "unerbittlicher Gott" erwarte "das größte Opfer für die größte Schuld" zurechtzurücken: Dieses Bild habe schon 1967 der damalige Theologieprofessor Joseph Ratzinger entschieden zurückgewiesen. Dennoch: Es "geistert immer noch und immer wieder durch die Kirchen - zur Freude mancher Kritiker, die darin einen Beleg für die Unmenschlichkeit des christlichen Gottesglaubens zu erkennen meinen".

Was also ist auf Golgotha geschehen? Die Auseinandersetzung zwischen Jesus und der religiösen Obrigkeit seines Volkes habe sich laut Körner sich derart zugespitzt, dass man beschloss, ihm wegen Gotteslästerung den Prozess zu machen.

Den Evangelien sei aber auch zu entnehmen, dass schon Jesus seinem Tod offensichtlich eine Bedeutung gab: Sein Sterben als ein Sterben "für" die Menschen und für die Vergebung ihrer Schuld, verdeutlicht in den Abendmahlsworten: "... mein Leib, der für euch hingegeben wird ... mein Blut, das für euch vergossen wird". Jesus und seine Überlieferer griffen dabei - wie Körner erinnerte - auf die Glaubensüberlieferung Israels zurück, vor allem auf Texte beim Propheten Jesaja: Jesus ist das Lamm, das sich für die Sünden der Menschen geopfert hat, und der Gottesknecht, der sein Leben für unsere Vergehen und zu unserem Heil gegeben hat.

Für den Grazer Dogmatiker könnten die beiden Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme Ausgangspunkte sein, um das Kreuz Jesu zu verstehen: "So wie im Gleichnis die Frau das ganze Haus auf den Kopf stellt, um ihr verlorenes Geldstück wieder zu finden, so tut auch Gott das Äußerste, um uns Menschen zu finden und aus unserer Gottferne und unserer Schuld zurück in die Gemeinschaft mit ihm zu bringen." In Jesus gehe Gott uns Menschen nach, ohne sich zu schonen. "Die letzte Konsequenz ist das Kreuz."

 
Gruber: "Ausdruck menschlicher, nicht göttlicher Gewalt"

Jesu Tod war "ein Justizmord, ein Märtyrertod", erklärt der Linzer Dogmatiker Prof. Franz Gruber. "Also ist der Tod Jesu vor allem anderen Ausdruck menschlicher, nicht göttlicher Gewalt." Die Rede vom Heils-, Opfer- oder Sühnetod Jesu sei für viele Menschen heute ein "schwer zu verstehendes, wenn nicht überhaupt ein skandalöses religiöses Gedankengut". Es habe das biblische Bild Jesu von einem Gott der Liebe und nicht der Gewalt und Rache "verdunkelt" und auch "eine falsch verstandene Aufopferung gepredigt".

In den antiken Religionen waren Tieropfer notwendig, um die durch Schuld entehrte Gottheit oder göttliche Ordnung wieder herzustellen, laut Gruber "also der genau umgekehrte Vorgang zur Deutung des Todes Jesu". Die Opfertheologie des Judentums greife tiefer durch die Erkenntnis: Das eigentlich Fatale der Schulderfahrung ist die Zerstörung der Zukunft, die kein Tieropfer verhindern kann. Nicht das Opfer bringt darum Versöhnung, sondern Gott allein schenkt sie frei und gnadenhaft.

Im Licht der Auferstehung Jesu habe die Urkirche erkannt, dass sich im Tod Jesu sein ganzes Leben wie in einem Punkt bündelt: Nicht nur seine Botschaft, seine Wunder, seine Mähler usw. seien heilend, sondern auch sein Tod. "Weil sein 'Lebensopfer' die Gewalt, die ihm widerfährt, auslaufen lässt", so Gruber. Nicht der Tod Jesu als solcher - "denn es gibt unzähligere und schlimmere Tode" - sei einzigartig, sondern sein Ausgang: Jesus sei nicht im Tod geblieben, sondern ins verwandelte Leben auferstanden.

Hier liegt laut dem Linzer Theologen die christliche Antwort auf die Frage: Wie ist Leben möglich, wenn die Gemeinsamkeit durch Schuld zerstört ist? Nämlich: Durch Versöhnung und Verzeihung. In der Urkirche hatte dieser Glaube noch eine "heute fast unvorstellbare sozialpolitische Konkretheit", wies Gruber hin: absoluter Verzicht auf Gewalt, keine Wiederholung des "Opfer-Mechanismus".

Gruber nennt dazu ein anschauliches Beispiel für heute gelebte Versöhnung: Im Rahmen der Wahrheitskommission in Südafrika trat die Schuld eines weißen Polizisten am Tod mehrerer Schwarzer zutage. Mit seinem Schuldeingeständnis machte sich der Täter zum Ausgeschlossenen in seinem eigenen Lebensumfeld. Er wäre "vor die Hunde gegangen, hätte ihn nicht eben jene Familie zu sich aufgenommen, gegen die er während der Apartheit diese Verbrechen begangen hatte", berichtet Gruber. Sie habe ihm eine neue Zukunft gegeben.

Solches Handeln wirkt wie eine Konkretisierung eines Wortes von Paul Claudel, das als Randnotiz Aufnahme in den "YouCat" fand: "Gott ist nicht gekommen, das Leiden zu unterbinden. Er ist nicht einmal gekommen, es zu erklären, sondern er ist gekommen, es mit seiner Gegenwart zu füllen."

Quelle: kathpress.at, Bild: Matthias Grünewald, Kreuzigungsgruppe. Isenheimer Altar (1506-1515), Musée d'Unterlinden, Colmar)