"Von Erlösung reden" - Kurzzusammenfassung der Tagung
"The boy who lived" - Theologie und Populärliteratur I
"Entscheidungen, nicht Fähigkeiten" - Theologie und Populärliteratur II
Statement: Edgar Ferchl-Blum: "Zeuge sein für die offene Tür"
Statement: Juliana Meier "Du bist nicht allein"

 

"Wovon möchtest du erlöst werden?" - Am Ende des Lebens oder in tödlicher Krankheit stellen sich existentielle Fragen. Grundfragen tun sich auf, wenn man am Krankenbett steht - oder im Sterbebett liegt. Grundfragen, die zumeist weiter ausgreifen als "nur" auf die akute Krankheit, die aktuelle Lebensbedrohung. Mancher Mensch wird an der Grenze zum drüben wohl auch fragen: "Wohin gehe ich?"

Existentielle Fragen stellen sich aber nicht nur Sterbende. Beinahe jede Krankheit bedroht Aktionsradius und Schaffenskraft und verschlägt manchem Angehörigen die Sprache. An der Grenze zum Verstummen nähern sich - etwa in den Krankhäusern und Pflegeheimen - Seelsorger/innen dem Geschehen. Sie wollen an dieser Grenze der grundlegenden menschlichen Sehnsucht nach Heil und Heilung Ausdruck verleihen.

 
"Von Erlösung reden - an der Grenze zum Verstummen"

KH-Seelsorge-Tagung Arbogast März 2011 - 2Zu eben diesem Thema kamen vor Kurzem rund 85 Krankenhaus- und Pflegeheim-Seelsorger/innen aus ganz Österreich sowie Südtirol nach St. Arbogast. In der Spannung zwischen biblischer Tradition, Theologie und Alltagserfahrung der Seelsorger/innen war die bewegende Frage: Wie kommen in der seelsorglichen Begegnung die Not des Kranken und die christliche Erlösungs-Hoffnung in Berührung miteinander, so dass daraus Kraft und Zuversicht erwachsen?

Im ersten Teil der Tagung sprach Univ.-Prof. Jürgen Werbick, international renommierter Fundamentaltheologe in Münster, über eine Theologie, "die an der Grenze zum Schweigen nicht geschwätzig werden darf, wenn sie mit den elementarsten und abgründigsten Klagen und Fragen konfrontiert ist." Gleichzeitig gelte es, so Prof. Werbick, der theologischen Sprachverantwortung aber auch möglichst wenig schuldig zu bleiben.

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"The boy who lived"

Wandinger Nikolaus Potter 1Auf seine Weise noch näher dem Medienzeitalter, präsentierte Ass.-Prof. Nikolaus Wandinger von der Universität Innsbruck seinen theologischen Blick auf die existentiellen Fragen des Lebens. Und dies anhand populärer Literatur, um nicht zu sagen: anhand der  der vielleicht meistgelesenen Romanreihe der letzten Jahre: Harry Potter. Auch für  Populärliteratur gelte nämlich das Qualitätskriterium, ob sie die wirklichen, elementaren Fragen des Lebens stelle, so Wandinger. "The boy who lived - Ein Junge überlebt" lautet also der Titel des ersten Kapitels im ersten Band der Reihe und ist programmatisch für die ganze Geschichte, die folgen sollte. Nur er, Harry Potter, hat als einjähriges Kind den tödlichen Zauberfluch des verbrecherischsten Zauberer der Geschichte - Lord Voldemort - überlebt, und diesen gleichzeitig beinahe vernichtet. Überlebt hat Harry den tödlichen Fluch nur durch die vorangegangene Hingabe seiner Mutter Lily. Die Liebe, mit der sie ihren Sohn schützen wollte, ist eine Macht, die selbst Voldemort nicht überwinden kann.

Harry Potter, der Erlöser der Zaubererwelt vor dem bösen Lord Voldemort? Nein, nicht einfachhin, so Nikolaus Wandinger, übrigens schon gar nicht im christologisch-transzendenten Sinn, höchstens in anthropologisch-ethischer Hinsicht. Aber gerade an dem Jungen Harry Potter, den die Leser/innen in den Romanen vom 11. bis zum 18. Lebensjahr begleiten dürfen, wird in seiner Verwaisung, Verletzlichkeit, Rebellion gegen Regeln, aber auch durch seine Furchtlosigkeit, Freundschaft und Treue eines klar: Erlösung, Vergebung, Versöhnung brauchen alle, auch die Zauberer. Reue ist es auch, zu dem Harry seinen Widersacher Voldemort im finalen Kampf vergeblich aufruft, bevor dieser sich im Tötungsversuch an Harry selbst vernichtet. Wirkliche Reue ist es auch, die den so unbeliebt erscheinenden Professor Severus Snape zum Doppelagenten und Vertrauten Dumbledores, des väterlichen Freundes von Harry und Leiter der Zauberschule Hogwarts, werden lässt.

 
"Entscheidungen, nicht Fähigkeiten"

Wandinger Nikolaus Potter 2Der theologische Blick auf Harry Potter bleibt bei Wandinger gleich an einem äußeren Unterscheidungsmerkmal Harry Potters hängen: seiner Narbe. Diese Verletzung, Resultat des einstigen Tötungsversuch Voldemorts, zeichnet ihn buchstäblich aus und markiert Harry Potter auch sozial. Denn der junge Held hat längst nicht nur Freunde unter den Zauberern. Mehr noch: Die Narbe schmerzt bei jedem geistigen Kontakt zu Voldemort unerträglich und macht Harry mehr als einmal aktionsunfähig. Dennoch ist Harry dieser Verbindung zum Geist Voldemorts nicht ausgeliefert: "Es sind nicht unsere Fähigkeiten, die zeigen, wer wir wirklich sind, sondern unsere Entscheidungen." Und in eben diesen unterscheidet sich Harry fundamental von Voldemort. Harry tötet nie, Voldemort hat mit jedem Mord einen Teil seiner Seele abgespalten.

Überhaupt spielt der Tod eine wichtige Rolle in den Potter-Romanen, auch wenn die Frage nach einem Leben nach dem Tod nur an einigen ganz wenigen Stellen in den Romanen aufblitzt - und nie beantwortet wird. Alles Interesse Voldemorts und seiner dunklen Gefolgsleute, den "Tod-Essern", gilt der Suche nach Unsterblichkeit. In ihrer Selbstüberheblichkeit bringen sie sich aber letztlich selbst zu Fall. Eine Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte und die Ursünde: sein wollen wie Gott.

Linktipps
Artikel von Dr. Nikolaus Wandinger zu den Harry-Potter-Romanen finden Sie im "Innsbrucker Theologischen Leseraum"
_ Harry Potter - Eine moderne Heilsgeschichte? (Vortrag für das KBW Bregenz)
_ "Sacrifice" in 'Harry Potter' form a Girardian Perspective
_ Harry Potter and the Art of Theology Revisited
_ Harry Potter and the Art of Theology 1

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Statements von Teilnehmer/innen zur Tagung

Edgar Ferchl-Blum: "Zeuge sein für die offene Tür"

Ferchl-Blum Edgar"Oft schreit die Not der Menschen im Krankenhaus zum Himmel. Manchmal wird mir diese Not mitgeteilt. Mich macht sie sprachlos. Gemeinsam diese Sprachlosigkeit aushalten und dann - wieder gemeinsam - nach Worten und Gesten der Hoffnung suchen. 'Du hast mir geholfen in meiner Bedrängnis, erbarme dich meiner und erhöre mein Beten', so sprechen wir in Psalm 4. Schuld ansprechen und sie vor Gott legen; Verzweiflung aussprechen und sie vor Gott legen;  Hoffnung stammeln und sie vor Gott legen - und so die fast verschlossene Tür öffnen. Das ist mir wichtig geworden: Zeuge sein für die offene Tür."

Mag. Edgar Ferchl-Blum ist Krankenhaus-Seelsorger am Landeskrankenhaus Rankweil

 
Juliana Meier: "Du bist nicht allein"

Meier Juliana"Die KH-Seelsorgetagung bot mir eine gute Möglichkeit, den christlichen Erlösungsgedanken zu vertiefen, aber auch zu hinterfragen. Gerade in Situationen des Leids und des Todes - mit denen ich als Seelsorgerin immer wieder konfrontiert bin - ist die Botschaft der Erlösung (durch Gott) eine durchaus heikle. Wie kann ich von dieser Grundüberzeugung sprechen und sie als Botschaft der Hoffnung weitergeben ohne damit die Schwere der Situation und die damit verbundenen Gefühle gering achten?
Prof. Jürgen Werbick sprach von der Notwendigkeit einer Bildsprache. Wenn eigene Worte fehlen, dann darf ich mir Worte 'leihen'. Worte und Sätze, die ich nicht erst formulieren muss, sondern die eben solche Grenzsituationen und die mögliche Hoffnung auf Überwindung dieser Grenzen zum Ausdruck bringen. Das Gebet ist dabei, ebenso wie Geschichten - und seien sie aus der populären Literatur - ein wichtiges Medium.
Ein Gedanke, der mich weiterdenken lässt, ist die Notwendigkeit, Erlösung vor allem als Einladung zu sehen, Gottes bedingungslos Liebe anzunehmen. Eine Liebe, die gerade dort sichtbar werden kann, wo Menschen in ihrem Leid und ihrer Not ernst genommen werden. Wo wir versuchen, das unsagbar Schwere auszuhalten, mitzugehen und die Kranken und Sterbenden erfahren zu lassen: 'Du bist nicht allein'.
KH-Seelsorge-Tagung Arbogast März 2011 - 1Das Treffen mit Kolleg/innen aus ganz Österreich tat gut. Erfahrungen auszutauschen, Fragen und Probleme zu erörtern und zu wissen, dass es diese Überzeugung der Erlösung ist, die uns letztlich trägt und stärkt, lässt mich zuversichtlich sein, dass die Botschaft vom Reich Gottes heute ebenso aktuell ist wie in den letzten zweitausend Jahren."

MMag. Juliana Meier ist Klinikseelsorgerin in Innsbruck und war für das Referat für Krankenhausseelsorge der Diözese Innsbruck eine der Hauptorganisator/innen der diesjährigen Österreich-Tagung in St. Arbogast. Für Vorarlberg war Dr. Peter Rädler (Bild oben) für die Tagung verantwortlich.

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