Im Rahmen einer Volksabstimmung tat die Schweizer Bevölkerung ihre Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen kund. Für die Initiatoren ist das Ergebnis ein großer Erfolg.

Das mit 77 zu 23 Prozent eindeutig ausgefallene Votum der Schweizer gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist für die Initiatoren dennoch mehr Sieg als Niederlage. Denn die Volksabstimmung am Sonntag sei weit über die Schweiz hinaus ein Anstoß, sich vertieft den mit dem BGE verbundenen gesellschafts-, wirtschafts- und demokratiepolitischen Fragen auseinanderzusetzen, und insofern ein Erfolg: Das war der Tenor einer Pressekonferenz am Montag in der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), die als langjährige Impulsgeberin zu dieser Debatte Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum zur Bewertung des Plebiszits eingeladen hatte.

Stefan Keller, CSR-Manager, Ex-Politiker und Auslandsschweizer in Österreich, berichtete davon, dass die Initiatoren der Volksabstimmung in seinem Heimatland nach ihrem "Riesenerfolg" ein Fest feierten. Immerhin habe sich knapp ein Viertel jener, die ihre Stimme abgaben, für die Argumente der BGE-Befürworter erwärmen können, obwohl Parteien und Gewerkschaften zurückhaltend bis explizit ablehnend auftraten.

In der Schweiz seien die Hürden für einer derartige Initiative sehr hoch, wies Keller hin: 100.000 Unterschriften seien erforderlich, um eine Volksabstimmung auf Schiene zu bringen, dass dies deutlich gelang, sei ein weiterer Beleg für die wachsende Bedeutung der Zivilgesellschaft gegenüber etablierten staatlichen Institutionen.

Keller rechnet mit weiteren Anläufen in der Schweiz. Auch bei Themen wie dem Wahlrecht der Frauen habe es mehrerer Anläufe bedurft, bis ein Anliegen die Akzeptanz der Bevölkerungsmehrheit fand. "In drei Jahren werden es vielleicht schon 40 Prozent sein, die ein Grundeinkommen befürworten - oder gar 51 Prozent", zeigte sich der Schweizer optimistisch.

Schub durch "Maschinensteuer"-Debatte

Von "Rückenwind" auch für die österreichische Debatte über das BGE sprach Margit Appel, Politikwissenschaftlerin in der ksoe und Mitarbeiterin im "Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt - B.I.E.N. Austria". Dass Bundeskanzler Christian Kern jüngst Arbeitszeitverkürzung und "Maschinensteuer" in Diskussion brachte, "verträgt sich gut mit einer BGE-Debatte". Dass das Interesse in Österreich enorm ist, zeigte laut Appel die Podiumsdiskussion "Bedingungsloses Grundeinkommen - ökosozial oder fatal?", die im Hinblick auf die Schweizer Abstimmung vergangene Woche an der WU Wien stattfand: Nach 650 Anmeldungen für die Veranstaltung habe ein Limit gesetzt werden müssen, weitere 200 Interessierte blieben außen vor.

Freilich gebe es auch gesellschaftliche Entwicklungen wie Re-Nationalisierung oder Spaltungstendenzen, die man als "Gegenwind" zum BGE sehen kann, gestand die ksoe-Expertin zu. "B.I.E.N. Austria" werde sich Strategien überlegen müssen, wie Überzeugungsarbeit geleistet werden kann, dass "rückwärtsgewandte" Problemlösungsansätze in die Sackgasse führen. Es gelte das BGE gerade auch für jene plausibel darzulegen, die sich gesellschaftlich benachteiligt bzw. ausgeschlossen fühlten.

Appel erinnerte an die für ein Grundeinkommen notwendigen Kriterien: Es müsse existenzsichernd sein - sie nannte mindestens 60 Prozent des Median-Einkommens, für Österreich also rund 1.000 Euro -, weiters müssten alle Anspruch darauf haben, unabhängig von erbrachten Einzahlungen in das Sozialsystem oder auch von Leistungsbereitschaft. Laut Appel ist das BGE auch unter dem Aspekt der Menschenrechte bzw. Menschenwürde zu diskutieren, nicht nur unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das habe sie zuletzt in der Schweiz vermisst.

Impuls auch für demokratische Kultur

Ronald Blaschke vom "B.I.E.N. Deutschland" berichtete, dass die Schweizer Volksabstimmung in Deutschland eine Unzahl an Medienberichten und öffentlichen Debatten auslöste. Innerhalb von nur vier Wochen hätten 100.000 Bürger dafür unterschrieben, dass solche Abstimmungen auch in Deutschland durchgeführt werden können - was derzeit unmöglich sei. Mit dem BGE seien somit demokratiepolitische Impulse verbunden, ebenso die anstehenden Auseinandersetzungen mit der notwendigen ökologischen Wende in der Wirtschaft, mit der zeitgemäßen Definition von Arbeit auch jenseits von Erwerbstätigkeit oder mit Fragen rund um "Zeitsouveränität" mit dem Fokus auf Bedürfnisse des Menschen statt auf jenen des Marktes.

Zum geplanten Pilotprojekt in Finnland, das zeigen soll, ob ein BGE zu einem schlankeren Staat und besserer Arbeitsmarkt-Partizipation führen könnte, äußerte sich Blaschke zurückhaltend. Wie dieses Experiment ausgestaltet sein wird, sei noch offen, wichtig sei jedenfalls eine entsprechende demokratische Begleitung. Auf die Journalistenfrage, wann eine BGE-Einführung realistisch sei, antwortete der auf Europaebene engagierte Experte lapidar: "Wenn es die Bürger wollen." Letztlich könne jeder und jede einen Beitrag leisten, um die Debatte darüber zu fördern.

Das BGE würde die Kaufkraft jener finanzschwachen Schichten erhöhen, die ihr Geld auch ausgeben, meinte Melina Klaus von "B.I.E.N. Austria". Demgegenüber sei bekannt, dass Reiche ihren Besitz "horten" statt ihn ins wirtschaftliche Geschehen zum Wohle anderer einzubringen. Und im Unterschied zur bereits eingeführten bedarfsorientierten Mindestsicherung, die immer wieder "unter Kürzungsdruck" stehe, sei das BGE "offensiv", so Klaus. Es könne dazu beitragen, dass die Gewerkschaft bei Phänomenen wie "prekärer" Arbeit immer nur hinterherhinke.

Die alljährliche internationale "Woche des Grundeinkommens" von 19. bis 25. September 2016 wollen die Fachleute am Podium - wie sie versicherten - nutzen, um dem BGE einen weiteren Aufmerksamkeitsschub zu verleihen.

kathpress