Vom ersten "Genozid des 20. Jahrhunderts" sprach Papst Franziskus in einem Gottesdienst zum 100. Jahrestag des Beginns der Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich. Von 1915 bis 1918 wurde fast die gesamte armenische Bevölkerung vertrieben oder ermordet. Bis zu 1,5 Millionen Menschen fielen dem Völkermord zum Opfer. Die historische Deutung ist für die Türkei bis heute eine andere. Das Land wehrt sich vehement gegen den Begriff "Völkermord" und damit gegen die Aussagen des Papstes.

Im Bild: Völkermordmahnmal Zizernakaberd in Jerewan

Es gibt mächtige Staatsmänner, die sich nicht trauen, dieses Wort in den Mund zu nehmen, weil sie es sich mit der Türkei nicht verscherzen wollen. Papst Franziskus hat sich getraut: In einem Gottesdienst zum 100. Jahrestag des Beginns der Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs sprach er am Sonntag vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts". Damit hat er zwar die Mehrheit der Historiker auf seiner Seite - aber Ankara gegen sich.

Der Protest der türkischen Regierung erfolgte prompt. Das Außenministerium bestellte den vatikanischen Botschafter ein und protestierte offiziell und via Twitter scharf gegen diese Aussage. Franziskus hat die vorhersehbare Reaktion offenbar bewusst in Kauf genommen. Denn diesmal äußerte er sich nicht spontan, sondern las einen vorbereiteten und vom Vatikan zuvor verbreiteten Redetext vor.

"Die Menschheit hat im vergangenen Jahrhundert drei große, unerhörte Tragödien erlebt: die erste, die allgemein als 'der erste Genozid des 20. Jahrhunderts' angesehen wird; diese hat euer armenisches Volk getroffen", sagte der Papst in seinem Grußwort an die armenischen Gäste. Unter ihnen waren der armenische Staatspräsident Sersch Sargsjan sowie die Oberhäupter der armenisch-apostolischen und der armenisch-katholischen Kirche, die Patriarchen Karekin II. und Nerses Bedros XIX.

Franziskus stellte die Verfolgung der Armenier in eine Reihe mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Durch Massaker und Todesmärsche kamen zwischen 1915 und 1918 laut Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben.

Es war ein geschickter Schachzug von Franziskus, dass er an dieser Stelle ausdrücklich Johannes Paul II. (1978-2005) zitierte. Der polnische Papst, der den Völkermord an den Juden miterlebt hatte, bekundete 2001 während seiner Armenien-Reise in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche, Karekin II.: "Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird." Franziskus zitierte also formell lediglich seinen Vorgänger. Die Türkei hat dieser feine Unterschied freilich nicht beeindruckt.

Wie dünnhäutig man in Ankara reagiert, wenn ein Papst vom "Völkermord" an den Armeniern spricht, hat Franziskus bereits kurz nach seinem Amtsantritt erfahren. Als er die Gräueltaten an den Armeniern Anfang Juni 2013 in einem privaten Gespräch mit Nachfahren von Opfern der Massaker, das später publik wurde, schon einmal als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hatte, protestierte die Türkei offiziell. "Absolut inakzeptabel" sei diese Äußerung, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Ankara. Der Vatikanbotschafter wurde zu einem Gespräch einbestellt. Schon als Erzbischof von Buenos Aires hatte der heutige Papst die Verfolgung der Armenier als Völkermord bezeichnet.

Bei seiner Türkei-Reise im November hatte Franziskus die Verfolgung der Armenier nicht angesprochen. Auf dem Rückflug nach Rom sandte er jedoch ein versöhnliches Signal an die türkische Regierung aus. Er würdigte einen Brief des vormaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, in dem dieser 2014 als erster Regierungschef in der türkischen Geschichte offiziell der damaligen Leiden der armenischen und syrisch-orthodoxen Christen gedachte. Einige hätten diese Erklärung als "schwach" angesehen, so Franziskus. Er selbst wisse nicht, ob sie "stark oder schwach" sei. In jedem Fall bedeute sie eine "ausgestreckte Hand" der türkischen Regierung - und das sei "immer positiv".

Auch die Erhebung des armenischen Mönchs Gregor von Narek (950- ca. 1005) zum Kirchenlehrer stand am Sonntag im Zeichen des Völkermords an den Armeniern. Der Präfekt der Heiligsprechungskongregation, Kardinal Angelo Amato, wies während der Zeremonie ausdrücklich darauf hin, dass das Kloster, in dem Gregor in Narek lebte, sowie dessen Grab im Zuge der Massaker an den Armeniern zerstört worden seien.

Zum Abschluss der Messe hatten schließlich die beiden armenischen Patriarchen das Wort. Der Völkermord an den Armeniern sei eine "unleugbare historische Tatsache", sagte Karekin II. - und erntete Applaus im Petersdom.

kathpress / Thomas Jansen


Anlässlich des 100. Gedenktages gibt es auch in Vorarlberg Veranstaltungen:

Gedenk-Gottesdienst
Die Pfarre „Bruder Klaus“ in Dornbirn-Schoren lädt gemeinsam mit der Caritas Vorarlberg zu einem Gottesdienst ein. ArmenierInnen, die in Vorarlberg leben, werden den Gottesdienst mit Liedern in ihrer Muttersprache umrahmen, im Anschluss an die Messfeier ist eine Agape auf dem Kirchplatz geplant.
So 19. April, 9.30 Uhr, Pfarrkirche Dornbirn-Schoren.

Vortrag - Film - Gespräch
Vortrag von Dr. Hüsein Cicek
„Aghet - ein Völkermord“, Dokumentarfilm von Eric Friedler
Fr 24. April, 19 Uhr, BG Dornbirn, Realschulstraße 3