Interreligiöse Vorkonferenz: Evangelischer Altbischof Sturm wünscht sich klare gemeinsame Stimme - UNAIDS-Vertreterin Beagle: "Brauchen Hilfe der Glaubensgemeinschaften mehr denn je"

Wien (KAP) Für eine stärkere gemeinsame Stimme von Kirchen und Religionsgemeinschaften im Kampf gegen die Diskriminierung von HIV-Infizierten bzw. Aidskranken hat der österreichische evangelische Altbischof Herwig Sturm plädiert. Bei der Eröffnung der "Multi-Faith Pre-Conference" zur Welt-Aids-Konferenz sagte Sturm am Samstag in Wien, die Veranstaltung der Kirchen und Religionsgemeinschaften sei zwar "nicht so schrill und provozierend wie der Life-Ball", aber auch sie sollte "provozieren", und zwar auf eine "innere Weise". Auch für die weltweit notwendige HIV-Prävention müssten die Glaubengemeinschaften noch stärker zusammenarbeiten.

Es gebe einen sehr guten ökumenischen Dialog in Österreich und eine sehr gute Basis im interreligiösen Gespräch, erklärte Sturm. "Diese Veranstaltung hat uns noch einmal einen Schritt weitergebracht in der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft."

Das Thema Aids hänge auch mit dem eigenen Glauben und dem Weltbild zusammen: "Es ist eine Herausforderung, diese verheerende Pandemie zusammenzudenken mit einem Gottesbild, zu dem wohl ein letztgültiges Sinn- und Wertgeschehen dazugehört", so der Altbischof. "In meiner christlichen Sprache versuche ich eine Antwort, indem ich von der Leidenschaft Gottes für die ganze Welt ohne weiße Flecke spreche, von der Option für die Armen und Ausgegrenzten, mutig und fantasievoll, und von einem Gott, der rettet und hilft und befreit."

Die Pandemie sollte Menschen weltweit zusammenbringen im gemeinsamen Kampf: "Ich wünsche Ihnen heute und auch weiterhin, dass wir im Geist dieser Weltleidenschaft Gottes und unter der Verheißung einer versöhnenden, befreienden und heilenden Liebe miteinander reden und arbeiten", unterstrich Sturm.

Im Rahmen der Vorkonferenz sei man zusammengekommen, um voneinander zu lernen und "daran zu wachsen", betonte auch Reverend Richard Fee, Vorsitzender der "Ecumenical Advocacy Alliance" (EAA) und Generalsekretär der Presbyterianischen Kirche in Kanada.

Kirchen können "mit Kraft" bewegen

Die Glaubensgemeinschaften seien von Anfang an in den Kampf gegen HIV und Aids eingebunden gewesen; "wir brauchen ihre Hilfe mehr als je zuvor", hob Jan Beagle, stellvertretende Geschäftsführerin des UNO-Aids-Programms (UNAIDS), hervor. "Wir bitten Religionsvertreter nicht, Kondome zu verteilen", aber eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Prävention und Behandlung von Aids und HIV sei wichtig. "Sie können soziale Bewegungen mit Kraft versehen", appellierte Beagle. "Unser Erfolg im Kampf gegen Aids hängt von unseren gemeinsamen Bemühungen ab."

Gott im Nächsten sehen

Die erste Diskussionsrunde der Veranstaltung galt der Frage, auf welche Weise die jeweiligen Glaubenstraditionen die Religionsgemeinschaften und Kirchen möglicherweise daran hindern, für einen universellen Zugang Aids-Prävention sowie zur Behandlung, Betreuung und Unterstützung von HIV-Infizierten und Aidskranken einzutreten. Dies sei "eine Frage, die seltsam anmutet", erklärte Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des Weltkirchenrats (ÖRK). "Wie kann Glaube etwas anderes sein als unsere Verpflichtung, HIV bzw. Aids zu bekämpfen und keine Hindernisse zu schaffen für jene, die HIV bzw. Aids bekämpfen? Mein christlicher Glaube hilft mir dabei, Gott in unserem Nächsten zu sehen und ihm Hilfe angedeihen zu lassen", hob Tveit hervor.

Ähnlich äußerte sich auch Hany El Banna vom internationalen muslimischen "Humanitarian Forum", der ebenfalls die Verantwortung von Religionsvertretern im Umgang mit der Immunschwäche-Krankheit betonte: "Wenn wir eine Religion haben, soll uns diese auch helfen, humanitäre Hilfe zu verbreiten", so Banna. Die Bereitschaft zu interreligiösen Gesprächen sowie die globale Betrachtung des Themas Aids bzw. HIV seien dabei wichtig.

Gedenken an Verstorbene

Zuvor war die interreligiöse Vorkonferenz mit Gebeten und musikalischen Einlagen von Musikern aus Simbabwe eröffnet worden. Letztere hatten eigens zum Konferenzmotto "Rights here, right now" Songs einstudiert. Nyaradzayi Gumbonzvanda vom globalen Netzwerk "World Young Women's Christian Association" (World YWCA) lud alle Anwesenden ein, aufzustehen, sich an den Händen zu fassen und einen stillen Moment lang all jener Menschen zu gedenken, die bisher bereits an den Folgen von HIV bzw. Aids gestorben sind.

Ermächtigung der Frauen zu eigenständigem Leben

Ein Plädoyer für die Ermächtigung der Frauen zu einem eigenständigen Leben in Würde kam von Henrica Okondo von der "World Young Women's Christian Association" (World YWCA). Sie machte bei der "Multi-Faith Pre-Conference" darauf aufmerksam, dass allein in Afrika 16 Millionen Mädchen und junge Frauen leben, die bereits mit dem HI-Virus geboren wurden. Okondo: "Sie haben genauso das Recht auf Familie und Kinder. Was sagen wir diesen jungen Menschen?" Am Schicksal dieser Mädchen und Frauen werde auch deutlich, dass HIV/Aids ein soziales und nicht nur ein moralisches Thema und Problem sei. Noch immer hätten unzählige Mädchen und junge Frauen keinen Zugang zu Bildung und könnten nicht selbst entscheiden, wen und wann sie heiraten.

Um über Sexualität reden zu können, brauche es für die Mädchen und Frauen geschützte Räume, um die sich YWCA bemühe. Die vielfältige Präventionsarbeit schließe auch die Verwendung von Kondomen ein, so die Regional-Direktorin von YWCA auf Anfrage.

Insgesamt erreiche YWCA rund 25 Millionen Frauen und Mädchen rund um den Globus, so Okondo, die für die Regionalarbeit in Afrika und im Mittleren Osten zuständig ist. Ohne die intensive Zusammenarbeit mit unzähligen Pfarren und kirchlichen Organisationen am Ort wäre die Arbeit von YWCA nicht möglich, betonte die Regional-Direktorin.

Nuraan Osman von der Hilfsorganisation "Islamic Relief" in Südafrika wies auf die Notwendigkeit hin, die religiösen Meinungsführer wie etwa Moschee-Vorsteher über HIV/Aids aufzuklären. Das geschehe u.a. in den Zentren ihrer Organisation. Von den Religionen würde sehr viel Hilfe für HIV- und Aids-Kranke geleistet, so Osman, zugleich müssten aber auch noch Vorurteile und Diskriminierungen überwunden werden. Gemeinsam mit Partnerorganisationen setze "Islamic Relief" auch Hilfsprojekte für HIV-positive Frauen und Kinder um, berichtete Osman.

Seelsorgliche Begleitung und Menschwürde

Der russisch-orthodoxe Priester Maxim unterstrich die spirituelle Dimension der Hilfe für HIV- und Aids-Kranke. In Russland sei die medizinische Versorgung ausreichend, so Maxim, doch darüber hinaus brauche es auch seelsorgliche Begleitung. Maxim arbeitet seit 15 Jahren in Russland mit Drogensüchtigen, die als erste von der Krankheit betroffen waren.

Einig waren sich die Vertreter aller Religionen und Konfessionen in ihrer Betonung der menschlichen Würde, die in Gott ihre letzte Begründung findet, sowie im der Forderung nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität.

Link-Tipp
_ Auf katholisch.at finden Sie ein Dossier mit allen aktuellen Meldungen zur Welt-Aids-(Vor-)Konferenz in Wien.