In der ORF-Pressestunde nahm Kardinal Schönborn Stellung zu aktuellen Fragen - auf kirchlicher und gesellschaftspolitischer Ebene. Grundprinzip war dabei der Blick auf den Menschen, auf seine ganz konkrete Situation - sei es hinsichtlich seines Einkommens oder seiner familiären Situation. Schönborn rief zum Respekt vor der Gewissensentscheidung des Einzelnen sowie zur Solidarität mit den Schwachen auf.

Die jüngst von der Regierung präsentierte Steuerreform leitet in den Augen von Kardinal Christoph Schönborn dringend nötige Korrekturen ein, verabsäumt dabei aber die stärkere Unterstützung für Familien. Es sei "kurzsichtig" und unverständlich, dass speziell für Mehrkindfamilien keine Steuerentlastung durchgerungen worden sei, erklärte der Wiener Erzbischof am Palmsonntag in der ORF-"Pressestunde". Schließlich handle es sich bei dieser Gruppe um jene Menschen, "die den Mut zu drei, vier oder sogar fünf Kindern haben und somit für die Zukunft der Gesellschaft etwas leisten".

"Wir leben in einer Zeit, in der die Gesetzgebung und Wirtschaft sehr oft nicht familienfreundlich sind, ja oft sogar familienfeindlich", betonte Schönborn. Dabei gehe die Zukunft der Menschheit über die Familie, deren Förderung jenes soziale Netz unterstütze, auf das auch bei einem allmählichen Abbröckeln des Sozialstaates zurückgegriffen werden könne. Österreich sei weiterhin ein "gut funktionierender Sozialstaat", könne aber sein hohes Niveau an Gerechtigkeit nur durch "ständiges Dranbleiben" halten, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz.

Sorgen bereiteten ihm die seit 25 Jahren wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, erklärte Schönborn. Dass Reiche mehr Steuern bezahlen müssen, sei unter dem auch für die Kirche zentralen Aspekt der Gerechtigkeit zu sehen, sei doch mit Eigentum immer auch eine soziale Verantwortung verbunden: "Wer mehr hat, muss mehr leisten für die Gemeinschaft, damit die, die weniger oder nicht haben, leben können." Die Steuerreform sei in dieser Hinsicht ein guter Anfang und ein "Frühlingserwachen, bei dem wir hoffen, dass ein Sommer folgt", zitierte der Erzbischof Caritas-Präsident Michael Landau.

10 Gebote auch heute anwendbar


Für die Politik biete die Religion Orientierung durch die Frage: "Gestaltest du dein Leben so, dass andere auch leben können", legte Schönborn dar. Das biblische Gebot "Du sollst nicht stehlen" könne man etwa auch auf Steuerbetrug beziehen, da dieser die Gemeinschaft schädige. Das vierte Gebot über die Eltern - für Schönborn das "Generationengebot" - verpflichte zu Gerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen, die etwa im Fall von Schulden besonders hinterfragt werden müsse. Wachsamkeit sei auch gegenüber den globalen Kapitalflüssen ohne nationale Kontrolle geraten, bei denen Kapital "aus sich selbst heraus Ertrag bringt und nicht dafür gearbeitet wird".

Papst Franziskus habe bereits zahlreiche soziale Impulse gesetzt und gehe damit weiter, wobei Schönborn auf die demnächst erwartete Enzyklika zur ökologischen Frage verwies. Nicht die soziale Marktwirtschaft, sondern "jene Wirtschaft, die die Schwachen außen vorlässt", habe der Papst mit seinem Satz "diese Wirtschaft tötet" gemeint, so der Wiener Erzbischof. Er selbst sei beeindruckt, dass auch unter vielen Managern zunehmend Offenheit und Bewusstsein für eine soziale Verantwortung zu spüren sei.

Lob für Hospiz-Konsens

Lob fand der Kardinal für den Allparteienkonsens in Österreich für die Hospizbewegung. Die bei der Parlamentsenquete erzielte Einmütigkeit über die Begleitung durch Schmerztherapie und Palliativmedizin in der letzten Lebensphase sei europaweit ein "Vorzeigemodell", so der Wiener Erzbischof in der "Pressestunde". Er wertete die Einmütigkeit auch als Beispiel einer "erstaunlich starken" Kooperation zwischen den Kirchen, Religionsgemeinschaften und der Politik.

Zu einem gegensätzlichen Urteil kam Schönborn beim Fortpflanzungsmedizingesetz, das im Jänner gegen den vehementen Einspruch der katholischen Kirche und all ihrer Basisorganisationen im Parlament beschlossen wurde. Die Kirche sei hier "im Stich gelassen" worden, auch von der ÖVP, zu der es hier einen "klaren Dissens" gebe. Den "humanen" Kritikpunkten der Kirche verlieh der Kardinal Nachdruck: Präimplantationsdiagnostik sei etwa Selektion danach, ob der Mensch lebenswert sei oder nicht, und somit eine "eugenische Praxis", die gegen ein fundamentales Menschenrecht verstoße.

Beim Thema der Fremdkindadoption durch Homosexuelle sowie der Eizellspende verwies der Kardinal auf das Recht jedes Kindes auf Vater und Mutter sowie auch das Wissen um deren Identität. Könne das Leben menschlich auch gelingen, gehe es hier um eine "Grundentscheidung in der Gesellschaft, dass man unterstützt, dass Menschen Vater und Mutter haben". Dies sei eine "Ursehnsucht", so der Kardinal, der hier mehrfach auf seine eigene Erfahrungen als Kind einer Patchworkfamilie verwies.

Überzeugen ohne Scheuklappen

Die Kirche hat nicht die Aufgabe, sich in der Gesetzgebung durchzusetzen, soll aber in einer pluralen Demokratie durch gute, auf das menschliche Wohl abzielende Argumente ohne konfessionelle Scheuklappen überzeugen und somit ein "positives Element" sein, so Schönborns Standpunkt. Wenn sie dabei das Ideal benenne, verurteile die Kirche nicht Situationen, die diesem trotz Bemühen nicht voll nachkommen, "denn wer von uns entspricht schon dem Ideal zu 100 Prozent", so der Erzbischof.

So habe er etwa volles Verständnis für die elementare Sehnsucht von kinderlosen Paaren mit Kinderwunsch. "Wer bin ich da zu urteilen", betonte Schönborn. Könne man sich auch medizinisch um ein Kind bemühen, bleibe dieses dennoch immer ein Geschenk und nie Eigentum, "es gibt kein Recht auf ein Kind". In einer freien Gesellschaft bedeute Christsein mitunter, auf Dinge zu verzichten - "Christen wird man in Zukunft daran erkennen, was sie nicht tun", zitierte Schönborn seinen emeritierten Kardinalskollegen Walter Kasper.

Synode soll Gewissen aufwerten

Von der im Herbst anstehenden Bischofssynode über Ehe und Familie erwartet Kardinal Schönborn ein "beherztes, ehrliches Hinschauen" auf die Situation der Ehe und Familie in den einzelnen Kontinenten, sowie eine "Ermutigung zur Familie und zum solidarischen Miteinander". Letzteres könne und werde "sehr oft auch patchworkartig" sein, zumal das Familienideal trotz Bemühen oft schwer zu erreichen sei, erklärte der Erzbischof. Auch an die Regierungen solle signalisiert werden, die Familie als "Überlebensnetzwerk der Zukunft" stärker zu fördern.

Die Synode werde die Barmherzigkeit Gottes in den Mittelpunkt stellen, wobei Barmherzigkeit "nicht automatisch durch ein Ja oder Nein zur Kommunion erfüllt" sei, sondern durch eine Gewissensprüfung, verbunden mit einem differenzierten Hinsehen auf die konkrete Situation. Alle Gläubigen sollten vor dem Sakramentenempfang ihr Gewissen prüfen, wofür die Kommunionbank "der falsche Ort" sei, betonte Schönborn. Er erwarte von der Synode deshalb ein klares Wort über die Gewissensverantwortung des Einzelnen - "eines reifen Gewissens, das von der Kirche auch geachtet wird."

Er selbst werde nie eine Gewissenentscheidung eines Gläubigen in Frage stellen - auch wenn er wiederverheiratet sei, so Schönborn. "Ich kenne die Lebenssituation des Einzelnen nicht." Darauf genau hinzusehen sei jedoch die Aufgabe des Priesters und Bischofs: "Die Situation einer Frau, die von ihrem Mann verlassen worden ist und nun mit drei Kindern alleine dasteht, ist anders als die des Mannes, der seine Frau für eine Jüngere sitzen lässt." Erste Frage sei für ihn zudem jene nach dem Umgang mit dem Ehekonflikt und "ob er auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wurde oder nicht".

Jedoch auch in funktionierenden Familien müssten die Hirten manchmal sagen: "So wie du mit der Frau oder deinen Kindern umgehst, solltest du nicht zu den Sakramenten gehen", verdeutlichte der Erzbischof. Der Blick auf die reale Lebenssituation sei auch die Linie von Papst Franziskus, der immer dazu aufrufe, nicht zu richten, sondern zu begleiten.

Keine Sorge über Papst-Ausrutscher

Hinsichtlich der Amtsführung von Papst Franziskus erklärte Schönborn, es sei erstaunlich, dass die Begeisterung für ihn nun schon zwei Jahre lang anhalte. Dass jüngst einige saloppe Aussprüche von den Medien auch als "Steilvorlagen" für Kritik aufgegriffen wurden, besorge ihn nicht: "Mir ist lieber, er macht ein paar Ausrutscher in seinen Reden, redet dabei aber frei von der Leber weg", so Schönborn. Wichtig sei es, genauer hinzuhören statt die Botschaft nur auf einen "Sager" zu beschränken.

Ein gutes Voranschreiten stellte Schönborn für die Kurienreform fest: Eindeutig wolle der Papst "das Haus in Rom in Ordnung bringen". Zwar sei dieser Prozess langsam, verlaufe dabei aber dennoch viel zügiger als etwa die Bundesreform in Österreich. "Er wird es schaffen, die Kurienreform in großen Zügen durchzuziehen." Unterstützt werden solle somit ein "Dranbleiben" an den Akzenten des Papstes, darunter vor allem die Aufmerksamkeit für soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen.

kathpress