Worum es bei der zwölften Vollversammlung der offiziellen Dialog-Kommission der katholischen und orthodoxen Kirche in Wien geht - Ein "Kathpress"-Hintergrundbericht von Georg Pulling

(Bild rechts: Petrus-Ikone aus dem 6. Jahrhundert, Katharinen-Kloster Sinai)

Wien (KAP) Rund 30 Experten aus Ost- und Westkirche kommen ab Montag im Wiener Kardinal König-Haus zur zwölften Vollversammlung der offiziellen "Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen und orthodoxen Kirche" zusammen. Thema der nichtöffentlichen Tagung ist die Stellung des Papstes innerhalb der Kirche im ersten Jahrtausend. Letztlich geht es dabei aber um kein historisches Thema, vielmehr erhoffen sich beide Seiten davon einen Schlüssel, um das wohl zentralste Hindernis im Weg zur Einheit von Ost- und Westkirche zu beseitigen: Die unterschiedliche Auffassung über die mögliche Stellung des Papstes in einer vereinten Kirche.

Ziel der Konferenz ist es, das Verhältnis von päpstlicher Vorrangstellung und der Selbständigkeit der einzelnen Teilkirchen, wie dies im ersten Jahrtausend in Theorie und Praxis verwirklicht war, zu ergründen. Von einem solchen Befund erhoffen sich beide Seiten ein Grundlage, auf der Perspektiven für ein zukünftiges Primatsmodell entwickeln könnte, das für die katholische wie orthodoxe Kirche akzeptabel ist. Doch bis dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein, den die Kirchen überdies erst seit der Vollversammlung von Ravenna (2007) mit einem gewissen Elan in Angriff genommen haben.

"Der Erste unter den Patriarchen"

Rom rangierte an erster Stelle der fünf klassischen Sitze von Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem ("Pentarchie"). Darin stimmen Ost- und Westkirche überein. Auch darin, dass der Bischof von Rom (Papst) deshalb der Erste unter den Patriarchen war. Uneinigkeit herrscht aber darüber, wie dieser Primat des Papstes im ersten Jahrtausend im Detail ausgestaltet war und mit welchen Vorrechten der Papst ausgestattet war.

Im Ravenna-Dokument aus dem Jahr 2007 anerkannte die orthodoxe Seite, dass der Primas auf der universalen Ebene der Kirche gemäß altkirchlicher Tradition selbstverständlich der Bischof von Rom ist. Die katholische Seite stimmte andererseits zu, dass das Prinzip des Primats immer mit dem synodalen Prinzip verbunden ist, die Autonomie der Teilkirchen also gewahrt bleibt.

Einen kleinen Fortschritt brachte dann eine Zwischenkonferenz des "Gemeinsamen Koordinationskomitees" 2008 in Kreta. In einem Papier, das Grundlage für die nächste Vollversammlung der Kommission 2009 in Zypern war, wurde nochmals festgehalten, dass Rom gemäß den Konzilien von Konstantinopel (381) und Chalcedon (451) die "prima sedes" (der erste Sitz) ist. Der römische Bischof habe nicht nur einen Ehrenprimat; es werde beispielsweise im Sinn der Synode von Sardica (343/344) das Appellationsrecht nach Rom unterstrichen sowie Rom eine Art Berufungsinstanz zuerkannt.

Faktum sei auch die Praxis des alten orientalischen Kirchenrechts, die auf dem Zweiten Konzil von Nicäa (787) ausdrücklich festgehalten wurde: Für die Anerkennung der Ökumenizität - also die umfassende Geltung - eines Konzils ist maßgebend, dass der römische Bischof mitwirkt, während bei den anderen Patriarchen von einer bloßen Zustimmung die Rede ist.

Blick zurück nach vorn

Das alles sind bisher allerdings nur Versatzstücke, und es bleibt abzuwarten, ob es in Wien gelingen wird, eine umfassende Darstellung des ersten Jahrtausends zustande zu bringen. In Zypern vor einem Jahr war dies aufgrund der Komplexität des Themas jedenfalls noch nicht gelungen.

Doch selbst wenn ein Konsens über die historischen Fakten erzielt werden kann, scheint der Weg zur kirchlichen Einheit noch weit zu sein. Die theoretische und praktische Machtfülle des Papstes, wie sie sich im Westen im zweiten Jahrtausend entwickelt und mit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) ihren Höhepunkt erreicht hat, ist und bleibt für die Orthodoxie völlig inakzeptabel. Ökumene-Experten wie der Wiener Ostkirchenkundler Prof. Rudolf Prokschi mahnen daher auch schon seit langem ein, dass sich die katholische Kirche in dieser Frage "endlich mehr bewegen" müsse.

Auch der Münsteraner Ökumene-Experte Prof. Thomas Bremer zeigt sich skeptisch: Eine Einigung sei realistischerweise in weiter Ferne, wenn die katholische Kirche nicht sehr deutliche Signale der Bereitschaft aussenden sollte, Lehre und Praxis zu modifizieren. Das sei aber momentan nicht absehbar, so der Befund des Theologen.

Zeitgemäße Ausübung des Primats

Trotzdem: Einige kleine Ansätze einer katholischen "Bewegung" sind schon bemerkbar. So hat schon Papst Johannes Paul II. in seiner Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" (1995) dazu eingeladen, über eine zeitgemäße Ausübung des Primats nachzudenken.

1976 meinte der damalige Theologieprofessor (und jetzige Papst) Joseph Ratzinger, dass "Rom vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern muss, als im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde". Einige Jahre später fügte Ratzinger hinzu, dass die bloße Rückkehr zur alten Kirche aber kein Weg in die Zukunft sei. Es bedürfe vielmehr eines "Wegs nach vorne".

Schon das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hatte den Ostkirchen das Recht zuerkannt, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren. Das nachkonziliare Kirchenrecht für die katholischen Ostkirchen hat diesen Gesichtspunkt dann auch anfanghaft umgesetzt, indem es beispielsweise vorsieht, "dass die Bischöfe der katholischen Ostkirchen nicht vom Papst ernannt, sondern von der jeweiligen Synode gewählt werden. (Allerdings müssen die Bischöfe dann noch vom Papst bestätigt werden.)

Wie aber beispielsweise der langjährige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Kardinal Walter Kasper, mehrmals feststellte, würden diese und andere Reglungen nicht für sich beanspruchen, "bereits das Modell für die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft mit den getrennten Ostkirchen zu sein".

Noch keine Konzepte

Noch gibt es weder von katholischer noch von orthodoxer Seite ausgereifte Konzepte, wie ein zeitgemäßer Primat in einer vereinten Kirche aussehen könnte. Wie der Präsident der Stiftung "Pro Oriente", Johann Marte, betont, sei ein reiner Ehrenprimat ohne juristische Vollmachten jedenfalls aber wohl zu wenig. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die großen Probleme, die es innerorthodox seit Jahrzehnten bei der Einberufung eines Panorthodoxen Konzils gibt.

Zuversichtlich, dass auf der Wiener Konferenz Fortschritte erzielt werden, zeigt sich der griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos. Die katholischen und orthodoxen Theologen würden wohl schon früher oder später eine Lösung finden; die entscheidende Frage sei dann aber, ob diese Beschlüsse dann auch von den einzelnen Kirchen und schließlich vom Kirchenvolk an der Basis akzeptiert würden. Schließlich gebe es in allen Kirchen einflussreiche - wenn auch nicht repräsentative - Kreise, die gegen die ökumenische Bewegung arbeiten würden, so der Metropolit.

Im Kern bereits eine Kirche?

Bremer macht auch auf einen weiteren Punkt aufmerksam: die griechische und die lateinische Tradition des Christentums hätten - ganz abgesehen von den Divergenzen in der Primatsfrage - unterschiedliche theologische Denksysteme entwickelt. Ob diese miteinander kompatibel sind, sei noch nicht klar. Bremer: "Auf der formalen Ebene scheint es weitgehende Übereinstimmung zu geben, beispielsweise in der Sakramentenlehre. Beide Kirchen kennen sieben Sakramente, die im Großen und Ganzen auch identisch zu sein scheinen. Doch stehen hinter diesen Wirklichkeiten völlig unterschiedliche Sakramententheologien."

Die ökumenischen Gespräche hätten diese Unterschiede bisher noch kaum thematisiert, und es bleibe zu prüfen, "ob sich die westliche und die östliche Denk- und Sichtweise überhaupt miteinander vereinbaren lassen".

Optimistischer sieht dies Prof. Prokschi: "Im Kern sind wir bereits eine Kirche". Hinsichtlich der Glaubensüberzeugungen, des Sakramenten- und Amtsverständnisses trenne Katholiken und Orthodoxe "eigentlich nichts", so Prokschi. Es brauche einfach mehr guten Willen, "um die Einheit nicht erst in hundert oder zweihundert Jahren, sondern schon zu unseren Lebzeiten zu verwirklichen und damit volle eucharistische Gemeinschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen zu ermöglichen".

Linktipp
_ Hier finden Sie einen weiteren Hintergrundbericht von Georg Pulling: "Orthodoxe Kirche auf dem Weg ins 3. Jahrtausend"

(Quelle: kathpress.at)