Jedes Jahr zu Ostern rückt die heiligste Stätte der Christenheit verstärkt in das Zentrum weltweiter Aufmerksamkeit: die Jerusalemer Grabeskirche. Ihr orthodoxer Name lautet "Anastasis" (Auferstehungskirche) und sie ist das bedeutendste Heiligtum der Christenheit - und zugleich Symbol ihrer Zerrissenheit.

Die Christen verehren in der Kirche den Ort der Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Jesu. Nach den Erkenntnissen der modernen Archäologie spricht vieles dafür, dass Jesu Grab auf dem Gelände der Kirche lag. Anders als heute lag das Grundstück vor 2.000 Jahren außerhalb der Stadtmauern. Papst Johannes Paul II. nannte die Stätte bei seinem Besuch im Jahr 2000 die "Mutter aller Kirchen".

Der heutige Bau geht im Kern noch immer auf die konstantinische Zeit zurück. Insgesamt erstrecken sich die einzelnen Gebäudeteile über eine Fläche von etwa 100 mal 120 Metern. Nicht alle sind zugänglich.

Sechs Konfessionen - Griechisch-Orthodoxe, Armenier, Kopten, Äthiopier, Syrer und katholische Lateiner - "teilen" sich die Kirche und machen sich dabei mitunter auch das Leben gegenseitig schwer. Den Hauptteil des Gebäudes "besitzen" die Griechisch-Orthodoxen, während sich Lateiner und Armenier den Rest teilen. Die koptisch-orthodoxe, die syrisch-orthodoxe und die äthiopisch-orthodoxe Kirche verfügen nur über einzelne Kapellen in der Kirche und dürfen auch nicht jeden Tag Gottesdienst feiern. Im gemeinschaftlichen Besitz aller Kirchen befinden sich nur die Ädikula (Grabeskapelle) sowie der Salbungsstein.

 
Dekret des Sultans

Das Zusammenleben der christlichen Kommunitäten in der Grabeskirche wird noch vom sogenannten "Status quo" bestimmt, einem Dekret des türkischen Sultans aus dem Jahr 1852. Der "Status quo" garantiert das grundsätzliche Zusammenleben der Konfessionen, behindert zugleich aber notwendige Veränderungen.

So steht seit Jahrzehnten die Forderung nach einem Notausgang im Raum. Die israelische Feuerwehr und die Polizei betrachten das Gotteshaus als "Todesfalle", falls ein Feuer ausbricht.

Der Schlüssel zum einzigen Portal wird kurioserweise von zwei muslimischen Familien verwaltet. Nach der islamischen Wiedereroberung Jerusalems wurden elf der ursprünglich zwölf Portale der Grabeskirche auf Anordnung der neuen muslimischen Behörden zugemauert - um die Christen zu demütigen und augenfällig an ihre Position als "Dhimmi" (Schutzbefohlene) zu erinnern. Seither verwalten die alteingesessenen muslimischen Jerusalemer Familien Insaibi und Judeh die Schlüssel.

Ein weiteres Problem: Die kleine Ädikula über dem Grab sollte renoviert werden. Schon 1947 brachten die Engländer Eisenklammern an, um den Einsturz der Ädikula zu verhindern. Derzeit besteht zwischen den Konfessionen aber keine Einigkeit über die Dringlichkeit einer Renovierung.

Ein weiterer Dauerstreitpunkt sind die öffentlichen Toiletten, die sich in einem schlechten Zustand befinden. Die Franziskaner wollen sie renovieren, andere Kommunitäten legen sich quer. Die Franziskaner hingegen besitzen in der Grabeskirche eine Leiter, die hinter dem Salbungsstein steht und keine Funktion mehr hat, jedoch stört. Der Standpunkt der Franziskaner: Die Leiter wird weggenommen, wenn die Toiletten renoviert werden.

Positiv verweisen die Vertreter der christlichen Konfessionen allerdings immer wieder darauf, dass die Kirche in den 1950er bis in die 1990er Jahre renoviert wurde, was auch als großer ökumenischer Erfolg gewertet werden kann.

Das gilt auch dafür, dass sich 1995 Griechen, Lateiner und Armenier auf die Renovierung und Ausgestaltung der Rotunde über dem Heiligen Grab einigen konnten und zwei Jahre später die Neugestaltung der Kuppel tatsächlich feierlich abgeschlossen werden konnte.

 
Innere Uhr der Grabeskirche

In der Grabeskirche gibt es auch keine Sommerzeit. Der "Status Quo" sieht dies nicht vor, und eine Stunde mehr bzw. weniger in den Nächten der Umstellung würde zu Differenzen zwischen den Konfessionen führen. Denn auch während der Nacht werden Gottesdienste gefeiert, egal ob die Kirche offen oder geschlossen ist. Zuerst feiern die Griechen, dann Armenier und Kopten, dann beten nacheinander Griechen, Armenier und Lateiner das Mitternachtsgebet, jeder in seiner Kapelle, aber bei geöffneten Türen. Es folgt eine griechisch-orthodoxe Messe entweder am Heiligen Grab oder auf Golgotha (Kalvarienberg), danach feiern wieder die Armenier und gegen vier Uhr Früh beginnen die katholischen Messfeiern, sowohl am Grab als auch auf Golgotha.

Wäre eine Nacht (wie bei der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit) eine Stunde kürzer, müsste eine Konfession wohl oder übel für diese Nacht auf jahrhundertealte Rechte verzichten. Folglich gibt es in Jerusalem im Sommerhalbjahr zwischen März und Oktober zwei Zeiten: eine "innere" in der Grabeskirche und eine "äußere".

Einige Male im Jahr, vor allem in der Fastenzeit, kommt es vor, dass alle fünf Konfessionen gleichzeitig in der Grabeskirche Gottesdienst feiern. Der "Status Quo" regelt dabei auch jede noch so kleine Kleinigkeit.

 
"Das Beste daraus machen"

Wiewohl die Situation in der Grabeskirche für viele Besucher befremdlich wirkt, sehen andere darin ein positives Beispiel dafür, dass christliche Konfessionen (meistens) friedlich nebeneinander feiern können.

Der Franziskaner und Spezialist für den "Status Quo", P. Gregor Geiger, urteilt folgendermaßen: "Wir sollten uns davor hüten, auf andere Menschen, auf andere Kulturen herabzuschauen, weil sie Lösungen finden, die wir nicht verstehen, auf Probleme, die wir nicht haben. Wo sonst auf der Welt ist es möglich, dass verschiedene christliche Konfessionen an einem Ort, der ihnen allen gleichermaßen heilig ist, so weit als möglich ihren Kult ausüben können? Natürlich hat so eine Lösung ihre Härten und ihre Nachteile, natürlich ist es denkbar, dass man eines Tages eine bessere Lösung findet. Das ist aber derzeit noch nicht absehbar. Also muss man versuchen, das beste daraus zu machen. Und wenn es einmal nachbarliche Reibereien gibt, die das Verhältnis trüben, dann ist daran häufig gerade nicht der Status Quo schuld."

(Quelle: kathpress.at, Bild: Wikimedia Commons / Deror Avi)