Offizieller Gründungsakt am 20. Juni - Österreich-Vertreterin Kienesberger von der Katholischen Sozialakademie: "Wir wollen in Brüssel die Lobby für den freien Sonntag sein" - Bischof Schwarz sieht Trend zum freien Sonntag in Europa - Altbischof Aichern warnt vor Aushöhlung des Sonntags

Der Wunsch nach gerechten und menschenwürdigen Arbeitszeiten und vor allem nach Sonntagsruhe eint neben den Kirchen immer mehr Organisationen und Interessensvertretungen. Manifest wird dieses Anliegen mit der Gründung der "Europäischen Sonntagsallianz" am Montag, 20. Juni, in Brüssel. Repräsentanten mehrerer auf nationaler Ebene bereits bestehender Allianzen, von kirchlichen Gruppierungen, Gewerkschaften, Familienorganisationen u.a. kommen zum offiziellen Gründungsakt der "Europäischen Sonntagsallianz"/"European Sunday Alliance" in die belgische Hauptstadt; von der "Allianz für den freien Sonntag Österreich" (www.freiersonntag.at) reisen Gabriele Kienesberger von der Katholischen Sozialakademie (ksoe) und Franz Georg Brantner von der GPA-djp an.

Laut Kienesberger geht es bei der europäischen Vernetzung nicht um ein "Verteidigen von Pfründen". Der Trend hin zu einer wirtschaftsliberalen Einebnung der Sonn- und Feiertage in den Alltag von Konsum und Geschäftigkeit bestehe seit langem und bringe - wie Studien belegen - Einbußen an Lebensqualität mit sich. Zuletzt habe sich gezeigt, dass diese Entwicklung nicht unumkehrbar ist: Kienesberger wies auf Länder in Osteuropa hin, wo die "totale Liberalisierung" nach dem Zerbröckeln des Kommunismus zunehmend auf Widerstand stoße. In Polen etwa habe die Solidarnosc erreicht, dass von ehedem null wieder auf zwölf arbeitsfreie Sonntage umgestellt wurde, in der Slowakei gebe es derzeit ähnliche Bestrebungen.

Mit der Gründung der Europa-Allianz sei auch ein Hearing von Experten verknüpft, die die Vorteile einer gesamtgesellschaftlichen Unterbrechung des Arbeitsalltages wissenschaftlich untermauern. Der deutsche Sozialwissenschaftler Friedhelm Nachreiner von der "Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung" (GAWO) in Oldenburg wird über seine Studie "Sonntagsarbeit als Risikofaktor für Sicherheit, Gesundheit und Privatleben" ebenso berichten wie eine britische Kollegin Jill Ebray über ihre Untersuchungen über die negativen Folgen der Sonntagsarbeit in der Region Manchester.

Widerstand in "Lugner-City" nachvollziehbar

Vor diesem Hintergrund überrascht es Kienesberger - wie sie sagte - auch nicht, dass eine Gewerkschaftsbefragung unter den Angestellten der Wiener "Lugner-City" jüngst eine überwältigende Mehrheit gegen Sonntagsöffnung erbrachte - und dies trotz in Aussicht gestellter doppelter Bezüge. Sonntagsarbeit sei nur vordergründig freiwillig und oft mit Druck verbunden, so die Sonntagsallianz-Sprecherin. Gerade alleinerziehende Verkäuferinnen bekämen zu hören, ihre Kinder könnten am Sonntag ohnehin von anderen beaufsichtigt werden.

Im Internet abrufbar ist bereits vor dem Brüsseler Treffen die Gründungserklärung der "Europäischen Sonntagsallianz". Die gemeinsamen Anliegen sind hier nochmals auf zwei A4-Seiten zusammengefasst. Einleitend heißt es: "Ein arbeitsfreier Sonntag und angemessene Arbeitszeiten sind ein hohes Gut für die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa. Wir, die Unterzeichner, sind der Überzeugung, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union das Recht auf angemessene Arbeitszeiten haben, die prinzipiell den späten Abend, die Nächte, die gesetzlichen Feiertage sowie die Sonntage von der Regelarbeitszeit ausnehmen."

Die Europäischen Institutionen werden zum Schutz des Sonntags als prinzipiellem gemeinsamen wöchentlichen Ruhetag in der EU aufgefordert. "Wir wollen in Brüssel die Lobby für den freien Sonntag sein", hat Kienesberger keine Berührungsängste mit einem zuletzt diskreditierten Begriff.

Die Mitglieder der Europa-Allianz sind auf der neu geschaffenen Webseite www.europeansundayalliance.eu einsehbar. Als Förderer werden u.a. die ComECE (Kommission der EU-Bischofskonferenzen) und die KEK (Konferenz Europäischer Kirchen) fungieren. Im Herbst soll sich die Allianz - wie Kienesberger ankündigte - als Verein konstituieren und ein nach außen auftretendes "Gesicht" bekommen.

Bischof Schwarz sieht Trend zum freien Sonntag in Europa

Der kirchliche Sprecher der "Allianz für den freien Sonntag Österreich", Bischof Ludwig Schwarz, bezeichnete die Gründung der Europäischen Sonntagsallianz als "wichtigen Schritt zu einem sozialen Europa". Dazu gehörten der freie Sonntag und angemessene Arbeitsbedingungen. "Österreich ist mit seinen 52 freien Sonntagen im Jahr in Europa Vorbild, wenn es um Zeitwohlstand und Lebensqualität in Form gemeinsamer freier Zeit geht", so der Linzer Bischof am Sonntag: "Wir nehmen einen Trend zum freien Sonntag in Europa wahr."

Allianz-Gewerkschaftssprecher Brantner, der an der Gründungsversammlung teilnimmt, betonte, der freie Sonntag sei ein Top-Thema in europäischen Handelsgewerkschaften. Erfreulich sei vor allem die Breite der Europäischen Sonntagsallianz. Die Allianz werde vom Europäischen Gewerkschaftsbund, vom ÖGB, von der Konferenz Europäischer Kirchen, von der polnischen Solidarnosc, von der "Allianz für den freien Sonntag Slowakei", von Familienverbänden und
vielen anderen mehr unterstützt, so Brantner in einer Aussendung am Sonntag.

Aichern: Aushöhlung des Sonntags ohne Mehrheit

Der Linzer Altbischof und einstige Referatsbischof für Soziale Fragen in der Österreichischen Bischofskonferenz, Maximilian Aichern, zeigte sich am Sonntag in einer Stellungnahme für das Kommunikationsbüro der Diözese Linz ebenfalls erfreut: "Der freie Sonntag und die Feiertage müssen uns immer ein Anliegen sein. Manche wollen es nicht verstehen und meinen, da es doch Sonn- und Feiertagsarbeit gibt, könnte diese auch leicht ausgedehnt werden.
Manche Menschen müssen natürlich auch heute an Sonntagen und Feiertagen notwendige Dienste leisten - Krankenpflege, Sicherheit, Tourismusausnahmen, Verkehrsmittel, Gastwirtschaft, manche Industrien. Jede Ausweitung darüber hinaus führt zu Zwang und Konkurrenzdenken."

Sehr oft stehe das Leben heute unter wirtschaftlichen Sachzwängen, und es kämen Argumente, die kurzfristig "mehr Effizienz, mehr Leistung, mehr Produkt, mehr Gewinn versprechen". Immer würden aber wichtige Teile ausgespart, die ebenso Voraussetzung für ein gutes Leben seien - Familie, geglückte Kindheit, gute Ausbildung, Zeit, Verständnis, Freude am Leben.

"Wer nur arbeitet, wird bald erschöpft sein und zusammenbrechen und gar nichts mehr leisten können. Wer keine Rekreation, Erholung, Muße und Spiritualität hat, dem wird das zwar nicht kurzfristig beim Gewinn oder bei der Leistung schaden, aber er wird langfristig ausbrennen. Und wer nur eine individuelle Freizeit hat - damit bin ich bei der Aushöhlung des freien Sonntags -, diese aber nicht mit seinen Beziehungspersonen erleben kann, der wird verarmen oder Angstzustände bekommen", so Aichern.

In den 1990er-Jahren hätten Bischöfe und kirchliche Bewegungen in der damaligen Situation einen Dialog für Österreich ausgerufen. Bei der Delegiertentagung der österreichischen Kirche 1999 in Salzburg sei u.a. beschlossen worden, eine "Allianz für den freien Sonntag -
und für die in Österreich üblichen freien Feiertage" - zu gründen.
Der Dialog für Österreich habe die Sorge geteilt, dass aus wirtschaftspolitischen Gründen und durch Druck wegen der Praxis in anderen EU-Staaten "ernste Gefahr für die Aushöhlung des gesetzlich garantierten freien Sonntags in Österreich durch immer umfassender werdende Ausnahmen" bestanden habe. Mit der Katholischen Sozialakademie (KSOE) hätten Bischöfe, die Katholische Aktion sowie kirchliche Bewegungen und Organisationen begonnen, allen österreichischen Diözesen Impulse für eine motivierende Arbeit zugunsten des freien Sonntags und der gesetzlichen Feiertage zu geben.

"Wir schlugen auf Bundesebene und in den Bundesländern Gespräche auf ökumenischer Basis mit den politischen Parteien, den Sozialpartnern, der Wirtschaft, den Kammern, den Betrieben und Kulturvereinen vor. In der Diözese Linz, sie entspricht dem Bundesland Oberösterreich, haben wir sehr intensiv mit allen verantwortlichen Kräften geredet, und schon bald auf ökumenischer Basis eine Versammlung im Bischofshof mit Sozialpartnern, Kammern, Kultur, sehr vielen Vereinen und politischen Parteien abgehalten. Dabei stellten wir fest, dass es nur wenige Lobbyisten waren, die unbedingt den Sonntagsschutz aufweichen wollten, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die weitaus meisten Betriebe waren dagegen", so  Aichern.

Kritik übte er an der "kleinen, aber einflussreichen Minderheit", die Druck ausübe und gut vernetzt mit Massenmedien sei. Sie stelle die Situation oft so dar, "als sei es ein Wunsch der Konsumenten und ein öffentliches Verlangen, die Sonntage wie Werktage zu gestalten". Durch Umfragen und mühevolle Kleinarbeit konnte aber erhoben werden, dass eine überwiegende Mehrheit der Österreicher gegen eine Lockerung des Sonntagsarbeitsverbotes sei.

Die "Allianz für den freien Sonntag" sei zuerst in Oberösterreich gegründet worden. Unterzeichnet hätten die Verantwortlichen der Ökumene und vieler Organisationen wie Kammern, Unternehmensverbände, Gewerkschaften, zahlreiche Vereine aus der Kulturarbeit sowie Freizeitverbänden wie z.B. der Alpenverein. In mehrere Landesverfassungen seien Klauseln zur Garantierung der Freiheit von Sonn- und Feiertagsarbeit eingefügt worden; man habe auch immer wieder Gespräche mit den zuständigen Ministern in der Bundesregierung und mit der EU-Kommission geführt, rekapitulierte Aichern.

In zäher Kleinarbeit sei es gelungen, das Anliegen bekannter, verständlicher und bewusster zu machen. Auch die Sozialpartner stünden stark hinter der Allianz.

Aichern abschließend: "Schon in den ersten Jahren unseres Engagements meldeten sich die Kirchen und Interessierte und Partner aus Deutschland, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Slowakei, Tschechien und anderen Ländern. Es gab von diesen Seiten Anfragen an uns, wie der Prozess der Kirchen zur Bewusstseinsbildung für den freien Sonntag und die Feiertage gelaufen ist. Sehr erfreulich ist, dass nun ein wichtigste Schritt ansteht: Nun soll die Allianz für den freien Sonntag auf Europaebene ausgedehnt werden. Der freie Sonntag ist das älteste Sozialgesetz der christlich-jüdischen Zivilisation, begründet im Alten Bund (3. der 10 Gebote Gottes). Das gemeinsame Rasten, die sozialen Kontakte und das Lob Gottes sind bedeutsamste christliche Werte, die für die Menschenwürde wohl unabdingbar sind." (kap)