Nicht nur die Geschehnisse um den Kriegsausbruch vor 100 Jahren, auch die derzeitige Finanz-Krisen-Situation innerhalb der Europäischen Union fordern zum Nachdenken über Europa. "Wie kann Europa neu erfunden werden?" Eine Woche lang trafen sich im Rahmen der "Salzburger Hochschulwoche" WissenschaftlerInnen aus dem In- und Ausland um nach Antworten zu suchen.

"Europa - Entgrenzungen" war der Titel der diesjährigen Salzburger Hochschulwoche, die vom 28. Juli bis 3. August stattfand. Im Rahmen dieser philosophisch-theologischen Sommertagung stellten zahlreiche WissenschaftlerInnen aus dem In- und Ausland ihre Überlegungen bezüglich einer "Neuerfindung" Europas einer breiten Öffentlichkeit dar. Einen Überblick über die Vorträge finden Sie auf der Website der Hochschulwoche.

Theologischer Preis

Seit 2006 wird im Rahmen der Woche der "Theologische Preis" als Anerkennung eines theologischen GEsamtwerkes verliehen. Dieses Jahr ging an das Brüderpaar Christoph und Michael Theobald. Am Mittwochabend wurde den in Tübingen und Paris lehrenden Theologen der mit 5.000 Euro dotierte Preis zur Würdigung ihres theologischen Gesamtwerkes in Salzburg überreicht.

In ihren Dankesreden gingen die Brüder u.a. auf das Thema der Hochschulwochen - "Europa - Entgrenzungen" - ein. Dabei rief Christoph Theobald dazu auf, ein "neues Verhältnis zu unseren Grenzen" zu entwickeln, das nicht von Ausgrenzungen, sondern von der Idee übergreifender europäischer Gastfreundschaft getragen sei. Dieser letztlich urbiblische Begriff der Gastfreundschaft helfe, so Christoph Theobald, "auf den Begriff des christlichen Abendlandes zu verzichten und das Christliche im entchristlichen Europa zu denken".

Der Exeget Michael Theobald wiederum unterstrich die Bedeutung kontext-sensibler Übersetzungen der biblischen Überlieferung. Schließlich sei Jesus "kein Gesetzeslehrer, sondern eschatologischer Prophet" gewesen. Die "Vielstimmigkeit der Gotteserfahrung" dürfe "nicht in ein widerspruchsfreies Konzept überführt werden".

Eine solche Klarstellung habe durchaus auch Folgen etwa für das heute breit diskutierte Thema des kirchlichen Eheverständnisses: Jesus habe "kein ontologisches Eheverständnis" gekannt, so Theobald, vielmehr sei die Paulinische Übersetzung der Lehre Jesu in Form der Entwicklung einer je individuellen, auf die jeweiligen Nöte der Menschen eingehende Scheidungspraxis, durchaus von der biblischen Tradition gedeckt.

Publikumspreis

Die Salzburger Nachwuchs-Theologin Verena Bull ist mit dem im Rahmen der "Salzburger Hochschulwochen" vergebenen "Publikumspreis für wissenschaftliche Kommunikation" ausgezeichnet worden. Der heuer zum neunten Mal vergebene und mit 1.000 Euro dotierte Preis würdigt die wissenschaftliche und zugleich kommunikative Leistung der Theologin, die in Salzburg über das Verhältnis des Heiligen Stuhls zu Europa zur Zeit Pius' XI. (1922-39) referiert hatte.

Abschließender Gottesdienst

Den Schlusspunkt der philosophische-theologischen Sommertagung bildeten ein Gottesdienst mit dem Salzburger Erzbischof Franz Lackner sowie ein Vortrag des früheren tschechischen Außenministers Karel Schwarzenberg. Der Erzbischof forderte dabei verstärkte Solidarität für Menschen in Not. "Als Christen und Christinnen dürfen wir niemanden wegschicken." Gegen eine "Wegschiebementalität" und die Logik des "Nichts-mehr-machen-Könnens" habe sich zum Beispiel die 2009 verstorbene Hospiz-Pionierin Hildegard Teuschl gewehrt. Die Begründerin der Hospizbewegung habe die Maxime gehabt: "Wenn man nichts mehr machen kann, kann man noch immer viel tun."

Durch eine zu starke Fixierung auf Wissen über Gott falle es vielen schwer, an die "Überraschungen Gottes" zu glauben, die dem Menschen gerade an seiner Grenze geschenkt würden, so Lackner. Es brauche hier eine "Grenzüberschreitung zu Gott" - aber zugleich auch eine, die hin zum Mitmenschen führe. Denn Verschiedenheit in Kultur, Religion und sozialer Gegebenheit dürfe nicht als Grenze stehen gelassen werden, so Lackner. Es sollte vielmehr ein neues Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen, das "geprägt ist von Anerkennung, Respekt und Verantwortung vor- und füreinander", sagte der Erzbischof.
 

Schwarzenberg: "Sprachlosigkeit" überwinden

Karel Schwarzenberg sagte in seinem Vortrag, Grenzen entstünden aus Angst, und ihre Überwindung bedeute, "nicht ausgesperrt zu werden". Als wichtigsten Schritt der Entwicklung der Europäischen Union bezeichnete er das Ende der "Aussperrung": die Eingliederung mitteleuropäischer Staaten vor zehn Jahren. Erst zu dieser Zeit sei die Union auch langsam zu einer europäischen geworden. Dazuzugehören, sich frei über Landesgrenzen zu bewegen - das sei für die Menschen konkretes Zeichen, Teil der EU zu sein.

Doch es gebe noch viel zu tun: Dies betreffe zum einen die Staaten auf dem Balkan und die immense Jugendarbeitslosigkeit, zum anderen die Ukraine - ein "Pulverfass", aber ein Land mit begeisterten Europäern.
Mit Entschiedenheit forderte Schwarzenberg, den "europäischen Egoismus" zu überwinden und Entgrenzungen in der Außenpolitik vorzunehmen - ohne dabei die damit verbundenen Schwierigkeiten zu leugnen.

In einem zweiten Schritt machte Schwarzenberg auf die inneren Grenzen aufmerksam. Von "unfassbarem" Wohlstand umgeben sei es unsere Pflicht, Verantwortung für die Mitmenschen zu übernehmen, d.h. Grenzen zu beseitigen. Als Beispiele führte er die Ghettoisierung von Migranten sowie die Schere zwischen Arm und Reich an.

Schließlich führten Schwarzenbergs Betrachtungen zur Frage nach Vorurteilen, die Grenzen in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen entstehen lassen - nicht zuletzt auch innerhalb der Katholiken. Er bedauerte, dass sich manchmal konservative und progressive Kreise in "Sprachlosigkeit" gegenüberstünden, anstatt in einen kreativen Dialog einzutreten.

Es gehe nicht lediglich um Toleranz, so Schwarzenberg, sondern um Respekt: "Nur wenn uns mit der Angst vor unserem Nächsten und vor uns selbst auseinandersetzen, können wir wirkliche Entgrenzungen zustande bringen."

kathpress / red.