„Wir alle verletzen und werden verletzt“, sagt die Salvatorianerin Sr. Melanie Wolfers beim Diözesanen Besinnungstag in Maria Bildstein. Wie man diese Verletzungen für sich und sein Leben nutzt, zeigt sie in einem sehr persönlichen Vortrag.

Sie nimmt die Dinge beim Wort. Jemandem etwas nachtragen? Bitte: Wolfers wuchtet einen der großen Wackersteine von der Bühne und schleppt ihn Pastoralamtsleiter Martin Fenkart hinterher. Einmal quer durch den Pilgersaal in Maria Bildstein und dann nochmal und nochmal.
Die Belastung, die so eine Unversöhnlichkeit für alle Beteiligten bedeutet – sie, die Schleppende, ihn, den Verfolgten, und alle, die dabei zusehen – hätte Wolfers kaum deutlicher machen können. Denn: Auch der Beobachterposten ist sehr, sehr unangenehm.
Und das ist nur einer der Aha-Momente, die ihr Vortrag zur „Kraft der Vergebung – wie wir Kränkungen überwinden und von Neuem vorwärtsleben“ beim gestrigen Diözesanen Besinnungstag bereithielt.

Tiefe Wunden

Viele sind dem Ruf der Salvatorianerin und Bestseller-Autorin ins nebelverhangene Bildstein gefolgt. Jeder von ihnen – Bischof Benno Elbs, Pastoralamtsleiter Fenkart, Generalvikar Rudolf Bischof, Caritasdirektor Walter Schmolly und viele Mitarbeiter aus allen Bereichen der Diözese – hatte seine ganz eigenen Erinnerungen im Gepäck: „Verletzungen und Kränkungen erleidet jeder von uns im Laufe seines Lebens“, sagt Wolfers, „und Beziehungswunden sind die tiefsten.“

In die richtige Richtung

Mit vielen klugen Bildern und Beispielen aus Psychologie und Bibel erläutert sie, warum es sinnvoll ist, sich dem Vergebungsprozess zu stellen, und was das bedeutet. Es gehe weder darum, Geschehenes zu vergessen oder in vorschnell zu verzeihen, sagt Wolfers. Vielmehr müsse die produktive Integration der Kränkung in die eigene Biografie das Ziel der Auseinandersetzung sein: „Auf die Richtung kommt es an.“

Eine Wunde zur Zeit

Vor allem für Seelsorger sei der aufmerksame Umgang mit den eigenen Verletzungserfahrungen wichtig: Pfarrer Paul Burtscher erzählt zur Einstimmung die Geschichte eines Rabbiners, der den Heiland sucht. „Der sitzt im Torhaus unter den Armen und Versehrten“, sagt man ihm. Man erkenne ihn daran, dass er im immer nur eine seiner Wunden zugleich aufdecke, um sie zu lüften und neu zu verbinden, niemals alle zugleich.
So sollten es auch Seelsorger tun, meint Wolfers: Die eigene Menschlichkeit, die eigenen Wunden dürften zwar nicht im Vordergrund stehen, aber auch keinesfalls in Vergessenheit geraten. Ein manchmal schmaler Grat – der auch im Plenum für Diskussionen sorgt: Wann ist der richtige Moment, um einen Vergebungsprozess anzustoßen? Ist es IMMER der richtige Weg?

Heiler werden

„Nein“, sagte Wolfers, „aber oft“. Die Voraussetzungen – Freiwilligkeit und seelische Stabilität – müssten stimmen. Dann aber sei es lohnend, sich der Herausforderung „Vergebung“ zu stellen. Was das heißt? Zuerst die eigene innere Realität inklusive aller Empfindungen in den Blick zu nehmen und dann zu versuchen, die Begleitumstände zu verstehen („Wenn jeder alles vom anderen wüsste, könnten jeder jedem alles verzeihen“). Es falle so leichter, die Perspektive zu wechseln und sich nicht länger zu fragen, warum man diese Erfahrungen hat machen müssen, sondern wozu, erklärt Wolfers: „Man muss aufzuhören, auf eine bessere Vergangenheit zu hoffen.“
Dass dieser Prozess kein linearer ist, keiner den man „mal eben nebenbei“ wuppt: klar. „Aber man kann dabei heiler werden“, sagt Wolfers.

Der Grund des Lebens

Bevor der Kapstadter Cellist Reginald Teys, derzeit Student am Landeskonservatorium in Feldkirch, am späten Nachmittag zu einem letzten seiner wunderbaren Intermezzi mit Musik von Sofia Gubaidulina und Johann Sebastian Bach ansetzt, zitiert Wolfers die „Taufe im Jordan“ von Andreas Knapp:

wie tief
muss ich untergetaucht werden
bis ich dem leben
auf den grund komme

wie rein
muss ich gebadet werden
bis meine haut
durchatmet wird von licht

wie zart
muss mir gesagt werden
dass ich geliebt bin
dass ich es wirklich
glauben kann

Wie wahr!