Herbstsymposion der Katholischen Kirche Vorarlberg in St.Arbogast zum Thema "Nun sag, wie haben's die Jugendlichen mit der Religion?"

"Cola anstelle von Wasser, das ist ein untrügliches Zeichen, dass Jugendliche unter uns sind." Hausherr Josef Kittinger vom Jugend- und Bildungshaus St. Arbogast kam gleich auf das Thema des diesjährigen Herbstsymposions der Katholischen Kirche  Vorarlberg zu sprechen. Mit einer Rekordbeiteiligung von über 170 Teilnehmer/innen startete die traditionelle Auftaktveranstaltung von Institut für Religionspädagogische Bildung in Feldkirch, Pastoralamt der Diözese und St.Arbogast."Nun sag, wie haben's die Jugendlichen mit der Religion?" Diese Gretchen-Frage, frei nach Goethes Faust, ist eine nahezu existentielle Frage für Religionslehrer/innen und für Priester, Pastoralassistenten und Jugendleiter gleichermaßen.

Und welch besserer Ort ließe sich in Vorarlberg finden als das - eben - JUGEND- und Bildungshaus St.Arbogast. Waren es doch gerade Jugendliche, die Ende der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts teilweise eigenhändig St.Arbogast (mit-) erbaut haben. Für ein Haus in Arbogast etwa haben Jugendliche in Wochenend- und Abendschichten die Ziegel selbst gebrannt.

Cola anstelle von Wasser, das haben sich vielleicht die Jugendlichen von damals noch nicht gewünscht. Und heute? "Den Jugendlichen begegnen wir Erwachsene," so Pastoralamtsleiter und Mit-Veranstalter Walter Schmolly, "mit drei verschiedenen Tönen. Erstens vernehmen wir den Ton der Sorge: Warum bloß sind keine oder kaum Jugendliche in unseren Gottesdiensten?" Der zweite Ton sei dann aber gleich der Ton des Interesses. Denn Jugendliche von heute sind durchaus begabt, und keine Generation vorher hatte so viele Möglichkeiten und Optionen. Das führe, so Walter Schmolly weiter, schließlich zum dritten Punkt, dem Ton der Zuversicht: "Gott hat sich ausnahmslos mit jedem Menschen verbunden, sagt Frère Roger Schütz von Taizé." Wie also kämen Erwachsene auf die Idee, dass das bei Jugendlichen nicht der Fall sein könnte.

Antworten, und zwar direkt und unverblümt gaben 10 Jugendliche, die in einem Theaterprojekt (begleitet von  Dagmar Ullmann-Bautz) ihre Sichtweise präsentierten. Vorangegangen waren der Theaterarbeit viele Interviews im ganzen Land, die Anita Bonetti von JugendInitiativ eingeholt hatte. Die Jugendlichen gaben diesen Statements ihren kreativen Ausdruck. In Zitaten und kurzen Szenen durfte das Publikum hören, welche Stichworte Jugendliche mit mehr oder weniger Nähe zur Kirche heute in Vorarlberg bewegen: Kommunikation, Ehrlichkeit, Familie, Freunde (als Auszeit von der Familie), der Sinn des Lebens, Sexualität, Kollegen, Beziehung, neue Leute kennen lernen, Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit, freie öffentliche Plätze als Treffpunkte, Natur, Toleranz.

Klingen eigentlich ziemlich erwachsen, diese Werte. Und doch formulierten die Jugendlichen gerade einige Fragen an die anwesenen Erwachsenen, inklusive Diözesanleitung: "Ist es nicht ungerecht, wenn im Gottesdienst der Priester vorne so spricht, weil er gecheckt hat, was er sagt, ich ihn aber einfach nicht verstehe? Jugendliche und Kirche - das ist doch ein Widerspruch?" Und direkt ans Publikum gewandt: "Versteht ihr uns überhaupt?"

Vom lockeren Schauspiel, bedacht mit viel verständnisvollem  Beifall der erwachsenen Pädagogen und Seelsorger führte die Sozialpädagogin Ulla Birnbaumer, Leiterin einer betreuten Wohngemeinschaft des IfS Vorarlberg, in gänzlich andere Jugendwelten. In jene Welten, die sich Jugendliche eben gerade nicht selbst ausgewählt hatten. Die Frage, die sich Jugendliche in ihrer Arbeit oft stellen, begleitet oft mit einer Botschaft der Verweigerung. lautet häufig: "Wo ist mein Platz?" Die Botschaft von Jugendlichen, die mit Fremdunterbringung konfrontiert sind, sei häufig eine Botschaft der Verweigerung. Dennoch: Ein von Birnbaumer betreutes Mädchen, deren Geschichte von Flucht, Entwurzerlung und Missbrauch erzählte, hatte sich folgende Überlebenstrategie zurechtgelegt: "Immer wenn es mir besonders schlecht ging, dann habe ich etwas getan, das mir Freude gemacht hat, das mir Schmetterlinge im Bauch gegeben hat. Und dann habe ich weiter gemacht. Denn das Leben ist so schön."

Zur Lebenssituation junger Menschen in Österreich haben die Veranstalter Prof. Regina Polak vom Institut für Pastoraltheologie (Wien) geladen. Sie weitete den Blick, indem sie nicht nur nach der Zukunft der Kirche, sondern nach der Zukunft der Gesellschaft überhaupt fragte. In Österreich werde zwar das 1,4- bis 1,7-fache des OECD-Durchschnittsf für Kinder und Jugendliche ausgegeben, dennoch habe Österreich ziemlich schlechte Werte, was die Chancengleichheit eben dieser untereinander beträfe. Die Frage, wie die Jugendlichen es mit der Religion haben, muss für Polak umformuliert werden in die Frage: "Gesellschaft, wie hast du's mit den jungen Menschen?"

Aus der Jugendwertestudie 2006/07 präsentierte Regina Polak die Einsicht, dass die Trends unter Jugendlichen, die ja zugleich auch immer Trends in der Gesellschaft anzeigen, vom Experimentieren zur Anpassung führen. Im Jahr 2000 zeichneten sich Jugendliche oft durch Experimentierfreude und Ringen um Balance aus: „Ich bin das Experiment, das gelingen muss.“ Bis 2006 gab es gravierende Veränderungen und Verschiebungen im Wertgefüge: „Jugend unter Druck“, so der Befund von Polak. Auf die Verunsicherung antworten Jugendliche heute mit den Schlagworten Lieben, Leisten und Hoffen.

Bei der Grundstimmung unter Jugendlichen machte Polak zwei Risiken im vorherrschenden Wertepluralismus aus: Fundamentalismus und Relativismus. Die Werteorientierungskrise rühre aber nicht - wie vielfach vermutet und formuliert - von einem Wertemangel, sondern von einem Werteüberschuss her.

Regina Polak: Zur Lebenssituation junger Menschen in Österreich (pdf-Version der Präsentation auf dem Herbstsymposion am 7. September 2009)

Die Referate von Prof. Dr. Martin Lechner (Lehrstuhl für Jugendpastoral an der Hochschule Benediktbeuren) finden Sie hier:
_ Was sollen wir in der Jugendpastoral wollen? Stimmige Ziele kirchlicher Jugendarbeit.
_ Wenn wir es ernst meinen mit der Jugendarbeit - Was bedeutet das für uns?