Dass die Kluft zwischen Arm und Reich besonders in Österreich groß ist, ist nichts neues. Dass Armut auch in Vorarlberg ein wichtiges Thema ist, ist hingegen weniger präsent. Michael Diettrich, Geschäftsführer des Verein dowas (Der Ort für Wohnungs- und Arbeitssuchende), erklärt, warum von einer Entspannung der Armutssituation in Vorarlberg nicht die Rede sein kann und die Mindestsicherung sicher kein Luxusangebot ist.

Wirft man an einem Dienstagnachmittag beispielsweise einen Blick in Richtung des Kapuzinerklosters in Feldkirch, wird einem bewusst, dass es doch viele geben muss: Menschen, die den Alltag finanziell kaum selber bestreiten können und deshalb auf die (Lebensmittel)Spenden - z.B. von Tischlein deck dich - angewiesen sind. Ähnlich verhält es sich bei den Menschen, die nicht nur arbeits-, sondern auch wohnungslos sind.

Bedarf an Mindestsicherung
Insgesamt 971 Personen wurden letztes Jahr vom Verein dowas  (Der Ort für Wohnungs- und Arbeitssuchende) betreut. Dies bedeutet einen Anstieg von ganzen 19 Prozent zum Vorjahr. Davon beziehen 800 Personen Leistungen im Rahmen der Mindestsicherung, 11 Prozent mehr als 2012 – und 78 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Am stärksten ist der Zuwachs allerdings bei den Frauen. Bei Beziehern von Mindestsicherung war der Anstieg mit 16 Prozent doppelt so hoch als jener der Männer, insgesamt sind 41 Prozent der Klienten weiblich.

Wir räumen den Müll weg
Besonders armutsgefährdert sind Alleinerziehende und Mehrkinderfamilien. “Wer eine Wirtschaftspolitik betreibt, die ausschließlich die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnmaximierung im Blick hat”, darf sich nicht über die sozialen Folgen dieser Politik beklagen, erklärt Diettrich das “Gejammer über steigende Sozialausgaben” für scheinheilig. "Wir im Sozialbereich räumen ja immer nur den – sagen wir es einmal hart – Müll weg”, zieht er ein Fazit.

Kritik an Mindestsicherung
Insbesondere die Mindestsicherung steht dieser Tage im Fokus der Kritik, wenn auch nicht in Vorarlberg. Die Armutskonferenz übt an mehreren Bundesländern aufgrund deren Praxis bei der Mindestsicherung Kritik. In Kärnten bestehe der Angehörigen-Regress nach wie vor, erklärt Sozialexperte Martin Schenk. Aber auch im Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich und Tirol gebe es Versuche, Angehörige von Hilfesuchenden zur Kasse zu bitten. In Vorarlberg, Wien sowie Salzburg Stadt sei die Praxis, Unterhaltsklagen einzufordern, hingegen nicht vorzufinden. 

Gesucht: Arbeitsstellen
Lediglich ein Prozent der Sozialausgaben macht die Mindestsicherung aus und natürlich gebe es auch Betrug, aber - so Diettrich- die Mindestsicherung gehöre auch zu den am stärksten kontrollierten Sozialausgaben Österreichs.Von Luxus oder Komfort könnte mit einer Mindestsicherung auch nicht die Rede sein. “Versuchen Sie einmal, von 612 Euro ohne Miete zu leben, dass ist keine Komfortzone”, betont Diettrich. Statt einer Arbeitspflicht brauche es eine Qualifikationsverpflichtung, es gäbe einfach die Arbeitstellen für die Suchenden nicht.

Moralisch ein Problem
Ein ebenfalls nicht zu vernachlässigender Faktor sei die Betreuung der anerkannten Flüchtlinge und in der Notschlafstelle. Nach Österreichern stellen Tschetschenen (8,4 Prozent), Türken (6,1 Prozent) und Deutsche (6,0 Prozent) die größten Beratungsgruppen. Unter den straffällig gewordenen Ausländern sind die Deutschen inzwischen die größte Gruppe. 61 Prozent der 222 Klienten in der Notschlafstelle 2013 waren keine österreichische Staatsbürger. 49 Prozent hätten nicht einmal ein Aufenthaltsrecht. Diese haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen und können daher nur für vier Tage in der Notschlafstelle bleiben. “Danach müssen wir sie wieder auf die Straße setzen, was im Winter für uns moralisch oft ein Problem ist”, erklärt Diettrich.

Armutswanderung
Auch die  „europäische Armutswanderung“ macht sich bemerkbar. Der Verein beobachte eine steigende Zahl von Menschen, die versuchten, der Armut in ihrem Heimatland zu entkommen und dann ohne Aussicht auf Arbeit und Bleiberecht in Vorarlberg strandeten. Den derzeitigen Umgang mit dem Problem hält Diettrich für unbefriedigend. „Es ist völlig naiv zu glauben, wir könnten wie im Mittelalter einfach mal die Stadttore schließen.“ Je restriktiver sich die Gesellschaft gegenüber rumänischen Bettlern verhalte, desto mehr blieben diese ihrem Schicksal überlassen: „Es kann durchaus sein, dass wir so die organisierten Bettlerbanden erst erzeugen, die wir heute schon allenthalben vermuten.“

Das sollten wir uns leisten können
Österreich habe außerdem  stark von der EU und der Osterweiterung profitiert - denkt man nur an die rumänischen Pflegekräfte. Dass ihnen auch eine kleine Gruppe von Armen in die Wohlstandsländer folge, sei nachvollziehbar. Österreich selbst verdiene an der Zuwanderung mehr als dass sie koste, dies sei beweisbar. Vorarlberg habe 2013 nicht viel mehr als 40.000 Euro für Menschen ohne Daueraufenthaltsrecht aufgewendet. “Das sollten wir uns leisten können.” (red/vol/standard)