Kommentar von Petra Steinmair-Pösel

Sie hat mich seltsam berührt heute Früh: Die Nachricht vom Tod – genauer gesagt von der Tötung – Osama Bin Ladens heute Nacht. Alle, denen Leben und Würde des Menschen ein Wert seien, müssten sich über seinen Tod freuen, hieß es dann in einem Radiobericht. Und während ich noch beim Frühstück sitze, überflutet mich eine Welle von Fragen.

Ich kann jene verstehen, die unmittelbar von Bin Ladens Terror betroffen waren, Kinder, Partner, Eltern, Freunde verloren haben und sich nun von seinem Tod Erleichterung ihrer Sehnsucht nach Vergeltung, nach „Gerechtigkeit“ erhoffen. Doch: Sich über den Tod eines Menschen freuen, weil einem Leben und Würde der Menschen wichtig sind: Da stimmt wohl etwas nicht – das ist geradezu absurd!

Freilich: Bin Laden war ein Terrorist und Massenmörder, auch wenn er die Opfer von 9/11 nicht eigenhändig getötet hat. Doch ist dieser Mensch nicht selbst schon längst vom Täter zum Opfer geworden? Zum Opfer freilich nicht nur der Geheimdienste, die ihn die vergangenen 10 Jahre über jagten und heute Nacht schließlich töteten. Sondern auch zum Opfer der Logik seines eigenen Tuns? „Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ (Mt 26,52) Die Worte Jesu am Beginn seiner Passion hallen in mir wieder. Jesus hat damals die Spirale der Gewalt durchbrochen. Heute, nach der Ermordung Osama Bin Ladens, fürchte ich, dass sie sich weiterdrehen wird: dass sich Hass und ohnmächtige Wut von neuem entzünden und in Tod und Terror entladen oder aber untergründig, als Ressentiment der Ohnmächtigen, ihr zerstörerisches Unwesen treiben werden.

Und noch eine Frage bewegt mich: Welche Erfahrung wird ein Mensch in seinem Tod machen, der an einen Gott glaubte, der Gewalt und Tod bringt und will? Eigentlich ist es mehr eine Hoffnung: Die Hoffnung dass er, der gejagte, getötete, zum Opfer gewordene Täter in die Hand eines Gottes fällt, dessen Liebe auch ihn aufzufangen vermag. Jenes Gottes, von dessen Geist getragen Jesus unter Todesqualen sagen kann: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34)

Deshalb ist in diesen Stunden wohl weniger Jubel angesagt als das Gebet für einen Menschen, der – hineingezogen in die Spirale der Gewalt – selbst Gewalt gesät und geerntet hat. Und das Wissen darum, dass die Ermordung eines Menschen nie einen Triumph für die Menschenwürde bedeutet kann – sondern nur das Mitgefühl mit einem, der seine Würde und sein Recht auf Leben verspielt zu haben scheint.