In dieser Woche beschäftigt sich Dr. Petra Steinmair-Pösel mit einem weiteren Begriff aus dem "Beziehungstragnetz" von Bischof Elmar Fischer. Die Autorin ist Theologin und arbeitet als Frauenreferentin der Katholischen Kirche Vorarlberg sowie im wissenschaftlichen Bereich, ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.

von Dr. Petra Steinmair-Pösel

Sie ist Fluch und Segen zugleich - die Feinfühligkeit. Warum Fluch? Vielleicht ist das ein sehr starkes, ein geradezu dramatisches Wort. Was es zum Ausdruck bringen soll: Manchmal ist es alles andere als fein (im Sinne von angenehm), "feinfühlig" zu sein. Man/frau nimmt dann auch die feinen Zwischentöne wahr, die leisen Anspielungen, das Unausgesprochene, das manchmal besser ungesagt bliebe. Das kann als belastend erlebt werden, vor allem in jenen Zusammenhängen, wo es schwierig - weil sozial inakzeptabel - ist, über Gefühle zu sprechen. Gerade in manchen beruflichen Kontexten machen feinfühlige Menschen (und nicht selten sind das aufgrund ihrer Erziehung und gesellschaftlichen Prägung Frauen) diese Erfahrung.

Andererseits ist Feinfühligkeit aber auch ein Segen. Zunächst für jene, welche die Chance hatten, diese Qualität bei sich zu entwickeln: Sie nehmen eine Vielfalt an Nuancen, an Stimmungen, an Färbungen wahr - in ihrer Umwelt, bei anderen Menschen, in sich selbst. Unendlich bunt und reich ist da die Welt, die es immer neu zu entdecken und zu erschließen gilt. Wer fein-fühlig ist, fühlt eben auch die feinen Unterschiede, die das Leben manchmal erst lebenswert und Menschen unendlich liebenswert erscheinen lassen.

Aber auch für andere können feinfühlige Menschen zum Segen werden, indem sie helfen, bisher Unausgesprochenes (weil Unaussprechliches) in Worte zu fassen. Sie sind dann wie BegleiterInnen in neue Welten, GeburtshelferInnen, die es möglich machen, etwas in Worte zu fassen, für das es bislang keine Sprache gab. Für Kinder ist es wichtig, feinfühlige Eltern oder Bezugspersonen zu haben, die - besonders in Krisenzeiten - helfen, die hereinbrechenden, neuen und damit auch Angst machenden Gefühle zu benennen. "Trotzphasen" sind beispielsweise solche Zeiten, in denen sich Kindern unbekannte, oft als erschreckend erlebte Gefühlswelten eröffnen. Dafür eine nicht-moralisierende Sprache zu finden und so der übermächtigen Emotion ihren Schrecken zu nehmen, ist eine wesentliche Aufgabe von Erziehung.

Und wenn es an Fein-Fühligkeit mangelt? Lässt sich diese Qualität auch entwickeln, kultivieren? Eine Grundvoraussetzung dafür ist wohl so etwas wie eine geerdete Spiritualität, um auch die mühsamen Seiten der Feinfühligkeit auszuhalten und nicht in die Oberflächlichkeit zu flüchten - denn es ist eben nicht immer fein, feinfühlig zu sein. Eine weitere Grundlage ist die Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit. Nur wenn ich achtsam mit anderen und mit mir selbst umgehe, kann ich auch die leisen Töne wahrnehmen. Wenn ich - getrieben von äußeren Zwängen und "vollgedröhnt" von den lauten Frequenzen des Alltags - durchs Leben hetzte, werde ich für die anderen rasch zum sprichwörtlichen Elefant im Porzellanladen. Dann laufe ich Gefahr, die Verbindung zu meinen eigenen Quellen ebenso zu verlieren, wie die Verbindung zu meinem Gegenüber. Deshalb braucht es - eingestreut in den Alltag - Orte und Zeiten der Entschleunigung, der Stille, der Sensibilisierung. Das kann der bewusste Spaziergang ebenso sein wie die Gebetszeit, das zelebrierte Festessen ebenso wie das aufmerksame Gespräch.

Sensibilität - das aus dem Lateinischen stammende (Fremd-)Wort für Feinfühligkeit - bringt noch eine weitere Facette zum Strahlen, die zu betonen gerade in unserer jüngeren christlichen Tradition hilfreich ist: Sensibilität kommt von "sensus" - hat also mit Sinn und Sinnlichkeit zu tun. Neben dem inneren Einfühlungsvermögen ist Feinfühligkeit eng mit Sinnlichkeit und Erotik verwoben, weiß um die Kraft des Berührens und Berührt-Werdens: Berührungen können nicht nur heilsam sein, sondern machen oft etwas spürbar, wo Sprache brüchig wird und Worte nicht (mehr) taugen. In der christlichen Tradition haben die Sakramente dieses tiefe Wissen um die Kraft der sinnlichen Zeichen und Berührungen (z.B. Salbungen) kultiviert und verfeinert. Feinfühlige sind somit auch sinnliche Menschen: Menschen, die die Feste der Liebe zu feiern verstehen mit aller Achtsamkeit und Sensibilität - wissend, dass ohne Feinfühligkeit die liebevolle Begegnung nur allzu leicht in schmerzliche Verletzung kippen kann.

24 Begriffe führen, so die Ausführungen von Bischof Elmar Fischer, ins Zentrale: hin zum Sinn - zum Wert - zur Liebe und damit hin zur Gestaltung der Beziehung: "im Geist Jesu", so der Diözesanbischof. Mehr zum "Beziehungstragnetz" lesen Sie nächste Woche: Achtung, erörtert von Corbin Gams.