EthikForum 2010 in Dornbirn: "Intelligente Reduktion"

Von Dietmar Steinmair

Die zweite Auflage des "EthikForums Vorarlberg" fragte am Freitag dieser Woche an der Fachhochschule in Dornbirn in Vorträgen und mehreren Workshops nach dem Weg zum Wesentlichen, nach dem Kern der Dinge. Und dies in spiritueller, ökonomischer und ökologischer Pespektive. Knapp zweihundertfünfzig Zuhörer/innen waren bei der Eröffnung des EthikForums am Freitagmorgen dabei. Neben dem Fachpublikum und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kirche - darunter Generalvikar Dr. Benno Elbs und Landeshauptmann Dr. Herbert Sausgruber, der mit seinem Grußwort das EthikForum offiziell eröffnete - waren vor allem auch Studierende der Fachhochschule und auch einige Schulklassen nach Dornbirn gekommen.

Michael Willam EthikForum 2010Der Initiator des EthikForums, Michael Willam, wies in seiner Einführung den Weg in die Veranstaltung. Wo Immanuel Kant in der letzten seiner vier grundlegenden Fragen formulierte: "Was ist der Mensch?", aktualisierte der Leiter des EthikCenters der Katholischen Kirche Vorarlberg dies zur Frage: "Wie gehen wir mit dem Menschen um?" Gerade im Blick auf die zuletzt heftig diskutierte Abschiebepraxis in Österreich. Viele Kommentatoren hatten in den letzten Wochen übrigens bereits angemerkt, man sollte doch besser auf Politiker wie Maria Fekter verzichten. Reduktion? Eine Frage auch im politischen Diskurs.

Von der hohen Politik zu den wirklichen Lebensfragen. Wer reduziert schon gerne, von sich aus? Ein einfaches Beispiel: In welchem Unternehmen wird etwa ein Familienvater nicht schief angeschaut, der sein Anstellungsausmaß auf 70% reduzieren möchte, um mehr bei der Familie sein zu können?

 
Reduktion spirituell

Karcher Tobias SJ EthikForum 2010P. Tobias Karcher SJ ist Leiter des Lasallehauses in Bad Schönbrunn oberhalb von Zug in der Schweiz. Er ist Jesuit und Kenner östlicher Weisheit. P. Karcher begann seinen Vortrag gleich mit einer Stille, wie er es in all seinen Besprechungen und Arbeitssitzungen mache. Den Unterschied zwischen westlichem und östlichem Verständnis von Reduktion formulierte er - vereinfacht gesagt - so: Wo der Osten das "Freiwerden von" sucht, ziele der Westen, geprägt durch das Jesuswort "Seid also wachsam!" (Mt 24), auf "Freiheit für Begegnung".

In seinem Gang durch die Gedanken spiritueller Meister und großer Theologen präsentierte P. Karcher  gleich mehrere Klassiker. Das begann bei Johann Baptist Metz, der das Diktum "Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung." geprägt hatte. Das führte zum Gründer des Jesuiten-Ordens, Ignatius von Loyola, zu dessen berühmtesten Sätzen gehört: "Nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen her" (Exerzitienbuch, 2). Und auch die Bibel lehre die Stille, so P. Karcher: "Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; / wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir. / Israel, harre auf den Herrn / von nun an bis in Ewigkeit!" (Psalm 131).

 
Sehnsucht und Handlungsethik

Viele Dinge der modernen Welt - so eine weitere These des Jesuiten - bringen die Menschen in vielfältige Dilemmata. Der Arbeitsdichte und dem immer schnelleren Aufeinanderfolgen von Arbeitsschritten stehe die Sehnsucht nach Unterbrechung gegenüber, der Reizüberflutung die Sehnsucht nach Stille, der Oberflächlichkeit der Weg in die Tiefe, der Informationsflut die Sehnsucht nach Erfahrung sowie Begegnung, und dem Leistungsdruck die Erfahrung des Geschenks.

Die kognitive Welt werde kontrastiert durch die Sehnsucht nach Sinnlichkeit. "Unsere fünf Sinne sind unsere erste Begegnung mit der Welt. Die Welt aber begreifen, das Denken, das Bilden von Begriffen ist dagegen sekundär. Bei Thomas von Aquin heißt es, dass wir im Himmel nicht über Gott nachdenken, sondern Gott selbst schauen werden." Und auch Karchers Ordensgründer erachtet es am Ende der Exerzitien für ausgesprochen wichtig, dass nun die "Liebe mehr in die Werke als in die Worte gelegt" werden müsse. Anders gesagt: Spirituelle Höhenflüge müssen sich immer nach der Wirklichkeit von Reduktion im Alltag fragen.

Gerade diese Frage nach dem Alltag führte P. Karcher zur Ethik. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeichnet Jesus seinen Prototypen eines gerecht handelnden Menschen: "Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin und half ihm." (vgl. Lk 10) - Das ist Jesu Lehre von der Orthopraxie - vom richtigen Handeln. Im Kontext eines Ethikforums am Beginn des 21. Jahrhunderts bedeute spirituelle Reduktion die Achtung vor dem Leben und das Bemühen um nachhaltiges Handeln. Diese Achtsamkeit im Handeln drückte P. Karcher mit einem Klassiker aus: "Contemplativus in actione - betrachtend im alltäglichen Handeln." Dieses Diktum stammt - wie könnte es andes sein - wiederum von Ignatius von Loyola.

Hier finden Sie die Präsentation von P. Karcher beim EthikForum 2010.

 
Glück kann man nicht kaufen

Binswanger Mathias EthikForum 2010Einen ökonomischen Blick auf die Reduktion warf der Volkswirtschaftler und Glücksforscher Mathias Binswanger. Glück geht für ihn nicht mit der Summe von verfügbarem Geld einher, mehr Einkommen mache nicht automatisch glücklicher. Lottogewinner etwa, so eine empirische Studie, seien zwar anfänglich überglücklich, aber bereits nach einem Jahr genauso glücklich oder unglücklich wie vor dem Gewinn. Übrigens meine "Ökonomie" in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht einfachhin die Gewinnmaximierung, sondern "die Kunst, das Beste aus dem Leben zu machen."

Dass Geld nicht unbedingt glücklicher mache, zeige der Vergleich zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Länder, aber auch zwischen Menschen mit unterschiedlichem Lebensstil. Die Amish-People oder auch Ureinwohner am Amazonas sind - ohne die Segnungen des modernen Konsums und des technischen Fortschritts - glücklicher als etwa die reichsten Amerikaner. Auch der Ländervergleich bringt Erstaunliches zutage: Oberhalb eines gewissen Schwellenwertes an Einkommen - dazu gehören die Bewohner Westeuropas, Nordamerikas und Japans - würden die sich die meisten Bewohner zwar als glücklich bezeichen. Aber unterhalb diese Schwellenwertes habe das Einkommen einen weit weniger großen Einfluss auf das Glücksgefühl. So sind Menschen in Ländern des ehemaligen Ostblocks im Schnitt weitaus unglücklicher mit ihrem Leben als Menschen in Latein- und Zentralamerika. Salsa und Samba stimmen fröhlicher als Kommunismusmelancholie und der Frust über vertane Jahre.

 
Die Tretmühlen

Aus seinem Buch "Die Tretmühlen des Glücks" stellte Mathias Binswanger vier grundlegende Bereiche vor, denen Menschen große Bedeutung beimessen, die aber ebensogut mit der Metapher "Tretmühle" beschrieben werden können. Da gibt es einmal die Statustretmühle: Die Menschen, so Binswanger, verglichen sie ständig mit anderen für sie relevanten Personen, und ihr Glück hänge großteils vom Resultat dieses Vergleiches ab. Es ist nun aber unmöglich, dass alle besser als der Durchschnitt sind. Daher sei die Suche nach Status insgesamt letztlich ein Nullsummenspiel. Die Anspruchtretmühle, zweitens, besage, dass die Ansprüche der Menschen mit dem Einkommen steigen. Diese steigenden Ansprüche wiederum führten dazu, dass die Freude über mehr Einkommen und mehr Besitz an materiellen Gütern nicht lange anhalte. Binswanger: "Ein höheres Einkommensniveau wird nach kurzer Zeit wieder als normal empfunden."

Der dritte Bereich ist die so genannte Multioptionstretmühle. Die Definition des Glücksforschers dazu: "Mit dem Wirtschaftswachstum ist eine immer größere Vielfalt an Gütern und Dienstleistungen verbunden. Gleichzeitig sind traditionelle Tabus weggefallen, welche das menschliche Handeln beschränkten. Die Optionen für Arbeit, Freizeit und Konsum nehmen ständig zu: 'anything goes'. Aber der Entscheid für die richtige Option wird dadurch immer schwieriger, da die stets steigende Zahl an Optionen auf ein konstantes Zeitbudget trifft. Die Auswahl wird von einem Dürfen zu einem Müssen." - Die letzte Mühle schließlich sei die Zeitspartretmühle. Technischer Fortschritt führe dazu, dass wir bestimmte Aktivitäten immer schneller und in immer kürzerer Zeit ausführen könnten. Aber trotzdem gelänge es uns im Allgemeinen nicht, tatsächlich Zeit zu sparen, denn es komme zu einem so genannten "Rebound-Effekt": Je schneller eine Aktivität durchgeführt werden könne, umso mehr und öfter werde sie durchgeführt. Das klassische Beispiel für Binswanger dafür: "Je schneller die Transportmittel werden, umso weiter und häufiger fahren wir."

Hier finden Sie die Präsentation von Mathias Binswanger beim EthikForum 2010.

[Zur Bildergalerie "2. EthikForum am 22. Oktober 2010" gelangen Sie durch einen Klick ins Bild rechts oben. Neben den Hauptreferaten sehen Sie auch Eindrücke aus den Workshops, die am Nachmittag stattfanden, sowie vom 6. Designsymposion am 21. Oktober.]

 
Weitere Berichte

_ Details zu den beiden folgenden Referenten, Peter Parwan und Kristina Bayer, finden Sie hier.
_ Einen Kommentar von Dietmar Steinmair zum EthikForum 2010 lesen Sie in der nächsten Ausgabe des Vorarlberger KirchenBlattes Nr. 43, die am 28. Oktober 2010 erscheint.
_ Mehr zum Designsymposion, das am Donnerstag 21. Oktober an der FH Vorarlberg stattfand und für das EthikForum-Mitveranstalter Roland Alton veranwortlich zeichnete, finden sie unter www.ethify.org.