Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel blicken? Falten? Eine falsch proportionierte Nase? Zu viel Gewicht? Einen Menschen, der mehr aus sich machen könnte? Oder sind Sie im großen und ganzen eigentlich mit sich zufrieden? "Es gibt keinen Menschen ohne Makel", desillusioniert der Chirurg Dr. Edgar Gopp gleich zu Beginn des siebten Ethikforums die rund 300 BesucherInnen im Kulturhaus in Dornbirn. Irgendetwas gibt es immer, das man an sich selbst bemäkeln kann und (insgeheim) auch tut. Stellt sich nur noch die Frage, ob man den Makel behebt. Fragen wie diesen ging das Ethikforum mit "Ethischen Fragen zur menschlichen Selbstoptimierung und Selbstgestaltung von Jung und Alt" nach.

"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?", stellte schon die böse Königin im Märchen "Schneewittchen" die Frage, die auch heute noch viele Menschen beschäftigt. Heute könnte man diese zwar um ein paar Facetten wie "intelligenter, erfolgreicher oder sportlicher" erweitern, der Konkurrenzgedanke ist aber geblieben. Schönheit sei für die Menschheit schon immer ein großes und wichtiges Thema gewesen, erinnert der Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie, Dr. Edgar Gopp, z.B. an Kleopatra, die deshalb ins Eselmilch badete, oder den Glauben an einen Jungbrunnen. Spätestens mit der Entwicklung der Chirurgie eröffnete sich ein ganz neues Feld für Menschen, die sich selbst "optimieren" möchten. Oder hätten Sie gewusst, dass 1597 die erste deformierte Nase operiert wurde?

Der Mensch und die Schönheit

Seit dieser Zeit hat sich zwar viel geändert - das menschliche Streben nach Schönheit ist aber geblieben. Diese sei von Zeit, Dekade, Kultur und Gesellschaft abhängig, erinnert Gopp an das Model Twiggy, die Wespentaille oder Tätowierungen. Ein wichtiges Instrument der Selbstoptimierung stellt die Chirurgie dar, wobei Schönheitschirurgie dafür da sei "Menschen wieder normal herzustellen" und plastische Chirugie um das normale zu übetreffen. Zumindest soll das der erste Chirurg Eurpas, Harold Gillies, gesagt haben. Jedes Alter benötige Schönheitschirurgie zählt Gopp Makel wie Lippenspalten, abstehende Ohren oder zu kleine/große Brüste auf. Zwar können Makel etwas schönes sein, aber man muss die Persönlichkeit haben damit umzugehen, spricht der Chirurg Menschen wie Sebastian Kurz oder Prinz Charles an.

Was ist Ihr Problem?

Das Skalpell kann helfen, manchmal ist der Makel aber auch im Inneren des Menschen zu finden. Dysmorphophobie lautet der Fachbegriff für die Krankheit, die die Störung der Wahrnehmung des eigenen Leibes bezeichnet. Ständig werden neue Makel entdeckt, die dann chirurgisch behoben werden sollen."Was ist Ihr Problem - zeigen Sie mit dem Finger darauf", lautet deshalb der erste Satz, den Gopps potentielle Patienten beim Erstgespräch zu hören bekommen. Erst wenn sie dieses genau benennen können, folgen noch mindestens zwei weitere Gespräche - und dann der OP-Tisch. Alles andere wäre unverantwortlich, bekräftigt Gopp und hält fest: Vieles ist in der plastischen Chirurgie möglich, nicht alles ist notwendig.

Let me take a selfie

Ein Grund für unseren Wunsch nach Selbstoptimierung stellt das Publikum dar, dem wir dank des technischen und medialen Fortschritts  ständig ausgesetzt sind, erklärt Dr. Julia Ha vom Verein Amazone in Bregenz. Die Medien zeigen uns im Fernsehen und in Hochglanzmagazinen was wir schön finden und wie wir aussehen sollen. Fotos, insbesondere Selfies, gehören nebst Facebook und Twitter zum Alltag, demonstriert Ha den Kult, in dem sie auf der Bühne gleich ein Selfie mit dem Publikum schießt. Und warum das ganze? Weil wir süchtig nach Rückmeldungen sind und gesehen werden wollen. Und dafür müssen wir gut aussehen.

Neuro-Enhancement

Doch nicht nur gut aussehende Menschen sind erstrebenswert, sondern auch erfolgreiche. Wer hier an seine psychischen und physischen Grenzen stößt, kann mit "Hirndoping" nachhelfen. Oder wie es der Philosoph Dr. Roland Kipke formuliert: mit Neuro-Enhancement. Konkret sind damit Medikamente gemeint, die statt für therapeutische Zwecke zur Steigerung von Konzentration, Leistungsfähigkeit oder Stimmung eingesetzt und damit zweckentfremdet werden. Rund fünf Prozent der Erwerbstätigen zwischen 20 bis 50 Jahren nutzen  Neuro-Enhancement, zwei Prozent davon regelmäßig. Das klingt nach wenig, erschreckend sei hingegen die Zahl der Studenten, die laut Umfrage die Mittel gerne nehmen würden: 80 Prozent.

Alternative "Selbstformung"

Kipke stellt den Medikamenten kein gutes Attest aus. Sie bringen wenig gutes, dafür aber viele Nebenwirkungen mit sich. Angesichts der Tatsache, dass sich die Wissenschaft und mit ihnen die Medikamente ständig weiterentwickelt, müsse dennoch eine ethische Debatte geführt werden. Sie einfach zu verbieten ist nicht möglich, da hier fremden Menschen keinen Schaden zugeführt und Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft groß geschrieben wird. Aber was bietet sich der Leistungsgesellschaft als Alternative an? Selbstformung. Dazu gehören beispielsweise Konzentrationsübungen, Meditation oder Gedächtnisübungen. Zudem bringen sie laut Kipke viele Vorteile mit sich: Sie steigern die Selbstaufmerksamkeit, stärken den Willen und bewirken, dass man sich aus eigener Kraft verändert.

Pro Ageing

Etwas, das die Menschen nicht ändern können, ist das Altern. Während die Lebenserwartung 1870 noch bei rund 30 Jahren lag, können wir heutzutage im Schnitt rund 50 Jahre länger leben. Das Problem in unserer Gesellschaft: Je länger wir leben, desto weniger sind wir wert, erklärt der Gerontologe Dr. Heinz Rüegger. Wir möchten zwar lange leben, aber nicht alt werden und deshalb ist "Anti-Aging" auch ein großes Wort und ein globaler Megatrend unserer Zeit. Dabei vergessen viele Menschen, dass Alter ein wichtiger Teil der eigenen Biografie sei, die es nicht nur zu gestalten gelte, sondern auch anzunehmen. Statt dessen leiden viele am Dorian-Gray-Syndrom: Sie wollen nicht altern. "Leben gelingt erst, wenn die Chancen und Herausforderungen aller Lebensphasen genutzt und angenommen werden", spricht sich Rüegger für ein "Ja" zum Altern aus, auch "Pro Ageing" genannt. Nur so kann man sich weiterentwickeln.

Einen ganzen Vormittag und einen halben Nachmittag nahmen sich die Referenten und rund 300 BesucherInnen, darunter viele SchülerInnen, Zeit, um über "menschliche Selbstoptimierung" zu sprechen. Nicht nur in Referaten, sondern auch in Workshops - und ganz im Zeichen moderner Zeiten auch mit zwei Poetry Slams von Sophia Juen und Deborah Macauley, die erkannten: Es macht nur Sinn, wenn ich 100%ig ich selber bin.