Ein Beitrag zu den neuesten technischen Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin: Argumente pro und kontra aus ethischer Sicht und eine Stellungnahme des EthikCenters

Die neuesten Entwicklungen
Glaubt man führenden Fortpflanzungsmedizinern, so wird sich in den nächsten Jahren ein neuer Trend in Sachen Familienplanung durchsetzen: Es besteht aufgrund einer nunmehr ausgereiften Technik die Möglichkeit für Frauen, sich in jungen Jahren mehrere Eizellen einfrieren zu lassen, um diese Jahre und Jahrzehnte später wieder aufzutauen, befruchten zu lassen und in die Gebärmutter einzusetzen. Das größte Problem nämlich für Frauen und Paare, die im Alter von 35+ schwanger werden wollen, ist die mit fortgeschrittenem Alter massiv nachlassende Qualität der Eizellen. (vgl. dazu einen Artikel in "Der Zeit")

Die Natur wird "ausgetrickst"
Mit der Konservierung der Eizellen, die eine 20-jährige Frau nach hormoneller Stimulation in bester Qualität erhält, eröffnen sich ungeahnte Spielräume für die Planung einer eigenen Familie: Zum einen wird die Natur bei diesem Verfahren "ausgetrickst": Durch das Anhalten der "inneren Uhr" der Eizellen wird es möglich sein, auch mit weit über 40 Jahren gute Chancen auf eigene Kinder zu haben. Über einer Phase der 30-er Jahre, in welcher Frauen wie Männer ihren beruflichen Aufstieg vollziehen, schwebt nicht länger das Damoklesschwert der rasanten Zunahme des Risikos für Fehlbildungen. Es tickt keine innere Uhr mehr, die genau zu diesem Zeitpunkt der persönlich-beruflichen Verwirklichung (meist von den Frauen) eine Entscheidung "Kind oder Karriere" erfordert. Die Frauen tauen ihre Eizellen im Falles eines Kinderwunsches punktgenau auf. - dies könnte theoretisch mit 45, 50 oder auch 60 Jahren problemlos funktionieren - um sie dann vom erwählten zukünftigen Vater ihrer Kinder im Labor befruchten zu lassen und eine Familie zu gründen.

Pro und Kontra
Wo liegen nun die ethischen Erwägungen und Bedenken bei diesem Thema? Wo liegen die Grenzen dessen, was sich aus einer christlich-ethischen Position heraus argumentieren und begründen lässt? Ich werde in der Folge versuchen, Pro und Kontra dieser neuen Technologie und der damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen abzuwägen.

1. Positiv zu bewerten ist zunächst, dass es sich bei den Langzeit-konservierten Zellen nicht um befruchtete Embryonen handelt, sondern um einfache weibliche Eizellen. Dieses Verfahren trifft daher nicht zwingend die Debatte zum Umgang mit Menschen, die sich ganz am Beginn ihrere embryonalen Entwicklungsphase befinden. (Anm.: Dass dies indirekt jedoch sehr wohl der Fall ist, wird weiter unten ausgeführt)

2. Die Methode verschafft Frauen einen größeren Spielraum in ihrer Familienplanung. Dieser Spielraum könnte gesellschaftlich zu einer stärkeren Gleichberechtigung von Mann und Frau führen. Frauen, die sich z.B. nach einem Studium 20 Jahre lang eine Karriere aufbauen können, ohne auf eine eigene Familie verzichten zu müssen, würden zahlemäßig mehr werden. Vermutlich würde dadurch wohl auch der Anteil an Unternehmen wachsen, die Frauen in Führungspositionen bringen.

3. Die für viele Paare sehr belastende Situation eines unerfüllten Kinderwunsches aufgrund der nachlassenden Qualität der Eizellen wird durch diese Technik mit Sicherheit entschärft. Gewiss gibt es noch einige andere Faktoren, warum ein Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht (z.B. die fehlende Qualität der Samenzellen des Mannes, physiologische u. psychologische Gründe etc.) - glaubt man jedoch den Reproduktionsmedizinern, dann ist die Eizell-Beschaffenheit eine der häufigsten Ursachen. 

4. Es ist zu erwarten, dass die mittlerweile hohe Zahl ungewollt kinderloser Paare zurückgehen wird; im Blick auf eine tendenziell überalternde Gesellschaft mit den drängenden Problemen bzgl. Generationenvertrag, Pensionssicherung und Gesundheitssystem könnte die Geburtenrate somit angehoben werden.


Aus ethischer Sicht könnten folgende Argumente gegen die neue Technologie eingebracht werden:

1. Ein flächendeckendes Angebot eines solchen Verfahrens wäre ein Schritt in Richtung einer gänzlichen Technisierung der menschlichen Fortpflanzung. Aus katholischer Sicht bestehen Bedenken, wenn im Zuge der künstlichen Befruchtung der Zeugungsakt völlig vom Akt der Vereinigung von Mann und Frau getrennt wird. Diese Trennung wird als defizitär eingestuft und vom katholischen Lehramt kritisiert (siehe im Katechismus Nr. 2377). Die neue Technik könnte dazu verleiten, die bislang in Ausnahmefällen durchgeführte Labor-Befruchtung zur Regel menschlicher Fortpflanzung zu machen.

2. In-vitro-Befruchtung bedeutet in vielen Fällen, dass "überzählige" Embryonen erzeugt werden. Um die Wahrscheinlichkeit einer Gewinnung von entwicklungsfähigen Embryonen zu erhöhen und die Hormon-Belastung für die Frau möglichst gering zu halten, werden in der Regel gleich mehrere Eizellen auf einmal und auf Vorrat befruchtet. Eingesetzt werden jedoch nur zwei Embryonen. Glückt dieses Verfahren gleich zu Beginn, sind die restlichen Embryonen quasi "übrig" und müssen entweder entsorgt oder eingefroren werden. Diese Entwicklung ist aus katholisch-ethischer Sicht äußerst bedenklich, da es sich nach kirchlicher Auffassung bereits beim frühen Embryo um einen vollwertigen Menschen im Anfangsstadium seiner Entwicklung handelt (vgl. die Enzyklika von Johannes Paul II, "Evangelium vitae").

3. Die Natur lässt sich auf Dauer nicht "austricksen": 50, 60-jährige Frauen und Paare, die sich in diesem Alter noch einen Kinderwunsch erfüllen, haben in der Regel weniger Energie, die doch beträchtlichen Anstrengungen eines Eltern-Daseins auf sich zu nehmen und zu meistern. Diverse Gebrechlichkeiten, die das Alter mit sich bringt, treffen auf mitunter sehr anstrengende Phasen der Kindererziehung wie z.B. die Pubertät. Es wächst grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit, dass die mitunter hoch betagten Eltern ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können oder gar versterben. Anders formuliert: Kinder haben ein Recht darauf, in einer Umgebung und bei Menschen aufwachsen, die ihren Bedürfnissen gerecht werden und den Anstrengungen und Herausforderungen einer Kindererziehung gewachsen sind.

Resumee und ethische Abwägung

Das stärkste Argument gegen eine Technologie, welche weibliche Eizellen auf Vorrat zu konservieren in der Lage ist, ist jenes der indirekten Produktion von überzähligen Embryonen im Zuge der In-vitro-Befruchtung. Exakt ausgedrückt würde die neue Technik wesentlich mehr Frauen und Paare zur künstlichen Befruchtung führen und somit der Überproduktion vom Embryonen im Zuge der IVF massiven Vorschub leisten. Die ethischen Bedenken zum Thema IVF lassen sich unter diesen Voraussetzungen nahtlos auf die Konservierung von Eizellen übertragen.

Das stärkste Argument für eine Einführung dieses Verfahrens ist die mit Sicherheit große Erleichterung für Paare, auch im etwas fortgeschrittenen Alter noch eine Familie gründen zu können. Die für viele unerbittlich tickende weiblich-biologische Uhr wäre plötzlich kein Thema mehr.

- Anm.: eine mögliche Entwicklung hin zu "Müttern jenseits der 60" gilt es indes unabhängig davon ernsthaft zu hinterfragen -

Angesichts der zu erwartenden Steigerung der Geburtenrate, der tendenziell größeren Flexibilität in der Familienplanung und der positiven Auswirkungen auf eine verbesserte Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Arbeitsmarkt wäre mein Resumee, diese Technologie unter der Bedingung einzuführen, dass, so wie es z.B. die Gesetzeslage in Deutschland vorsieht, nicht mehr Embryonen befruchtet werden als tatsächlich eingepflanzt werden. Wenn die FortpflanzungsmedizinerInnen gewissenhaft die Eizellen jeweils paarweise auftauen, befruchten und ggf. beide in die Gebärmutter einsetzen, sodass keine überzähligen Embryonen entstehen können, so wären aus meiner Sicht die ethischen Gründe für eine Legitimation dieser Technologie stärker als jene, die dagegen sprechen. Ob diese Bedingung allerdings in der großen Welt der Prokreationsmedizin Gehör finden wird, darf in Österreich angesichts der derzeit herrschenden Gesetzeslage und einer liberal zusammengesetzten Bioethikkommission bezweifelt werden.

(Empfehlung: Am Mo, 16. Juni um 20.00 Uhr im Kolpinghaus Dornbirn findet ein Gesellschaftspolitischer Stammtisch zum Thema "Wie liberal wollen wir sein?" statt. Es geht um bioethische Fragen am Lebensbeginn und am Lebensende u.a. mit Dr. Stephanie Merckens, Mitglied der Österreichischen Bioethikkommission)

Dr. Michael Willam
EthikCenter