Am Vorabend zur Eröffnung des „Jahres der Barmherzigkeit“ lud der Stammtisch zur Diskussion ins Kolpinghaus nach Dornbirn.

Dietmar Steinmair

„Barmherzigkeit versus Gutmenschentum?“, diese Frage stellte Moderatorin Petra Steinmair-Pösel an den Beginn des „Gesellschaftspolitischen Stammtisches“ am Montagabend dieser Woche. Der Erfinder ebendieses Stammtisches vor vielen Jahren hielt das Impulsreferat: Peter Mayerhofer, Geschäftsführer der „Kaplan Bonetti Sozialwerke“. Der gelernte Theologe klaubte das Wort „Barmherzigkeit“ sogleich auseinander: Das „Herz“ und die „Armen“ stecken drin. In einem biblischen Exkurs erinnerte Mayerhofer an den barmherzigen Samariter, den barmherzigen Vater, der Gnade vor Recht ergehen ließ, an die Rede vom Weltgericht („Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt ...“) und den 1. Johannesbrief („Gott ist die Liebe.“). Weil nun Gott mit Barmherzigkeit gleichzusetzen sei, folgerte Mayerhofer: „Was wir dem Nächsten tun, das tun wir Gott.“

Grenzenlos
Dann kam Mayerhofer zur entscheidenden Frage des Abends: „Hat Barmherzigkeit Grenzen?“ Nein, so seine Antwort, „aber wir als Menschen sind begrenzt.“ Neben der Nächstenliebe brauche es etwa die Selbstliebe. Es brauche Geben und Nehmen, Hilfsbedürftigkeit und Hilfsbereitschaft. Wichtig ist für Mayerhofer jedenfalls die stete Begegnung auf Augenhöhe: Hilfe darf auch abgelehnt werden. Und: Der Empfänger darf mit dem geschenkten Geld auch etwas anderes kaufen, als der Geber im Sinn hatte. „Wer von uns“, so schloss Mayerhofer, „hat übrigens wegen der Flüchtlinge oder der Roma hier in Vorarlberg tatsächlich schon auf etwas verzichten müssen?“

Aufgefordert
Auf dem anschließenden Podium betonte Caritas-Seelsorger Norman Buschauer, ein Mensch in akuter Not habe zunächst einmal ein Recht auf Hilfe, noch vor allen Fragen nach Herkunft, Religion oder nach den Gründen seiner Not. Dem Allerwelts-Spruch - „Wie du mir, so ich dir“ - stellte Buschauer ein Zitat von Kardinal Jean-Marie Lustiger entgegen: „Wie Gott mir, so ich dir.“ Für die Caritas in Vorarlberg jedenfalls stehe Gottes Auftrag im Mittelpunkt, die Menschen zu lieben. Die Ausrufung eines Jahres der Barmherzigkeit sei keine bloß freundliche, unverbindliche Einladung des Papstes, sondern eine klare Aufforderung.

Auch für die Dornbirner Stadträtin für Soziales, Marie Louise Hinterauer, steht der Mensch im Mittelpunkt, sie sieht aber - im Blick etwa auf die bettelnden Roma - auch Grenzen, wenn die Solidargemeinschaft zu sehr in Beschlag genommen wird. Die Gesinnungsethik des Einzelnen (auch eines/r Christ/in) sei dabei manchmal mit der Verantwortungsethik eines Politikers nicht in volle Übereinstimmung zu bringen.

Strukturen ändern?
Gleichfalls angesprochen auf die Roma, gab „Tischlein-deck-dich“-Gründer Elmar Stüttler seiner großen Verwunderung Ausdruck, dass er bei der Frage der akuten Unterbringung von Roma-Familien Ende Oktober in Bludenz keine Unterstützung durch die Kirche gefunden habe. In der Zwischenzeit hat die Caritas gemeinsam mit den Kaplan Bonetti Sozialwerken 50 Unterkunftsplätze für Roma-Familien zur Verfügung und zwei extra Betreuer eingestellt, etwa für die Rückkehrberatung. Stüttler selbst folge einem Rat von Frère Roger Schütz: „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast.“ Große Änderungen der strukturellen Ungerechtigkeiten der Welt werde er wohl nicht mehr erleben, so Stüttler, daher bemühe er sich täglich darum, Lichtblicke für Einzelne zu ermöglichen.

Den Blick auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge - abseits der an diesem Abend übrigens nicht diskutierten Bettelverbote - brachte Stefanie Walser ein, Vorsitzende der Jungen Wirtschaft und Geschäftsfrau in Hohenems. Der Kapitalismuskritik von Papst Franziskus - Stichwort „Diese Wirtschaft tötet.“ - stellte Walser die Frage entgegen: „Welche Wirtschaft wollen wir?“ Wohl nicht die Geiz-ist-Geil-Wirtschaft großer Konzerne. Ein menschlicher Umgang sei auch in der Wirtschaft möglich, so Walser, und erzählte von einem amerikanischen Unternehmer, der vor allem Leute einstelle, die schon einmal beruflich gescheitert seien, daraus aber das Richtige gelernt hätten. „Bei uns hingegen ist berufliches Scheitern, etwa ein Konkurs, noch immer ein großes Tabu-Thema“, so Walser.

Die „marie“ ist da
Am Ende der Veranstaltung stellte Gerhard Hofer noch die druckfrische erste Ausgabe der neuen Vorarlberger Straßenzeitung „marie“ vor. Die Zeitung wird von einem Verein getragen, hinter dem Vorarlberger Journalisten und Werber stehen. Verkauft wird die „marie“ vorarlbergweit von bis zu 100 Kolporteuren, die vom Verkaufspreis (Euro 2,50) die Hälfte behalten können. Ausgabestelle ist das Kaplan-Bonetti-Haus. Mehr zur „marie“ im nächsten KirchenBlatt.

(Aus dem KirchenBlatt Nr. 50 vom 10. Dezember 2015)


Die Veranstaltung zum Nachhören finden sie hier.