Über 60 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr weltweit auf der Flucht. Das Mittelmeer sowie die Balkanroute waren davon besonders stark betroffen. Verheerende Kriegszustände vor allem in syrien, im Irak, in Persien und Afghanistan haben viele Menschen in diese Flucht getrieben. Darunter sind insbesondere junge Männer, denn die Flucht ist nicht nur äußerst anstrengend und lebensgefährlich, sondern auch finanziell sehr aufwändig. So hoffen viele Männer, die in Europa einen Aufenthaltsstatus erhalten haben, dass ihre Familien baldmöglichst nachreisen können. Auf eine Familienzusammenführung haben Konventionsflüchtlinge grundsätzlichen rechtsanspruch. Doch bürokratische Hürden verursachen eine oft jahrelange Trennung von Familienangehörigen.

Das Christentum hat in Syrien eine sehr lange Tradition: Bis zur Islamisierung der Bevölkerung im 7. Jahrhundert war das Land sogar mehrheitlich christlich. Vor wenigen Jahren noch waren etwa 10% der syrischen Bevölkerung Christen. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges 2011 haben schätzungsweise 500.000 von ihnen das Land verlassen. Bleibende sind Terror und Tod ausgesetzt.

Aglaia Maria Mika, Beauftragte für interreligiösen Dialog der Katholischen Kirche Vorarlberg, sprach mit einem Betroffenen aus Damaskus: Mikhael (30) lebt seit Sommer 2015 in Vorarlberg und hofft, seine Familie baldmöglichst wiederzusehen.


Mikhael, wie ist für dich die Entscheidung gefallen, nach Europa zu fliehen?
Im Frühling 2015 ist die Situation für meine Eltern, meine Geschwister und mich immer gefährlicher geworden. Wir haben versucht, so lange wie möglich zusammen zu bleiben und unser Leben in Damaskus weiterzuführen. Ich hätte dem Militär beitreten und gegen den IS kämpfen können, wäre aber als Christ extrem gefährdet gewesen. Ich bin ein Mensch der den Frieden liebt, also musste ich fliehen.

Der Weg nach Europa ist extrem hart. Ich bin über den Libanon in die Türkei gekommen, von dort zusammen mit etwa 50 Personen auf einem Schlauchboot nach Griechenland. Wir waren über Nacht auf dem Meer unterwegs, die Schlepper haben uns alleine unserem Schicksal über lassen. Doch als wir die Insel Kos erreichten, haben wir sofort Hilfe bekommen. Die Menschen in Griechenland waren wirklich sehr bemüht. Da ich meinen richtigen Reisepass als Flüchtling nicht verwenden durfte, musste ich mir einen gefälschten Ausweis besorgen, mit dem es mir beim vierten Versuch gelang, in ein Flugzeug nach Wien zu kommen. Österreich war immer mein Traum: der kultivierte, gemütliche Lebensstil und die herrliche Natur haben mich fasziniert! Natürlich bin ich davon ausgegangen, dass meine Familie bald nachreisen könnte, aber da ich „nur“ Sohn und Bruder bin, ist das sehr schwer. Da haben es Familienväter leichter, denn ihre Angehörigen sind ja finanziell und rechtlich direkt von ihnen abhängig. In drei Jahren werde ich eine Chance auf einen richtigen österreichischen Pass haben, dann werden wir uns hoffentlich wiedersehen. Die Angst, dass meiner Familie inzwischen etwas passiert, ist groß.


Du hast im vergangenen Jahr sehr viel erreicht, wovon manche noch träumen: Du bewohnst eine schöne Mietwohnung, hast einen qualifizierten Job und immer bessere Deutschkenntnisse. Trotzdem scheinst du das Gefühl zu haben, dass dir noch ein weiter Weg bevorsteht?
Die ersten acht Monate im Flüchtlingsheim waren sehr hart. Ich habe viel gebetet und ich bin täglich auf das Gemeindeamt gegangen und habe meine Dienste als Englisch-Dolmetscher angeboten, in der Hoffnung dass ich dann schneller eine Wohnung bekomme. Endlich hat mich Pfarrer Werner Ludescher aus Lauterach bei der Suche unterstützt, und nach zwei Monaten konnte ich nach Bregenz ziehen. Von dort aus kann ich zu Fuß zur Arbeit und ins Fitnessstudio gehen. Außerdem bin ich sehr dankbar, dass ich so schnell eine Arbeit gefunden habe, die meiner Ausbildung entspricht, und zwar als Softwareentwickler bei der Firma IdeeFix. Mein Deutsch ist noch nicht gut genug, dass ich eigene Kunden betreue, deswegen bekomme ich auch kein volles Gehalt, aber das wird sich sicherlich noch ändern. Wenn ich drei Jahre ohne finanzielle Unterstützung des Staates überlebe, habe ich gute Chancen auf die österreichische Staatsbürgerschaft. Trotzdem versuche ich, jeden Monat Geld nach Syrien zu schicken, denn meine Familie braucht es noch dringender als ich. Das Leben dort ist extrem teuer geworden, und der Alltag ist sehr hart aufgrund des Krieges.


Wie erlebst du die österreichische Mentalität?
Trotz meines Status als Konventionsflüchtling habe ich nicht das Gefühl, diskriminiert zu werden. Die Menschen hier in Österreich sind so freundlich und friedlich. Sie suchen keine Konflikte - genau wie ich. Auch dem österreichischen Staat habe ich sehr viel zu verdanken. Mein Traum wäre, bei der Polizei zu arbeiten, um Menschen helfen zu können. Ich habe so viel Güte erfahren, und davon möchte ich etwas zurückgeben.


Wer von so harten Lebenserfahrungen zu erzählen hat, muss viel innere Kraft besitzen. Was bedeuten dir der Glaube an Gott und der Rückhalt, den du von der Kirche verspürst?
Letztes Jahr zu Weihnachten hatte ich ein besonders schönes Erlebnis. Pfarrer Werner kannte mich bereits gut und er wusste, welchen Ängsten um meine Familie ich ausgesetzt bin, und dass es mir im Flüchtlingsheim als einziger Christ nicht gut ging. Er sah die Traurigkeit in meinen Augen und er wollte mich glücklich machen. Also bat er mich, in der Christmette das Jesuskind in die Krippe zu legen. Das ist eine feierliche Aufgabe, die zu bekommen sich viele Gläubige wünschen. Als die Menschen in der Pfarrgemeinde mich sahen, waren sie sehr erstaunt! Und ich war wirklich überglücklich. Ich bin mir sicher, dass ich Gott und der Kirche unschätzbar viel zu verdanken habe. Deswegen gehe ich jeden Sonntag in die Messe, denn das gibt mir Kraft und Hoffnung für die Zukunft. Manchmal gehe ich auch ganz alleine und setze mich in den Kirchenraum, genieße die Stille und bete. Wenn ich in Österreich Christen begegne, die aus der Kirche ausgetreten sind, dann sage ich ihnen, dass Christus durch sein Sterben uns alle erlöst hat und dass die Kirche als Institution so viel Gutes tut. Ich möchte ihnen zeigen, wie viel Schutz und Ermutigung ich als Christ bekomme.

Vielen Dank für das Gespräch!