„Wir lernen vor der Geburt, was wir vom Leben zu erwarten haben“, erklärte die Gynäkologin und Philosophin Barbara Maier am Montag beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch im Kolpinghaus. Ein Satz mit Zündstoff – der weit über den Abend in Dornbirn hinausreicht.

Charlotte Schrimpff

Es war, als hätte man in einen Luftballon voller Konfetti gestochen: Wie bunte Papierschnipsel ließ Barbara Maier in ihrem Impulsreferat die Begriffe in den Saal des Kolpinghauses regnen: Social Freezing und der Mythos unendlicher Fruchtbarkeit, steigende Body-Mass-Indizes und sinkende Schmerztoleranz, die Zusammenhänge von Schwangerschaft und Lebenslauf, von Transgenerationalität und Gesellschaft. Jeder einzelne von ihnen wäre eine ausführliche Betrachtung wert – dabei war dieser Gesellschaftspolitische Stammtisch schon ein „Anschlusstermin“. Den Anstoß für das Thema „Geburt und Gesellschaft: Wie das Leben beginnt, geht uns alle an“ hatte der letzte FrauenSalon des Ethikcenters der Katholischen Kirche Vorarlberg im Oktober gegeben, wo eine Heb- und Sterbeamme diskutierten, wie es um unsere Geburtskultur bestellt ist.

Was ist es uns wert?

Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist, weil Theorie und Praxis nicht überall so gut und deckungsgleich übereinander passen wie am Kantonsspital in Aarau: Podiumsgast Dr. med. Monya Todesco Bernasconi, Chefärztin der dortigen Geburtshilfe, hat in Aarau die Einrichtung eines Geburtshauses vor den Toren der Frauenklinik initiiert: Frauen, die ihr Kind hebammenbegleitet und in einem ruhigen Umfeld zur Welt bringen möchten, ohne dabei auf das Sicherheitsnetz einer klinischen Versorgung zu verzichten, haben seit Mai 2017 die Möglichkeit dazu. Ideale Voraussetzung – denn um den Wert einer 1:1-Betreuung durch eine Hebamme muss man beim Stammtisch nicht streiten. Der wunde Punkt ist vielmehr: Was ist uns das wert?

Ein Politikum

Vor allem die zahlreichen GeburtshelferInnen im Publikum lenkten den Blick von Gesundheits-Landesrat Dr. Christian Bernhard in der Diskussion einmal mehr auf die erstaunliche Diskrepanz zwischen den Anforderungen und Verantwortungen ihres Berufs und den gezahlten Honoraren. „Was kostet es die Kassen, das nicht zu bezahlen?“, fragte Veronika Nesler, Hebamme aus Nüziders.

Einander umfangen.

Wenn man den Gedanken von Barbara Maier folgt: eine Menge. Gemäß ihren Überlegungen haben die Rahmenbedingungen von Schwangerschaft und Geburt einen wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung eines Menschen – und damit auf die Zukunft der ganzen Gesellschaft. Bedeutet im Umkehrschluss: Je schlechter der Start ins Leben, desto wahrscheinlicher ist ein Rattenschwanz an Folgeproblemen und -kosten für die Sozialkassen. Maier plädierte darum dafür, das Ganze als „Zwiebelschalenmodell“ in den Blick zu nehmen: Das Kind wird umfangen vom Mutterleib, der sich im Idealfall aufgehoben weiß in einer fürsorglichen Umgebung und Betreuung von Partner, Familie und Geburtshelfern, die wiederum unter optimalen Voraussetzungen agieren.

Teamleistung Geburt

Eine paradiesische Vorstellung – der man sich aber vielerorts anzunähern versuche: Primar Dr. Burghard Abendstein, Leiter der Geburtshilfe am LKH Feldkirch, spricht von der „Teamleistung“ Geburt, an der alle ihren Anteil hätten: Mutter und Vater, Hebammen und Ärzte, Politik, Krankenkassen und Gesellschaft. „Das Ziel muss sein, jedes Jahr besser zu werden“, findet er. Eine „gute“ Hoffnung – an der in Vorarlberg vielleicht auch Gremien wie die „Interessensgemeinschaft Geburtskultur a-z“ ihren Anteil haben dürften, die als Co-Veranstalterin dieses Gesellschaftspolitischen Stammtisches auftrat. Dass sie Landesrat Bernhard beim Wort nehmen werden, der eine Intensivierung der Gespräche mit der Gebietskrankenkasse über bessere Unterstützungsangebote versprach, ist sicher.

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Kolumne Die Wehenschreiberin auf sz-online.de
Interessengemeinschaft Geburtskultur a -z »