Der Gesellschaftspolitische Stammtisch am vergangenen Montag thematisierte Fragen rund um das "Flüchtling-Sein".

Michael Willam / Severin Rapp

Die Asyldebatte prägt unsere Medienlandschaft.  Nicht nur das Stichwort „Lampedusa“ ruft uns allen prägende Bilder von gekenterten Booten im Mittelmeer in den Kopf, auch in Österreich ist das Thema des Umgangs mit Flüchtlingen hoch aktuell und brisant. Seien es die Geschehnisse vor und in der Wiener Votivkirche oder rund um den Brandanschlag auf das Batschunser Asylheim im Jänner 2013: Das Thema ist auch bei uns allgegenwärtig.

Eine Frau, die sich berühren ließ

Wie brisant, ja traumatisierend eine Flucht sein kann, zeigte die Schauspielerin, Filmemacherin und Autorin Maria von Blumencron anhand eines von ihr gedrehten Dokumentarfilms über sechs tibetische Kinder und deren Flucht über das Himalayagebirge. In beeindruckenden Bildern schilderte sie das Schicksal dieser sechs Kinder. Sie ließ sich berühren und wurde kurzerhand die Patin der Kinder, nachdem sie vor Ort die Auswirkungen dieser lebensgefährlichen und mühseligen Flucht direkt miterlebt hatte.

Mittlerweile haben alle sechs dieser Kinder entweder in Asien oder in Europa ihren Weg gemacht. Als junge Erwachsene studieren sie an Filmhochschulen, arbeiten in Tourismusbetrieben und sind im Begriff, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Maria Blumencron weiß, was es bedeutet, sich zu 100% für Menschen einzusetzen, die aus einer völlig anderen Kultur stammen. Sie spricht ohne falsche Sozialromantik von der großen Mühe und einer riesigen Portion Geduld, die sie für ihre Patenkinder an den Tag legen musste, um sie so weit zu bringen, wie sie jetzt sind. „Ohne den persönlichen, freiwilligen Einsatz von Menschen für diese Menschen wird Integration nur ganz schwer gelingen“. Für sie wäre ein Patenschaftsmodell, welches eine individuelle Betreuung und Förderung dieser jungen Menschen gewährleistet und die Berührungsängste von beiden Seiten verringern würde, die beste Antwort auf die heutige Situation.

Die Bilder der Flucht und die Schicksale der Flüchtlinge gleichen einander auf der ganzen Welt. Auf die Situation in Österreich hin angesprochen wies der Leiter der Flüchtlingshilfe der Caritas Vorarlberg, Mag. Martin Fellacher, darauf hin, dass nur ein Bruchteil der Flüchtlinge Europa tatsächlich erreiche. In Österreich kritisierte er vor allem die hohe Komplexität des Asylverfahrens, welche die Situation für die Betroffenen zusätzlich verschärfe.

Nicht einfach zur Tagesordnung übergehen

„Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen und das einfach so stehen lassen“, bringt es Dr. Helmut Eiter auf den Punkt. Er war Mitinitiator der Solidaritätsaktion für die Flüchtlinge in Batschuns nach dem Brandanschlag vor knapp einem Jahr.  Er betont, dass es vor allem wichtig sei, die Kluft zwischen AsylweberInnen und der Bevölkerung zu verkleinern.  Herr Eiter ist ein Mann der Tat. So wie er spontan gemeinsam mit der Caritas 300 Menschen in Batschuns zu einem Lichtermeer versammeln konnte, hat er gemeinsam mit anderen für die Flüchtlinge letztes Jahr zu Weihnachten eine Kleidersammelaktion und Esspakete organisiert. Es gibt jetzt auch ein „Deutsch-Cafe“ in der kleinen Bergparzelle von Zwischenwasser, in welchem mit den Menschen deutsch gesprochen und gelernt wird. Warum tut der im Feldkircher LKH arbeitende Radiologe das alles? Er hält es für wichtig, das öffentliche, meist negativ besetzte Bild „des Flüchtlings“, das durch Politik und Medien konstruiert  wird, zurecht zu rücken.

Änderung des Arbeitsrechts dringend nötig

Die derzeitige Gesetzeslage, die es AsylweberInnen verbietet, erwerbstätig zu sein, sei verheerend, so der einhellige Tenor der Podiumsgäste. Menschen „in der Blüte ihres Lebens“ müssen nach geltendem Recht untätig herumsitzen und sich von öffentlichen Geldern unterhalten lassen, was sich teils massiv auf die psychische Verfassung der Flüchtlinge auswirke. Nicht einmal Deutschkurse seien vom Bund gesetzlich vorgesehen, wenngleich Vorarlberg in dieser Hinsicht durch gezielte Sprachförderung eine Ausnahme bilde, so Martin Fellacher. Projekte der Caritas wie z.B. die „Nachbarschaftshilfe“ oder „MentorInnenprojekte“ vor allem für jugendliche Flüchtlinge sind in dieser Situation wichtige Impulse für einen geregelten Tagesablauf und eine bessere Integration.

Von der Mitleidskultur zur Solidaritätskultur

Lange stand die Frage aus dem Publikum im Raum, ob Österreich sich unqualifizierte Einwanderung leisten kann und will, oder sich sprichwörtlich „die Rosinen herauspicken möchte“, also nur gut ausgebildete und privilegierte Menschen einwandern dürfen. Hat Österreich als eines der reichsten Länder der Welt einen humanitären Auftrag? Für Dr. Eiter ist klar, dass sich die österreichische Gesellschaft von der Mitleidskultur zur Solidaritätskultur entwickeln solle,  um Menschen ganz im christlichen Sinne auch eine Herberge anzubieten. Rein wirtschaftlich brauche Österreich die Immigration, so Eiter, da ja die ganze Gesellschaft immer älter werde und das Land auf junge Menschen angewiesen sei, um die Pensionen der älteren Menschen zu sichern.

Was Papst Franziskus als „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ beschreibt, scheint auch in Österreich Fuß gefasst zu haben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass vor allem das zählt, was im Kleinen getan oder nicht getan wird. Solidarität zeigt sich nicht in großen Worten, sondern in kleinen Taten. Die Möglichkeit für jeden und jede Einzelne/n, selbst Taten zu setzen, ist jeden Tag gegeben.  Das wichtigste dabei ist: hinhören und hinschauen, sich berühren lassen und aktiv werden.

Die gesamte Veranstaltung zum Nachsehen und -hören finden Sie hier.