Familienleben gestalten sich heute vielfältig, bunt und verschieden, oft aber auch eintönig, einsam und anstrengend. Mit den gesellschaftlichen Entwicklungen haben sich Aufgaben und Herausforderungen von Familien verändert und Fragen tun sich auf.

Wilma Loitz und Cornelia Huber

Früher war alles besser - oder?

„Meine Mutter stand jeden Morgen um 4.30 Uhr auf um Riebel zu kochen, um 7 Uhr verließen wir größeren fünf Kinder mit Butterbrot und Schultasche das Haus, die Mutter blieb mit den zwei Kleinen und einer Fülle an Arbeit im Haus und auf dem Feld zurück“, erinnert sich der 54-jährige Georg an seine Kindheit. Das Leben vieler Erwachsener war vollgefüllt mit Arbeit, ohne Aussicht auf Freizeit. Die Rollen in der Familie waren klar verteilt, unabhängig von Talenten und Wünschen.

Wir Kinder dagegen hatten immer jemanden zum Spielen, wir erlebten völlig unbeobachtet von den Eltern Abenteuer, kamen mit Beulen und Schrammen am Abend nach Hause. Die Schule spielte nur eine Nebenrolle und wir hatten keine Angst vor der Zukunft. Denn eines war klar: „Wer fleißig ist, wird es zu etwas bringen.“

Ob es früher besser oder schlechter war, oder vielleicht auch einfach nur anders, das muss jede und jeder für sich selbst entscheiden, aber eines ist sicher: Das Leben ist schneller, komplexer und digitaler geworden, was viele Herausforderungen mit sich bringt. Man kann diese Veränderungen auch durchwegs positiv sehen. Hier halten wir es mit der Aussage von Papst Franziskus: „Die Wirklichkeit ist so wunderbar komplex“. Unser Bischof Benno meint dazu: „In einer solchen Wirklichkeit können Gesetze und Regeln nur Leuchttürme oder Leitplanken sein. Ein Ja/Nein-Schema für jeden Fall wäre bequem, aber das Leben ist anders“, wie er in einem KirchenBlatt-Interview einmal sagte.

Die klassische Familie - ein Auslaufmodell?

Hartnäckig hält sich das Gerücht von der Auflösung der klassischen Familienform. Die aktuellen statistischen Daten sprechen eine andere Sprache. Laut Statistik Austria 2016 wachsen mehr als drei Viertel der Buben und Mädchen in Vorarlberg mit Mama und Papa, die verheiratet sind, in einem Haushalt auf. Bei weiteren zehn Prozent sind die Eltern zwar nicht verheiratet, aber leben gemeinsam mit dem Kind in einer Lebensgemeinschaft. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedes achtes Kind in Vorarlberg in einer Ein-Elternfamilie aufwächst, in Wien ist es im Vergleich jedes vierte Kind. Bedenklich an dieser Zahl ist, dass mehr als die Hälfte der Alleinerziehenden einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind.

Kinder unter drei Jahren sollten nur zu Hause betreut werden?

Es ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Qualität der Einrichtung“ erklärt Professor Gabriele Haug-Schnabel, Verhaltensbiologin und Ethnologin an der Universität Freiburg auf die Frage, ab wann Kinder in einer Einrichtung betreut werden können. Wie und ab wann ein Kind außerhäuslich betreut wird, ist eine ganz individuelle Entscheidung der Familie. Es gibt viele Konstellationen, in denen die familienergänzenden Einrichtungen die Lebensqualität aller Beteiligten erhöhen. Man denke nur an die vielen Einzelkinder, aber auch an Kinder, die in Familien mit nicht-deutscher Muttersprache hineingeboren werden. Wie sehr öffnet ihnen das Sprachbad in der Gruppe eine neue Welt! In Vorarlberg wurden im Schuljahr 2014/15 rund 3000 Kinder institutionell betreut. Jedes zweite 2-jährige Kind besucht eine Einrichtung, bei den 3-Jährigen sind es rund 90 Prozent. Bei den 4- und 5-Jährigen gibt es nahezu eine Vollbetreuung (Land Vorarlberg, Kennzahlen zur sozialen Lage in Vorarlberg, 2016). Das ist die gelebte Realität.

Kinder werden immer schwieriger…

Vielleicht ist es ja so: Kinder kooperieren (Jesper Juul) mit ihren Bezugspersonen, und wenn wir Erwachsenen in einer „ver-rückten“ Welt leben, spiegeln das die Kinder in ihrem Verhalten wieder. Oder vielleicht sind Kinder gar nicht schwieriger, sondern unser Blick auf Kinder hat sich verändert? Fakt ist, dass jedes vierte Kind in Deutschland mit 8 Jahren schon über Therapieerfahrung verfügt. Und es scheint, dass Kinder immer mehr von dem bekommen, was sie wollen, und immer weniger von dem, was sie brauchen. Sie brauchen Eltern, die sie ihre eigenen Erfahrungen machen lassen, vor echten Gefahren schützen und ihnen Orientierung geben. Wie Leuchttürme in stürmischer See.

Eltern wollen ihre Kinder nicht mehr erziehen

Was Eltern über die Kulturen und Generationen hinaus verbindet: Alle wollen das Beste für ihre Kinder. Doch was dieses „Beste“ ist, scheint heute so unklar wie noch nie. Während die einen vor der „Tyrannei der Kinder“ (Michael Winterhoff) warnen, halten andere jegliche Erziehung für einen Gewaltakt (Bloggerin Aida S. de Rodriguez). Eltern sind verunsichert, was sie dürfen, was sie müssen, und es gibt viele Zurufe von außen, was sie sollen.

Ob Familien heute gute Orte des Aufwachsens sind, hängt von vielen Faktoren ab. Aber wesentlich ist, ob Eltern stark genug sind, im Strudel des Alltags „Inseln des Seins“ zu schaffen - konsum- und leistungsfrei und unter Ausschluss der digitalen Welt. Die Angebote der Kirche können Hilfe auf diesem Weg sein.

(erschienen im ZEITFenster Nr. 3 vom 22. Juni 2017)