Präimplantationsdiagnostik ja oder nein - die Diskussion reißt nicht ab. Was sind eigentlich die Argumente hinter dieser Debatte? Was steckt hinter den Begriffen? Eine Analyse mit einem Plädoyer von Michael Willam

Dr. Michael Willam

Das Thema der Zulassung der sog. „Präimplantationsdiagnostik“ wird gegenwärtig besonders in Deutschland, aber auch in Frankreich und Österreich intensiv diskutiert. Dieses etwas sperrige Wort meint ein Verfahren, bei welchem künstlich befruchtete Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Uterus auf bestimmte Merkmale wie z.B. genetische Erbkrankheiten getestet werden können. Ich möchte in der Folge die wichtigsten Argumente für und gegen dieses Verfahren darlegen und anschließend eine eigene begründete Position formulieren.

Die Argumente, welche für die Zulassung der „PID“ ins Feld geführt werden, sind folgende:

  1. Die PID bietet sog. „Risikopaaren“, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kind mit derselben genetischen Erbkrankheit bekommen werden wie bereits in der Familie vorhanden, die Möglichkeit, dies für das nächste Kind auszuschließen. Oft sind es Familien, welche bereits ein Kind mit einer bestimmten genetischen Erbkrankheit haben und sich ein zweites, gesundes Kind wünschen. Ein zweites Kind, welches ebenfalls Träger dieser bestimmten Krankheit ist, können oder wollen die Eltern aus finanziellen oder anderen Gründen nicht haben. Die PID ermöglicht ihnen diesen Wunsch, da Embryonen auf eine spezielle Erbkrankheit hin getestet und aussortiert werden können. Entsprechend gesunde Embryonen werden ermittelt und gezielt eingepflanzt.
  2. Die PID hilft, Schwangerschaftsabbrüche zu einem späteren und die Frau potentiell belastenderen Zeitpunkt zu vermeiden. Wenn die in vitro gezeugten Embryonen systematisch auf bestimmte „Defekte“ untersucht werden, so trägt dies dazu bei, dass im Zuge von Pränataldiagnosen (Anm.: Dies sind Untersuchungen des Fötus, wenn die Frau bereits mehrere Wochen und Monate schwanger ist) Schwangerschaftsabbrüche aufgrund einer festgestellten Behinderung des Kindes vermieden werden. Spätabtreibungen aufgrund einer festgestellten Behinderung des Kindes, so das Argument, sind psychisch und physisch für die Frauen und Paare wesentlich belastender, als wenn die „schadhaften“ Embryonen schon vor der Einpflanzung aussortiert werden.
  3. PID als gezielte Heilungsmaßnahme für bereits geborene Geschwister. Der Fall der "Designerbabies" in Frankreich bringt eine weitere Facette des Themas ins Spiel: Es wird gezielt ein Embryo mit bestimmten Merkmalen ausgesucht und eingesetzt, um einem älteren Geschwisterkind mit Stammzellen z.B. aus dem Nabelschnurblut medizinisch zu helfen. Die Befürworter sprechen von einem doppelten "Segen": Zum einen wächst ein neues Kind heran, zum anderen trägt dieses neue Leben dazu bei, einem anderen Kind unter Umständen das Leben zu retten.

Folgende Argumente werden gegen die Zulassung der PID angeführt:

  1. Das Argument der Menschwürde: Eine gezielte Selektion von Embryonen ist nicht mit der Würde des Menschen vereinbar; Wenn das „Abenteuer“ Menschsein bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, dann dehnt sich die Menschenwürde und der damit verbundene Schutzanspruch auch auf die vermeintlich „schadhaften“ Embryonen aus; eine gezielte Selektion, auch wenn sie als gutgemeinte Hilfeleistung für bereits geborene, erkrankte Kinder gedacht ist, ist daher aus moralischen Gründen abzulehnen;
  2. Es besteht kein Rechtsanspruch auf ein (gesundes) Kind. Aus der Möglichkeit, Paaren durch künstliche Befruchtung einen Kinderwunsch zu erfüllen, darf kein prinzipielles Recht auf ein Kind erwachsen. Ein Kind ist und bleibt Geschenk und ist kein Artikel, den man auf Wunsch und nach Maß gleichsam „bestellen“ kann.
  3. Das Dammbruchargument: Wenn erst einmal erlaubt wird, Embryonen vor ihrer Einpflanzung nach bestimmen genetischen Merkmalen einer Krankheit auszusortieren, dann ist der Weg zum „Designerkind“ nicht mehr weit. Es wäre in der Praxis schwer zu verhindern, zukünftig auch Merkmale wie Augen- oder Haarfarbe, Größe, Statur etc. des Kindes genetisch zu ermitteln und so ein „Baby nach Maß“ zu bekommen. Hier ließe sich das Instrumentalisierungs- und Diskriminierungsverbot gegen eine solche Entwicklung anführen: kein Mensch darf zum Opfer der „Idealvorstellungen“ der Eltern oder einer Gesellschaft werden. Der Mensch hat gewissermaßen ein Recht auf genetische Zufälligkeit und Undeterminiertheit;
  4. Gegen das Argument, die PID zur Vermeidung von späteren Abtreibungen anzuwenden:
    Die PND darf keine Einbahnstraße in Richtung Abtreibung sein – es gilt, die Option offen zu halten, dass z.B. auch ein Leben mit einem Kind mit Behinderung lebenswert und schön ist;
    Bei der PID hingegen geht es von vornherein um eine Selektion des genetisch nicht perfekten Embryos – das Verfahren als solches bietet keine Alternative (sonst wäre es schließlich auch nicht zur Anwendung gekommen!); während also die PND auch dem „nicht-perfekten“ Kind Chancen für ein Leben in Würde bietet, kennt die PID nur die Auslese. Diese beiden Situationen nebeneinander zu stellen und so zu tun, als würde ein vermeintlich geringeres Übel das größere Übel verhindern, ist demnach nicht zulässig. Es handelt sich bei der PND um eine gänzlich andere Situation mit anderen Fragestellungen, die auch die Option für das Leben beinhalten (müssen).
  5. Gegen das Argument, die PID wäre für Frauen psychisch prinzipiell weniger belastend: Auch die Selektion von Embryonen kann zu psychischen und seelischen Konflikten bei den Frauen Paaren führen, wenn die Ansicht geteilt bzw. im Laufe der Zeit erlangt wird, dass das Leben mit dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Nicht selten befinden sich die betreffenden Frauen und Paare noch Jahre danach in massiven ethisch-moralischen Konfliktsituationen mit sich selbst.
  6. Der gesundheitliche Aspekt: Für Frauen sind PID oder auch IVF gesundheitlich grundsätzlich sehr belastende Verfahren. Durch die Verabreichung einer Überdosis an Hormonen werden mehrere Eizellen zur Heranreifung gebracht, was den weiblichen Organismus erheblich in Mitleidenschaft zieht.
  7. Aus Einzelfällen sollte keine Ethik gemacht werden. Bei allem Verständnis für den sehnlichsten Wunsch von Paaren, ein zweites, gesundes Kind zu bekommen, wenn z.B. bereits ein Kind mit einer bestimmten genetischen Krankheit da ist: Diese Einzelfälle stellen eine besondere Situation dar und bestätigen die Regel, wonach wir kein Recht darauf haben, dass nur gesunde und bestimmten Kriterien entsprechende Kinder zur Welt kommen;

Ein Fazit
Es ist aufgrund der vorgebrachten Punkte deutlich geworden, dass eine Reihe schwerwiegender Argumente gegen eine Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik spricht. Die stärksten Argumente sind dabei die Verletzung der Würde des Menschen und das daraus abgeleitete Instrumentalisierungs- und Tötungsverbot.
Bei allem Verständnis für einzelne, schwerwiegende oder auch tragische Situationen einzelner Paare, die an einer bestimmten Erbkrankheit leiden: Es wäre für unsere ganze Gesellschaft eine mehr als bedenkliche Entwicklung, wenn wir auf diesem Weg eine genetische Selektionsdynamik in Gang bringen würden, welche nur noch das Gesunde, Starke, Intelligente und Ästhetische im Blick hat. Einem Menschen das Leben zu schenken bedeutet immer auch, die Bereitschaft zu haben, dieses neue Leben so anzunehmen wie es ist, nämlich gerade nicht zwangsläufig gesund, stark und schön, sondern einfach menschlich.

Brisant ist aus christlicher Sicht sicherlich die unterschiedliche Argumentation und Sichtweise von evangelischer Seite. Wenngleich auch unter den einzelnen evangelischen Kirchen etwa in Deutschland keine Einigkeit zu diesem Thema herrscht, so lautet die Position einiger hoher Repräsentaten, die PID in wenigen begründeten Einzelfällen zuzulassen. Den Wunsch nach einem gesunden Kind zu erfüllen und die Nöte der Menschen so gut es geht zu lindern sind die beiden ersten Argumente dafür. Aus katholischer Sicht wird hingegen wie oben beschrieben bei Zulassung auch nur weniger Fälle ein Dammbruch befürchtet, der nicht mehr zu stoppen ist. Zusammenfassend lässt sich bemerken, dass die Herangehensweisen von katholischer und evangelischer Seite unterschiedlich sind: Während die katholische Kirche weniger vom einzelnen Fall, sondern von den befürchteten gesellschaftlich-sozialen Folgen und der Unantastbarkeit der Würde des Menschen her argumentiert, läuft die Debatte unter den evangelischen Kirchen am jeweiligen Einzelfall entlang. Das oben formulierte Argument, dass Einzelfälle nicht geeignet sind als Grundlage für Richtlinien und Normen mit gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen, verdeutlicht den Blickwinkel katholisch-deontologisch geprägter Ethik.
Mehr zur Diskussion der PID, die zwischen den christlichen Kirchen geführt wird, finden Sie hier.

Linktipps zum Thema
_ Kathpress
_ Die Debatte in Deutschland
_ Das Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien (IMABE)