Dr. Markus Hofer zeichnet ein pointiertes Bild des Franz von Assisi und seines Verhältnisses zur Natur

Inhaltsangabe des Artikels

Der Sonnengesang
Sonnengesang. Das Original
Sonnengesang. Die Übersetzung
Sonnengesang. Die Bedeutung
Sonnengesang. Die Hintergründe
Bruder Feuer. Eine Versöhnung

Franz der Naturmensch
Franz der Naturmensch. Zum Lob Gottes
Franz der Naturmensch. Überwindung des Dualismus
Franz der Naturmensch. Seine tierischen Vorlieben
Franz der Naturmensch. Die Vogelpredigt
Franz der Naturmensch. Schwester Natur

 

Franz von Assisi. Seine Spiritualität der Schöpfung

Die Menschen des Mittelalters hatten einen eher unsentimentalen Zugang zur Natur. Einerseits lebten sie von dem, was ihnen die Natur an Nahrung hergab. Andererseits erlebten sie die Natur als eine ständige Bedrohung mit Unwetter, Überschwemmungen, Ernteausfällen und Zerstörungen. Wenn die Menschen im Wettersegen beteten: „Vor Blitz, Hagel und Ungewitter bewahre uns o Herr“, so ging es tatsächlich um das Überleben der Menschen.

Franz Portrait 1
Älteste Darstellung des Franz von Assisi


Aus dieser Zeit ragt in besonderer Weise der hl. Franz von Assisi (1182-1226) hervor, der zu einem ganz neuen Verhältnis zur Natur fand. Seine Verehrung der Natur, wie sie im Sonnengesang zum Ausdruck kommt, hatte einen ganz einfachen Grund. Er liebte die Natur, weil sie Schöpfung Gottes war. Aus diesem Grund waren für ihn Sonne, Mond und Sterne Brüder und Schwestern, alle gleicher Maßen von Gott geschaffen.

 

Sonnengesang. Das Original

Franz von Assisi hat den Sonnengesang in der Sprache geschrieben, die er selber gesprochen hat. Es ist ein umbrischer Dialekt des Altitalienischen, noch sehr nahe am Lateinischen. Eine gemeinsame italienische Hochsprache gab es damals noch nicht. Dichtung in der Alltagssprache war damals sehr ungewöhnlich; meist wurde das Lateinische verwendet.

Sonnengesang 
Beginn des Sonnengesangs, Codex 338, Assisi

Altissimu, onnipotente bon Signore,
Tue so' le laude, la gloria e l'honore et onne benedictione.
Ad Te solo, Altissimo, se konfano,
et nullu homo ène dignu te mentovare.

Laudato si’, mi' Signore cum tucte le Tue creature,
spetialmente messor lo frate Sole,
lo qual è iorno, et allumeni noi per lui.
Et ellu è bellu e radiante cum grande splendore:
de Te, Altissimo, porta significatione.

Laudato si', mi Signore, per sora Luna e le stelle:
in celu l'ài formate clarite et pretiose et belle.

Laudato si', mi' Signore, per frate Vento
et per aere et nubilo et sereno et onne tempo,
per lo quale, a le Tue creature dài sustentamento.

Laudato si', mi' Signore, per sor Aqua,
la quale è multo utile et humile et pretiosa et casta.

Laudato si', mi Signore, per frate Focu,
per lo quale ennallumini la nocte:
ed ello è bello et iocundo et robustoso et forte.

Laudato si', mi' Signore, per sora nostra matre Terra,
la quale ne sustenta et governa,
et produce diversi fructi con coloriti flori et herba.

Laudato si', mi Signore, per quelli che perdonano per lo Tuo amore
et sostengono infirmitate et tribulatione.

Beati quelli ke 'l sosterranno in pace,
ka da Te, Altissimo, sirano incoronati.

Laudato si' mi Signore, per sora nostra Morte corporale,
da la quale nullu homo vivente po' skappare:
guai a quelli ke morrano ne le peccata mortali;
beati quelli ke trovarà ne le Tue sanctissime voluntati,
ka la morte secunda no 'l farrà male.

Laudate et benedicete mi Signore et rengratiate
e serviateli cum grande humilitate.

(Quelle: http://it.wikipedia.org/wiki/Cantico_delle_creature)

 

Sonnengesang. Die Übersetzung

Der Sonnengesang ist in einer sehr einfachen, aber höchst poetischen Sprache verfasst. Im Gegensatz zum Deutschen ist in der italienischen Sprache die Sonne männlich und der Mond weiblich, weshalb meist auch mit „Bruder Sonne“ und „Schwester Mond“ übersetzt wird. Eigentlich wären es in unserer Sprache die „Schwester Sonne“ und der „Bruder Mond“.

Sonnengesang Übersetzung
Sonnengesang, Codex 338, Assisi

Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein ist das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie
Und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
besonders dem Herrn Bruder Sonne,
der uns den Tag schenkt und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:
Von dir, Höchster, ein Sinnbild.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Schwester Mond und die Sterne,
am Himmel hast du sie geformt,
klar und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Bruder Wind,
für Luft und Wolken, heiteres und jegliches Wetter,
durch das du deine Geschöpfe am Leben erhältst.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Schwester Wasser,
sehr nützlich ist sie
und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Bruder Feuer,
durch den du die Nacht erhellst.
Und schön ist er und fröhlich und kraftvoll und stark.

Gelobt seist du, mein Herr,
Für unsere Schwester Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt,
mit bunten Blumen und Kräutern.

Gelobt seist du, mein Herr,
für jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Not.
Selig, die ausharren in Frieden,
denn du, Höchster, wirst sie einst krönen.

Gelobt seist du, mein Herr,
für unseren Bruder, den leiblichen Tod;
kein lebender Mensch kann ihm entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig, die er finden wird in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.
Lobet und preiset meinen Herrn
Und dankt und dient ihm mit großer Demut

(Quelle: http://www.schriften.franziskaner-werd.ch/songesa.htm)

 

Sonnengesang. Die Bedeutung

Den Sonnengesang dichtete Franz von Assisi nicht als schwärmerischer Jugendlicher, während durch die Mohnfelder des Spoletotals spazierte. Er entstand als er mit 43 Jahren im Frühjahr 1225 schon sehr krank war und auf eine ebenso schmerzhafte wie sinnlose Augenoperation wartete. In einem alten Quellentext heißt es: „Und als der selige Franziskus dort mehr als fünfzig Tage lag, konnte er das Tageslicht nicht mehr ertragen und nachts nicht mehr das Licht des Feuers. Vielmehr blieb er im Haus und in jener Zelle immer im Dunkeln. Zudem hatte er Tag und Nacht große Schmerzen in den Augen, so dass er nachts kaum ausruhen und schlafen konnte.“ Es war keine Idylle, sondern vielmehr eine Nacht der Verzweiflung in Krankheit und Leid, in der Franz von Assisi diese großartigen Lobpreis auf die Schöpfung Gottes dichtete. Im Jubel dieser Dichtung überwindet der seine Schmerzen, indem er sich in den Zusammenhang der Schöpfung Gottes stellt.
„Der Sonnengesang ist und bleibt ein Gebet. Mit reiner Naturschwärmerei hat er sehr wenig zu tun. Er ist kein Lob der Natur, sondern ein Lob Gottes durch die Natur, durch die Fülle der Schöpfung. Der betende Francesco positioniert sich in diesem Lied nicht zur Natur, sondern zu Gott. In diesem Sinn ist der Sonnengesang aber auch ein klares Bekenntnis zu Natur und Materie, zur stofflichen Wirklichkeit als einer Schöpfung Gottes. In der Geschichte des Christentums hat vermutlich niemand zuvor die Theologie der Schöpfung derart konkret, klar und konsequent auf den Punkt gebracht. Der sinnliche Mensch Francesco ergießt sich aber nicht in theologische Formulierungen, sondern singt, lobt und preist, nennt die Dinge beim Namen, zählt auf, beschreibt und wird konkret. Es ist die sinnliche Antwort des von Gott geschaffenen Menschen der Genesis, der nun seine Mitgeschöpfe als Brüder und Schwestern beim Arm nimmt. Der Grundgedanke ist theologiegeschichtlich nicht neu, aber niemand vor ihm hat dieses kirchliche Stiefkind so plastisch und greifbar wieder ins Bewusstsein geholt.“ (Markus Hofer, Francesco, 2000, S 231f)

 

Sonnengesang. Die Hintergründe

Meist ist zu lesen, dass Franz von Assisi den Sonnengesang in San Damiano, dem Kloster der hl. Klara, gedichtet habe, während er von Klara und ihren Schwestern gepflegt wurde. Eine alte Quellenschrift und die örtlichen Gegebenheiten legen aber nahe, das das eher in San Fabiano im Rietital war, im heutigen La Foresta. Unterhalb des kleinen Raumes ist eine Felsgrotte, in die er sich zurückzog, weil seine Augen das Tageslicht und den Rauch nicht aushalten konnte in dem einzigen Raum, wo auch gekocht wurde. Mit vielleicht drei seiner engsten Brüder überbrückte er hier in der armen Behausung eines Landpriester die Zeit bis zur Augenoperation, die sein Leiden beheben sollte, in Wirklichkeit aber nur verschlimmerte.

 

La Foresta (San Fabiano)
La Foresta (San Fabiano)

Sicher ist, dass es zum Sonnengesang von Anfang an auch eine Melodie gab, die aber leider nicht erhalten ist. Die Quellen berichten aber immer wieder, dass er und seine Brüder das Lied, den Cantico delle Creature, gesungen hätten und als Franz so krank war, dass er nicht mehr singen konnte, ließ er sich das Lied zuletzt auch auf dem Totenlager von seinen Brüdern vorsingen.

In umbrischen Archiven ist ein Lied gefunden worden, das damals sehr populär war und das von Rhythmus und Melodie her zum Text passt. Wahrscheinlich hatte Franz eine eingängige, ihm sehr vertraute Melodie im Ohr, als er Strophe für Strophe den eigenen Text dazu dichtete. Sprachlich lehnte er sich an den ihm aus dem Stundengebet vertrauten Gesang der drei Männer im Feuerofen an aus dem Buch Daniel 3,51-90. Auch der Psalm 148 ist dem Sonnengesang sehr nahe. Franz von Assisi konnte sich in Duktus, Bilder und Rhythmik dieser vertrauten Hymnen einschwingen und darin seine eigenen Worte finden.

Vermutlich entstand die heutige Form des Sonnengesangs in drei Etappen. Die Friedensstrophe kam hinzu, als Franz von Assisi in einem politischen Streit in seiner Heimatstadt vermittelte und den Frieden wieder herstellte. Die Strophe mit Bruder Tod dichtete er vermutlich erst kurz vor seinem Sterben. Der Schlussvers bildete ev. das Ende der ersten Fassung vor der Friedensstrophe.

 

Bruder Feuer. Eine Versöhnung

Von Sonne und Mond zu schwärmen, von Luft, Wolken und Wasser ist nicht schwierig. Franz von Assisi selber schwärmt nicht nur, sondern er nimmt die Natur am Arm, stellt sich selber mitten hinein. Weil sie genauso Schöpfung Gottes sind wie er, sind sie alle Brüder und Schwestern. Sperriger wird es aber, wenn es um Feuer, Krankheit und Tod geht. Wenn Franz über Bruder Feuer sagt, dass er „schön ist und fröhlich und kraftvoll und stark“, dann weiß er im selben Moment sehr wohl, dass Feuer auch schmerzhaft und zerstörerisch sein kann. Er selber hat es bei der Augenoperation erfahren, wo ihm glühende Eisen an die Schläfen gedrückt wurden. Davor betete er in ganz besonderer Weise zu Bruder Feuer.
Die Natur und alles, was dazu gehört, ist nicht immer nur romantisch. Das gilt letztlich für unser ganzes Leben. Wenn Franz das Feuer als Bruder anredet, dann versöhnt er sich auch mit dem, was schmerzt, mit den Grenzen und Brüchen des Lebens, den Schatten und Abgründen. Da gehört schon mehr dazu als bei Sonne und Mond. Als letztes kommt dann auch noch die Strophe mit Bruder Tod hinzu. Es braucht viel, bis ein Mensch nach schwerer Krankheit und dem nahenden Ende den eigenen Tod als Bruder ansprechen kann. Vielleicht ist es aber gerade die höchste Form der Versöhnung mit sich, dem eigenen Leben, den anderen Menschen, der Natur und mit Gott. Im Fall von Franz von Assisi ist es eine Versöhnung, die zu tiefst getragen ist von der Gewissheit der Erlösung. Aus dieser Haltung heraus hat er auch den gesamten Sonnengesang gedichtet.

 

Franz der Naturmensch. Zum Lob Gottes

Die Natur war nicht das wichtigste in seinem Leben, aber sie spielte eine große Rolle. Viele Geschichten sind überliefert, manchmal auch durchaus kauzige. Er war aber mehr als ein Eselflüsterer oder Hasenstreichler. Darum ist es wichtig, sich noch mal zu vergewissern, worum es ihm ging. Um nichts anderes nämlich, als um das Lob Gottes.

„Wenn er sich die Hände wusch, wählte der selige Franziskus den Ort so, dass das Wasser nachher nicht von den Füßen misshandelt wurde. Wenn er über einen Felsen wandern musste, ging er mit Furcht und Ehrfurcht aus Liebe zu dem, der Fels genannt wird. ... Dem Bruder, der den Garten pflegte, sagte er auch, er solle nicht in der ganzen Erde des Gartens nur essbare Kräuter anpflanzen, sondern einen Teil der Erde freilassen, damit sie blühende Kräuter hervorbringe, die zu ihrer Zeit die Schwestern Blumen hervorbringen. Er sagte sogar, der Bruder Gärtner solle in einer Ecke des Gartens ein schönes kleines Gärtchen anlegen und dort alle wohlriechenden Kräuter und alle Gräser, die schöne Blumen hervorbringen, setzen und anpflanzen, damit sie zu ihrer Zeit all ihre Betrachter zum Lob Gottes einladen würden. Denn jedes Geschöpf sagt und ruft: "Gott hat mich deinetwegen gemacht, o Mensch." (LegPer 88)

Franziskus-Plastik im Kloster Sießen
Moderne Franziskus-Plastik im Kloster Sießen

„Francescos hatte gegenüber der Natur eine spirituelle, eine religiöse Haltung. Dieses 'Abheben', wie man das, was die Augenzeugen berichten, heute vielleicht nennen würde, grenzt fast an religiöse Ekstase: "Dann schien sein Geist nicht auf der Erde, sondern im Himmel zu sein." Francesco sah Gott in der Natur und erlebte ihn im Blick auf die Natur, auf die Dinge, auf die Geschöpfe Gottes. Gerade deswegen war dieser Blick keine reine Schwärmerei, keine Flucht aus dem Leben oder aus einem Überdruss und schon gar nicht eine Flucht vor Menschen. Die Liebe zu Gott und zu seinen Geschöpfen waren in seinem Leben eine untrennbare Einheit. Wenn er dann am Ende seines Lebens auch noch Bruder Tod umarmte, war es für ihn keine neue Übung in Askese, sondern das konsequente Ja zum Leben, zu dem auch der Tod gehört und gleichzeitig der entscheidende Trost.“ (Markus Hofer, Francesco, 2000, S 235)

 

Franz der Naturmensch. Überwindung des Dualismus

Seit der Antike gab es immer wieder dualistische Denkweisen, die auch in die Theologie herein gespielt haben. Zur Zeit des Franz von Assisi spielten sie gerade in der Katharerbewegung mit ihrer Naturfeindlichkeit eine große Rolle. Dualistische Denkweisen trennen zwischen dem Bereich der Materie oder des Körperlichen und dem Bereich des Geistigen. Dabei wird durchgehend das Materielle als das Böse und das Geistige als das Gute angesehen wird. Dualistisches Denken steht aber im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Tradition, die gemäß den Schöpfungsgeschichten der Genesis die Natur nicht als etwas Böses ansieht, sondern als Werk Gottes. Die Kirche hat dualistische Lehren grundsätzlich immer abgelehnt, auch wenn sie in manchen Bereichen kaum ganz davon frei war. 

„Die Katharerbewegung nun, die als geschichtlicher Hintergrund der Zeit Francescos nicht vergessen werden darf, sieht in der stofflichen Welt grundsätzlich die Handlanger des Bösen, teilweise sogar die Materie als eine Schöpfung Satans. Das Gute, der Geist und auch die Engel gelten als in die Hölle des Irdischen eingekerkert. Aus einer ähnlichen Richtung stammt der damalige Mythos, dass Sonne und Mond Liebende seien, die in einer sündhaften Beziehung stehen und die Frucht dieser sündigen Vereinigung zeige sich im Tau, im Wasser, das dieser Vereinigung entspringt. Francescos Antwort im Sonnengesang ist klar und eindeutig. Die Schöpfung ist grundsätzlich gut, weil sie von Gott so geschaffen ist und nicht zuletzt offenbart sich gerade in der Schönheit der Natur die Größe und Güte Gottes. Darum gibt es für Francesco auch kein Lob der Natur, das nicht gleichzeitig ein Lob Gottes wäre.“ (Markus Hofer, Francesco, 2000, S 232f)

 

Franz der Naturmensch. Seine tierischen Vorlieben

Ganz universell klingt es im Sonnengesang, die ganze Schöpfung als Schwester und Brüder. Tiere kommen im Sonnegesang allerdings keine vor. Allerdings gibt es eine Reihe alter Erzählungen, die auch seine Liebe zu den Tieren verdeutlichen. Gegenüber den Tieren war er aber nicht ganz neutral. Seine eindeutige Vorliebe galt den Lerchen, weil von ihrem Aussehen her (graue Haube), ihrem Leben auf der Straße und dem Gesang am meisten ihm und seinen Minderbrüdern glichen:

Der selige Franziskus sagte von der Lerche: "Die Schwester Lerche hat eine Kapuze wie die Ordensleute, und sie ist ein demütiger Vogel, der gern auf die Straße geht, um sich Futter zu suchen. Selbst wenn sie es im Mist der Tiere findet, zieht sie es heraus und frisst es. Fliegend lobt sie den Herrn wie gute Ordensleute, die auf das Irdische herabschauen und immer im Himmel leben. Außerdem ist ihr Kleid, nämlich ihre Federn, der Erde ähnlich. Damit geben sie den Ordensleuten ein Beispiel, dass sie nicht farbige und kostbare Kleider haben sollen, sondern gleichsam tote, nach Art der Erde." Und weil der selige Franziskus in den Schwestern Lerchen dies sah, liebte er sie sehr und sah sie gern. (LegPer 14)

Haubenlerche
Haubenlerche

Franz von Assisi war ein sinnlicher Mensch, kein großer Philosoph und vom Sonnengesang abgesehen auch kein großer Dichter. Er suchte immer wieder nach greifbaren Bildern, nach sinnlichem Ausdruck für seinen Glauben. Darin wurzelt auch diese nette, heute etwas naiv anmutende Geschichte mit den Lerchen. Dazu gehört aber auch das Weihnachtsfest in Greccio im Jahr 1223. Er wollte das Geheimnis von Weihnachten „so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen“. Und so inszenierte er die erste Krippenfeier der Geschichte und für ihn war es selbstverständlich, dass dabei auch Ochs und Esel neben dem Altar standen; damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

 

Franz der Naturmensch. Die Vogelpredigt

Durch die Darstellungen in der Kunst ist vor allem die sog. Vogelpredigt des Franz von Assisi sehr populär geworden. In den Quellentexten heißt es: „Vater Franziskus wandte sich einem in der Nähe von Bevagna gelegenen Ort zu. Dort war eine überaus große Schar von Vögeln verschiedener Arten versammelt. Als er schon ziemlich nahe bei den Vögeln war und sah, dass sie ihn erwarteten, grüßte er sie in gewohnter Weise. Ungeheure Freude erfüllte ihn, und er bat sie demütig, sie sollten doch das Wort Gottes hören. ‚Meine Brüder Vögel! Gar sehr müsst ihr euren Schöpfer loben und ihn stets lieben; er hat euch Gefieder zum Gewand, Fittiche zum Fluge und was immer ihr nötig habt, gegeben. Vornehm machte euch Gott unter seinen Geschöpfen, und in der reinen Luft bereitet er euch eure Wohnung. Denn weder säet noch erntet ihr, und doch schützt und leitet er euch, ohne dass ihr euch um etwas zu kümmert braucht.’“

Vogelpredigt
Giotto, Vogelpredigt, Basilika San Francesco, Assisi

Wer einmal im Frühling entlang des Spoletotals von Bevagna nach Montefalco wandert, kann diese „Vogelpredigt“ heute noch erleben. Wenn da aus alle Ästen und Zweigen sich ein vielstimmiges Konzert erhebt, kann man die Geschichte auch umgekehrt lesen. Vielleicht hat weniger Franz den Vögeln als vielmehr die Vögel mit ihrem Gesang dem Heiligen gepredigt von der Größe Gottes und der Schönheit seiner Schöpfung.

 

Franz der Naturmensch. Schwester Natur

„Wie oft ging ich in dem Wäldchen bei der Porziuncola spazieren. Es war, wenn ich sentimental werden darf, ein Lustwandeln inmitten der Schöpfung Gottes. Ich erschrak ab jedem Zweig, der unter meinen Füßen zerbrach. Ich genoss die Stille, wurde immer langsamer, blieb manchmal stehen, lehnte mich an einen Baum, um der Sonne zwischen den Baumkronen zuzublinzeln. Jede Ameise, die mir über den Hals kroch, nahm ich auf meine Finger. Stundenlang konnte ich ihrem Treiben zuschauen und wurde ganz ruhig dabei. Wenn ich so allein in der Natur war, hat es mich immer wie verwandelt. Ich summte mit den Bienen und pfiff mit den Vögeln. Oft ertappte ich mich selber, wie ich die längste Zeit neben einem Baum stand und grundlos vor mich bin lächelte.
Die Brüder meinten, ich wäre immer ganz verzückt von solchen Spaziergängen zurückgekommen. Sie müssen gespürt haben, wie gut mir die Natur tat. Ich fühlte mich eins mit allem, mit Gott und mit mir. Ich war im Lot. Wenn ich einmal unruhig war oder mir Dinge zu viel wurden und ich nicht wusste, was ich tun sollte, zog ich mich allein zurück in die Natur zu meinen anderen Brüdern und Schwestern. Dort fand ich bald wieder zu meiner inneren Ruhe. Nachts verklärte der Mond manchmal jedes Blatt, die Steine und das Moos schimmerten in unbeschreiblichem Glanz. Der Blick in den weiten Himmel mit seinen vielen Sternen erfüllte mich jedes Mal mit tiefer Dankbarkeit. Hin und wieder stellte ich mich an einen Baum oder auf einen kleinen Hügel, um so richtig den Wind zu spüren. Er half mir immer wieder, vieles wegzublasen. Die Natur steht euch zur Verfügung, doch dürft gerade ihr Männer nicht vergessen, dass es dabei nicht um Sport oder Leistung geht, sondern um loslassen und heimkommen.
Das eine oder andere Mal wurde ich in solchen Situationen auch traurig. Ich spürte dann, dass da etwas war, dass ich etwas nur vor mir her geschoben hatte. Manchmal rannen mir Tränen über das Gesicht, der Regen, der von innen kommt und der genauso reinigen kann wie Wind und Wetter. Zuweilen habe ich auch die Herausforderung gesucht, die Grenzen vielleicht. Es waren jene Tage und Nächte in Höhlen, auf Felsplatten oder unter einem vorspringenden Stein. Es waren die weniger idyllischen Jahreszeiten, der Regen und die Kälte, der harte Fels, das Grollen des Donners, die Finsternis, Stürme und Unwetter. Dann musste ich einiges aushalten, bis ich wieder eins war mit ihnen, bis ich auch die raueren Brüder und Schwestern umarmen konnte. Aber auch sie gehörten zu mir und ich zu ihnen.“ (M. Hofer, Franz für Männer. Was uns der Mann aus Assisi zu sagen hat, 2001, S 99f)

Dr. Markus Hofer, Männerbüro

 

Buchtipps

  • M. Hofer, Francesco. Der Mann des Jahrtausends. Die historische Gestalt des Franz von Assisi, 2000
  • M. Hofer, Franz für Männer. Was uns der Mann aus Assisi zu sagen hat, 2001
  • M. Hofer, Wilde Orte. Franz von Assisi und seine Einsiedeleien, 2004