Vortrag von Christoph Kardinal Schönborn am 3. Jänner 2009 im Kloster Mehrerau: "Begriffsklärungen, naturphilosophische Überlegungen und scharfe Kritik des Kardinals an bestimmten ideologischen Auswüchsen standen im Zentrum", so Michael Willam vom EthikCenter der Diözese Feldkirch. Im Folgenden eine Zusammenfassung der Aussagen von Kardinal Schönborn

„Lassen wir Darwin das sein, was er ist: Ein hervorragender Naturbeobachter“ - Darwinsche Theorie vs. Darwinismus

Die wissenschaftliche Theorie Darwins zur Entstehung der Arten, die vor 150 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht wurde, ist eine geniale und plausible Erklärung, wie sich das Leben und die Arten auf dieser Erde durch Mutation, Anpassung und Selektion entwickelt haben. An dieser Theorie, so der Kardinal, ist schlichtweg nicht zu zweifeln.

Der Darwinismus hingegen überlagere diese Theorie mit ideologischen Elementen: Natürliche Selektion durch das Überleben des „am besten Angepassten“ wurde seit jeher als oberstes Prinzip auch auf gesellschaftspolitische Fragestellungen angewandt. Seien es die Theorien von Marx, Engels oder die nationalsozialistische Ideologie: Sie vereinnahmten Darwins Erkenntnisse für die Ideologie der erbarmungslosen Selektion, des Aussiebens, des gewissermaßen natürlich legitimierten Wegfallens aller Schwachen und nicht Durchsetzungsfähigen.

„Für den Glauben stellt es absolut keine Schwierigkeit dar, jegliche naturwissenschaftliche Entdeckung anzunehmen“

Das zweite Begriffspaar, welches es zu unterscheiden gilt, ist jenes des Kreationismus und des Materialismus. Der Kreationismus, eine in den USA in evangelikalen Kreisen weit verbreitete, fundamentalistische Ideologie, nimmt die Aussagen der Bibel wörtlich: Die Welt ist demnach ca. 6000 Jahre alt und wurde in sechs Tagen geschaffen. Auch Adam und Eva sind im wörtlichen Sinn als die ersten von Gott geformten Menschen zu erachten.

“Dies ist natürlich ein Unsinn“, stellt sich Kardinal Schönborn entschieden gegen solche Ansichten und betont, dass der Glaube an einen Schöpfergott von kreationistischen Ansätzen unterschieden werden müsse. Der Glaube an Gott könne durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse keineswegs in Gefahr gebracht werden. Evolution und Schöpfungsglaube, so der Kardinal, gingen ohne Probleme miteinander einher.

Der Materialismus hingegen starte den Versuch, mit naturwissenschaftlichen Methoden zu beweisen, dass es keinen Schöpfer gibt, dass alles nur auf Materie und Zufall zurückzuführen sei.

„Die Nicht-Existenz Gottes kann genauso wenig mit naturwissenschaftlichen Mitteln bewiesen werden wie seine Existenz“

Aufgabe der Theologen sei es mit Sicherheit nicht, in die naturwissenschaftlichen Debatten einzugreifen. Umgekehrt sei es nicht tolerierbar, wenn Naturwissenschaftler ihrerseits meinen, sie könnten ein philosophisches oder theologisches Modell zur Erklärung der Welt aus ihren Theorien ableiten. Die Materialisten behaupten, es gebe nichts anderes außer Materie. Dies sei eine klare Grenzüberschreitung ihres Erkenntnisanspruches, natürliche Prozesse zu beschreiben und zu dokumentieren. Die Aussage ist demnach nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch, da etwas postuliert wird, was mit den Methoden der eigenen (Natur) Wissenschaft nicht bewiesen werden kann.

Ein letzter zentraler Begriff ist jener des Zufalls: Was heißt Zufall in Abgrenzung zu Notwendigkeit?
Dass jeder einzelne von uns existiert, ist nicht notwendig der Fall. Es könnte uns auch nicht geben, kein Zweifel. Im Glauben schreiben wir es dem Wirken Gottes zu, dass wir genau so geworden sind, wie wir sind. Nicht notwendigerweise, jedoch nur darum, weil viele Faktoren zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich waren und „zufällig“ zusammengespielt haben. (Unsere Eltern lernten sich zufällig kennen, verliebten sich (zufällig?) ineinander und zeugten ein Kind, das durch (zufällige) genetische Veranlagung und ein bestimmtes soziales Umfeld genau die Merkmale aufweist, was denjenigen Menschen heute ausmacht.)

Alles nur Zufall? Kardinal Schönborn betont, dass die Perspektive entscheidend ist, um Sinnhaftigkeit und Plan entdecken zu können.

„Erst Blick auf das Ganze erkennen wir Ziel und Sinn der Schöpfung“

Der Glaube an einen Schöpfergott macht uns ein Deutungsangebot für eine Reihe an scheinbar zufälligen Ereignissen: Es gibt da einen, der diese ganzen Abläufe als Ursache aller Ursachen trägt, begründet und begleitet. Es gibt einen „Ich bin da“, der uns so gewollt hat, einen, der mit uns auf dem Weg ist und uns eine Antwort gibt auf die Fragen: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?

Der Blick auf das Ganze ist somit entscheidend. Nur durch diese Brille nehmen wir die wahre Schönheit und Ordnung in der Natur wahr. Kardinal Schönborn zitiert an dieser Stelle Darwin, welcher selbst feststellte, dass er im Einzelnen der Abläufe in der Natur keinen Plan entdecken könne. Im Blick auf das Ganze jedoch könne er einen solchen sehr wohl erkennen...

Die Sprache des „Ich bin da“

Zum Schluss seiner Ausführungen wies Kardinal Schönborn auf einige moderne Auswüchse des Darwinismus hin und verurteilte diese scharf. Unter anderem kritisierte er unser neoliberales Wirtschaftssystem, welches die darwinsche Theorie eines „survival of the fittest“ ohne Grenzen und ökosoziale Maßregelungen zum bestimmenden Merkmal in der Marktwirtschaft macht. Die Konsequenzen einer solchen faschistischen Marktauffassung würden für uns alle langsam spürbar. Weiters betonte der Kardinal, welch fatale Auswirkungen etwa eine darwinistisch-faschistische Gesellschaftsordnung hätte, in welcher nur mehr „die Besten“ ein Existenzrecht besäßen.

Als letzten Punkt thematisierte er den „angewandten Darwinismus“ in Fragen der Bioethik: Der Transhumanismus, eine Ideologie, welche sich über alle Grenzen der Würde des Menschlichen hinwegzusetzen versucht, gehe einher mit einer biologistischen und eugenischen Ethik. Nur noch das Gesunde, das Starke und Durchsetzungsfähige in der Natur soll leben. Eugenische Selektionsverfahren wie z.B. im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik (PID) seien mit aller Entschiedenheit abzulehnen. Es gelte, die klare Sprache des christlichen Gottes dagegen zu halten.

Es ist die Sprache des „Ich bin da“ als ein Einstehen für alle Benachteiligten und Diskriminierten in dieser Welt, welche oftmals überhört wird und welche wir als Christen selbstbewusst sprechen sollen.

Dr. Michael Willam, Leiter des EthikCenters der Diözese Feldkirch