Dignitas personae, das aktuelle Dokument der Glaubenskongregation, setzt sich für den frühest möglichen Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens ein. Vier zentrale philosophische Argumente werden im folgenden Artikel angeführt, welche zusammen genommen für den Beginn menschlichen Lebens ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle sprechen...

Was bedeutet eigentlich „Würde“? Wer oder was hat heute „Würde“ im eigentlichen Sinn?

Das Wort hat in unserer Alltagssprache einen festen Platz. Wir sprechen oftmals von einer „würdigen Feier“, einem „würdigen Sieger“ oder auch von einer „menschenunwürdigen Situation“. Die „Unantastbarkeit der Würde des Menschen“, so wie sie in der Menschenrechtskonvention nach dem 2. Weltkrieg festgeschrieben wurde, ist zunächst vom unmittelbaren Betroffensein von den katastrophalen Folgen dieses Krieges geprägt. Die Würde des Menschen ist demnach ein negativer Begriff: Die Menschen wussten, dass diese Würde während dieser Zeit massiv verletzt wurde – und sie wollten nach dem Krieg alles dafür tun, dass so etwas nicht mehr passiert. Doch was meint diese Würde positiv ausgedrückt? Mit anderen Worten, was ist der Gehalt dieser Aussage? Warum ist der Mensch etwas Besonderes? Der berühmte deutsche Philosoph Immanuel Kant begründete die besondere Würde auf der Vernunftfähigkeit des Menschen. Ein Wesen, das prinzipiell in der Lage ist, über sich selbst nachzudenken, verdient einen besonderen Schutz und hat eine besondere Würde.
Für uns Christen erklärt sich die besondere Würde des Menschen von Gott her. Gott verleiht jedem Menschen seine unverwechselbare Würde. Es spielt keine Rolle, ob dieser noch im Bauch der Mutter heranwächst, ob er ein Mensch mit Behinderung ist, ob er krank, dement oder im Koma ist: Gott blickt diesem Menschen in die Augen. Er schaut ihn an. Er heiligt ihn, segnet ihn und ist mit ihm sein ganzes Leben lang. Der Mensch ist, wie es schon im Buch Genesis steht, „Gottes Ebenbild“ – sein Gegenüber. Sein Partner.
Ab welchem Zeitpunkt jedoch beginnt das Leben eines Menschen?
Ist es die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle? Ist es die Einnistung in die Gebärmutter? Oder vielleicht das Ende einer möglichen Zwillingsbildung der Zygote zwei Wochen nach der Befruchtung? Sind es die ersten Synapsen im sich ausbildenden Gehirn, welche diesen Zeitpunkt markieren? Oder ist es gar erst die Geburt des Menschen, welche ihn zu einem personalen Wesen mit unverletzbarer Würde und allen Rechtsansprüchen und damit absolut schutzwürdig macht?
Die Katholische Kirche hat dazu eine eindeutige Position: Das Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Ab diesem Zeitpunkt ist der Embryo mit personaler Menschenwürde versehen, d.h. er hat absoluten Schutzanspruch. Eine Güterabwägung ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zulässig und der Embryo ist gegen kein anderes Gut verrechenbar.
„Dignitas personae“ nennt sich das aktuelle Schreiben der Glaubenskongregation zu vielen bioethischen Fragen und Problemen. Angefangen bei der künstlichen Befruchtung, den vielfältigen Eingriffsmöglichkeiten des Menschen in die ersten Phasen der Entwicklung bis hin zu den Themen Klonen und Erzeugung von Hybriden, in denen genetische Elemente von Tieren und Menschen vermischt werden: die Würde des Menschen steht im Zentrum aller Aufmerksamkeit und wird mit aller (Überzeugungs-) Kraft und Vehemenz verteidigt.

Die Frage, wann menschlich-personales Leben beginnt, ist wohl mittlerweile genauso komplex geworden wie die Frage, wann es für uns Menschen endet. An den Grenzen menschlichen Lebens spitzt es sich gewissermaßen zu:
Politische Verantwortungsträger und Naturwissenschaftler sind gleichermaßen gefordert, medizinisch-biologische Erkenntnisse der letzten Jahre und die Abläufe bei der Entstehung eines Menschenlebens genauestens zu studieren, um zu einem gut argumentierbaren Ergebnis zu kommen.
Wir sind als Christen gefordert, die von Gott abgeleitete unantastbare Würde des Menschen als ständige Grundlage, als „basso continuo“ unserer Argumentationen wahrzunehmen und darauf hin anzulegen. Wenn es um einen möglichst frühen Zeitpunkt zur Festlegung des Lebensbeginns geht, werden oftmals vier zentrale philosophische Argumente vorgebracht:

1.      Das Speziesargument
2.      Das Kontinuumsargument
3.      Das Identitätsargument
4.      Das Potentialitätsargument

 1.      Das Speziesargument besagt, dass aufgrund der genetischen Veranlagung nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der Mensch unverkennbar der „Spezies Mensch“ angehört. Da jedes Mitglied der Gattung Mensch Würde hat, hat auch der Embryo bereits Menschenwürde
2.      Das Kontinuumsargument besagt, dass die befruchtete Eizelle mit großer Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, sich in geeigneter Umgebung kontinuierlich und ohne große „Entwicklungssprünge“ bis zu einem voll ausgebildeten Kind weiter zu entwickeln. Es ist demnach nicht gerechtfertigt, einen bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung nach der Befruchtung festzulegen, ab welchem der Embryo mehr wert sein sollte als vorher.
3.      Das Identitätsargument: „Der seltsame Fall des Benjamin Button“, heißt ein aktueller Film, der demnächst im Kino zu sehen sein wird. Brad Pitt spielt darin einen Mann, der auf wundersame Weise als Greis geboren und im Lauf seines Lebens immer jünger wird. Er lebt sozusagen „rückwärts“, wird jünger und jünger, vom Erwachsenen zum Jugendlichen, vom Jugendlichen zum Kind (und weiter wäre denkbar: vom Kind zum Baby, vom Baby zum Fötus, vom Fötus zum Embryo). Dieses Zurückdrehen der Entwicklungsstadien macht intuitiv deutlich, dass er von Anfang an immer derselbe ist. Der Mann kehrt gewissermaßen zurück an seinen Anfang. – und wo sollte dieser sein, wenn nicht bei der Befruchtung?
Ganz selbstverständlich würden wohl viele aus dieser Perspektive sagen, das sie es sind, derselbe Mensch, der zuerst eine befruchtete Eizelle, dann ein Fötus, ein Baby, ein Jugendlicher ist – bis hin zum alten Greis.  (siehe das Kontinuumsargument)
4.      Das Potentialitätsargument schließlich zielt auf die Tatsache ab, dass bereits im Embryo potentiell alle Voraussetzungen und Anlagen zum „Menschsein“ gegeben sind. Diese müssen sich lediglich entwickeln. Seine normative Kraft erhält das Argument dadurch, dass dieses Potential zur Ausbildung / Entwicklung gewisser Merkmale gegeben ist. Die potentielle Entwicklung darauf hin soll daher geschützt sein. Noch dazu besteht eine „aktive Potentialität“, d.h. bei normalem und natürlichem Verlauf treibt der Embryo aus sich heraus im Zusammenspiel mit seiner Umgebung die kontinuierliche Weiterentwicklung voran.
Schnell wird klar, dass diese vier Argumente eigentlich zusammen gehören. Nur das Zusammenspiel der Argumentationen macht letztlich deutlich, warum die Katholische Kirche in vielen Fragen rigoros die absolute Schutzwürdigkeit werdenden menschlichen Lebens verteidigt:

Da entsteht etwas, das spezifisch menschlich ist (1), das alle Anlagen für die Entfaltung dieses Menschseins in sich trägt (4), sich kontinuierlich weiterentwickelt (2) und das nie zu dem werden würde, was es ist, wenn es das ganz zu Beginn nicht schon wäre (3).

Michael Willam