Die pastorale Relevanz der Sinus-Milieus

Die Gesellschaft in unserem Land ist in den letzten Jahrzehnten immer vielfältiger geworden. Die Gottesdienstbesucher/innen einer Frühmesse unterscheiden sich stark von denen eines Familien- oder Kindergottesdienst. Der Rosenkranz am Freitag Abend spricht ganz andere Menschen zur Mitfeier an als die GodSound-Messe am Sonntag Abend. Es ist heute fast unmöglich eine Liturgie zu gestalten, die ältere Menschen, junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder gleichermaßen berührt und für das "Geheimnis dahinter" öffnet.

Milieus als Orientierung in einer pluralen Gesellschaft

Diese Tatsache hat nur teilweise mit dem Alter zu tun. Viele 40jährige, die vor 25 Jahren in Jugendchören mit DAVID-Liedern Jugendmessen gestaltet haben, ziehen auch heute noch das Neue Geistliche Lied den meisten Liedern im Gotteslob vor. Was uns gefällt, berührt, wichtig ist und wovor uns ekelt, was uns kalt lässt oder was wir einfach übersehen - das alles hängt von Faktoren ab, die sich im Laufe des persönlichen Alterns kaum ändern: meiner Werteorientierung (von traditionell über modern bis zu postmodern) und der sozialen Schicht, der ich angehöre.

Soziologische Forschungen haben gezeigt, dass traditionell-orientierte Menschen der Oberschicht (sog. "Konservative") ein ähnliches ästhetisches Empfinden haben, ähnliche Hobbies pflegen, ein gewisses Segment an Automodellen kaufen, ihre Häuser ähnlich einrichten und ähnliche Kleidung bevorzugen. Sie unterscheiden sich in all diesen Lebensbereichen gravierend von modern-orientierten Menschen der Unterschicht (sog. "Konsumorientierte Basis"). Stellen Sie sich einen älteren gepflegten Herrn mit teurem Anzug und Krawatte auf einem Zeltfest der "Klostertaler" vor...

Das Heidelberger Unternehmen Sinus-Sociovisions untersucht diese gesellschaftlichen Phänomene seit über zwanzig Jahren und hat ein Modell entwickelt, das unsere Gesellschaft in zehn unterschiedliche "Milieus" unterteilt.

Milieus und Kirche

Die deutsche Kirche hat dieses Unternehmen mit einer Studie beauftragt, diese Milieus nach ihrer Nähe und Distanz zur Kirche sowie nach ihren Erwartungen an die Kirche zu untersuchen.

Das Ergebnis bestätigt einerseits, was wir schon im pfarrlichen Alltag wahrnehmen: Die Kirche erreicht mit ihren Angeboten derzeit vor allem Menschen aus drei von zehn Milieus. Die Menschen aus den anderen sieben Milieus sind entweder noch in einem wohlwollend-kritischen Abstand zur Kirche oder schon in einer ausgeprägten Distanz zum kirchlichen Leben.

Interessant ist, dass viele der engagierten Menschen, die das Pfarrleben prägen, aus einem anderen Milieu stammen als der Großteil der Menschen, die die Gottesdienste besuchen. Diese Prägung wirkt sich auf die pastoralen Angeboten, die ästhetische Gestaltung von Drucksachen und die Gestaltung des Kirchenraumes aus. Mit dieser Prägung wird andererseits für viele andere Milieus eine fast unüberwindbare Hürde errichtet, sich am Gemeindeleben zu beteiligen. Es ist in dieser pluralen Gesellschaft nicht mehr möglich, mit einem Angebot "allen alles zu sein". Wer in einer vielschichtigen Gesellschaft viele unterschiedliche Menschen berühren und ansprechen möchte, braucht eine vielseitige Angebotspalette.

In Deutschland und in der Schweiz gibt es schon ermutigende Beispiele, wie Pfarrgemeinden ihre Pastoral unter dem Gesichtspunkt der Sinus-Miliues analysiert und nach bereichernden Diskussionen die eine oder andere Brücke zu neuen Menschengruppen in ihrer Pfarre gebaut haben. Hier kann die oftmals problematische innerkirchliche Buntheit zu einer überraschenden Ressource werden.

Um ein konkretes Umsetzungsbeispiel kennen zu lernen, hatte die Berufsgemeinschaft der Pastoralassistent/inn/en in Vorarlberg am 22. April 2009 Damian Kaeser-Casutt eingeladen, der die "Lebensraumorientierte Seelsorge in St. Gallen" vorstellte. Hier finden Sie die PowerPoint-Präsentation und die Web-Seite der Katholischen Kirche in St. Gallen.

Orientierung für eine Vertiefung im Internet

Wer sich über die Sinus-Milieus und die ersten pastoralen Erfahrungen damit genauer informieren will, aber (milieugeprägt ;-) lieber ein Buch liest als im Internet zu surfen, findet hier ein ausführliches und empfehlenswertes Exemplar.

Eine umfassende Orientierung zum Angebot im Internet bietet das einschlägige Web-Portal www.milieus-kirche.de.

Das Erzbistum Köln hat in Deutschland eine Vorreiterrolle in der Nutzung der Sinus-Studie für die pfarrliche Pastoral und bietet auf ihrem Internet-Portal sehr viel Informationen wie z. B.:

Die Erzdiözese Wien beschreibt hier milieussensible Pastoral.

Wer die genaue Verteilung der Sinus-Milieus für Österreich sucht (die etwas von der Verteilung in Deutschland abweicht), findet auf der Seite der Fimar Integral einen entsprechenden Überblick.

Auch in einigen theologischen Zeitschriften wurde über Nutzen und Grenzen der Sinus-Studie für das Wirken der Kirche debattiert. Empfehlenswert sind:

  • Themenheft Gemeinde 5/2007: Gemeinde und soziale Milieus. Projekte und Modelle.
  • Lebendige Seelsorge, 4/2006: Kirche in (aus) Milieus.

Der BDKJ hat sich an einer speziellen Sinus-Jugendstudie beteiligt.