Mitte August sucht Frau S. die Beratungsstelle auf, da ihre Tochter Magdalena, 8 Jahre, Schwierigkeiten beim Schlafen hat. Am Abend ist es sehr schwer, sie ins Bett zu bringen. Sie weint viel und fleht die Mutter immer an, nicht zu gehen. In der Nacht wacht Magdalena häufig unter starkem Weinen auf. Auf die Frage, seit wann die Mutter dieses Verhalten bei ihrer Tochter beobachten kann, meint sie, dass dies erst seit ca. einer Woche besteht und es in den Wochen davor keine Schwierigkeiten beim Schlafen gegeben hat.

Gemeinsam wurde dann versucht zu analysieren, welche Ereignisse sich vor einer Woche zugetragen haben oder ob in naher Zukunft ein bestimmtes Ereignis ansteht.

Frau S. berichtet, dass sie auf Grund des anstehenden Schulanfangs begonnen hat, Lernmaterial für Magdalena einzukaufen und mit ihrer Tochter auch vermehrt schulische Aufgaben erledigt, um langsam wieder einen Lernrhythmus aufzubauen. Dabei beschreibt sie ähnliche Vorgehensweisen wie bereits im vergangenen Schuljahr. Damals waren die Hausaufgaben immer mit Konflikt und Stress zwischen Mutter und Tochter verbunden.

Im Gespräch mit Frau S. wurde bald klar, dass die Schlafschwierigkeiten von Magdalena mit dem anstehenden Schulanfang zusammenhängen. Bei ihrer Tochter sind wieder jene Ängste zu erkennen, die das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter belastet haben. Während der Ferien blieben diese Probleme aus.

Die Schulzeit ist für Kinder eine sehr prägende Zeit, die sie immer wieder vor große Herausforderungen stellt. Nie sollte neben der Freude und Neugierde, die die Ausbildung in Kindern weckt, der Druck übersehen werden, der auf ihnen lasten kann. Neue Dinge müssen gelernt und verstanden werden, Hausaufgaben gemacht, Tests geschrieben und bestanden werden. Nicht jedes Kind lernt leicht und ohne Mühe. Oft braucht es Anstrengung und Geduld und doch erlebt das Kind immer wieder, dass die investierte Energie nicht ausreicht. Lernen zu Hause findet oft auch gemeinsam mit den Eltern statt, was einerseits eine große Unterstützung für das Kind ist, andererseits aber die Eltern-Kind-Beziehung vor eine zusätzliche Bewährungsprobe stellt. Gestresst durch den Alltag und gefordert durch viele Aufgaben, haben Eltern nicht immer die nötige Geduld in der Arbeit mit den Kindern. Zudem wünschen sich viele Eltern, dass sie die Zeit mit ihrem Kind auf „angenehme“ Art und Weise verbringen können und es nicht durch Tests belasten. Erlebt das Kind diese Ungeduld von Seiten der Eltern und gleichzeitig den Druck, in der Schule entsprechende Leistung zu bringen, sind Verhaltensweisen, wie sie Magdalena zeigt, keine Seltenheit. Eine Entlastung der Eltern-Kind-Beziehung kann das Lernen mit anderen MitschülerInnen bringen. Oder vielleicht hat jemand im Verwandten- oder Bekanntenkreis Zeit, sich den Aufgaben des Kindes zu widmen.

Das Leben bedeutet ständiges Lernen und Auseinandersetzung. Neben der Vermittlung von Fachwissen ist es eine zentrale Aufgabe der Schule, Kindern die natürliche Neugierde auf das Neue und Unbekannte so lange als möglich zu erhalten. Die Aufgabe der Eltern sollte es in diesem Zusammenhang sein, die Kinder in ihrem Lernen zu unterstützen und zu motivieren und Lernen durch Neugierde zu fördern. Die Gefahr, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern im Laufe des Schuljahres nur über die Hausaufgaben und das Üben zu definieren, ist groß und sollte mit aller Kraft verhindert werden.

„Lernen für die Schule“ und „Lernen für’s Leben“ ist nur im Idealfall dasselbe, oft wird dies vom Kind nicht so erlebt. Wenn Eltern dann schulisches Lernen auf mehrere Schultern verteilen, seien es Freunde oder andere Erwachsene, bleibt für sie mehr Zeit für stressfreien Wissenserwerb, was die gemeinsame Freude am „Lernen für’s Leben“ oft erst richtig weckt.

 

                                                                                    Mag. Dr. Veronika Burtscher-Kiene

                                                                                    Ehe- und Familienzentrum, Feldkirch