Andreas, 41, kommt zu mir in die Männerberatung. Er ist vergangene Woche aus dem Gefängnis entlassen worden. Frühzeitig, wie er sagt, wegen guter Führung, weil er mit dem Gewaltberater in der Justizanstalt gut kooperiert hat. Jetzt hat er einen Bewährungshelfer. Er will ein neues Leben beginnen, ein besserer Mensch werden. Dazu wünscht er sich Begleitung und Unterstützung von mir...

Männer in der Gewaltspirale

Andreas, 41,  kommt zu mir in die Männerberatung. Er ist vergangene Woche aus dem Gefängnis entlassen worden. Frühzeitig, wie er sagt, wegen guter Führung, weil er mit dem Gewaltberater in der Justizanstalt gut kooperiert hat. Jetzt hat er einen Bewährungshelfer. Er will ein neues Leben beginnen, ein besserer Mensch werden. Dazu wünscht er sich Begleitung und Unterstützung  von mir. Soweit die Ausgangslage für unser erster Gespräch, auf das noch einige weitere folgen werden.

Die Geschichte von Andreas ist – soweit man das behaupten darf – typisch für Männer, die zu Gewalt neigen. Aufgewachsen als Einzelkind in einer Arbeiterfamilie in Kärnten, der Vater wenig präsent -  aber wenn, dann gab´s oft Schläge. Natürlich sei er ein „Schlingel“ gewesen und habe seinen Vater provoziert, also er habe es ja verdient. Trotzdem habe es wehgetan. Die Mutter war eine stille Dulderin.

Gewalt aus Ohnmacht

Warum er im Gefängnis einsaß? Er habe seine Freundin krankenhausreif geschlagen.  Was war passiert?  Ein Streit, die Emotionen sind hochgegangen, er fühlte sich von ihr provoziert. Dann schlug er zu. Heute weiß er, dass es nicht aus Wut oder einem Gefühl der Überlegenheit heraus geschah, sondern aus OHNMACHT. Er habe in diesem Augenblick seinen Vater vor sich gesehen, der offenbar auf die Provokation seines Sohnes nicht anders zu reagieren wusste als zu schlagen. Und die Mutter, die es duldsam tolerierte. Nicht so seine Freundin. Sie zeigte ihn an und beendete die Beziehung. Im Nachhinein und mit Unterstützung des Gewaltberaters betrachtet, sei dies ein schmerzhafter aber wichtiger Lernschritt für ihn gewesen: seine Freundin habe ihm eine Grenze gesetzt.

Folgen der Kindheit

Viele  Männer, die in die Gewaltspirale geraten, haben Gewalt in Form von Schlägen oder psychischer  Einwirkung in ihrer Kindheit erlebt und waren dem hilflos ausgeliefert. Als erwachsene  Täter erleben sie sich selbst nicht in Ausübung von Macht, sondern Abwehr eben dieser Ohnmacht. Sie schlagen, weil sie in der Situation keinen Ausweg sehen, weil sie sich als Versager fühlen.

Es gibt natürlich noch andere Formen von Gewalt- und Machtausübung: psychische, wie zum Beispiel Telefonterror oder Stalking. Physische bei Vergewaltigung, wenn das männliche Glied als Machtsymbol zur Erniedrigung der Frau eingesetzt wird. Auch krankhafte Eifersucht mit damit verbundener Angst vor Kontrollverlust führt nicht selten zu Übergriffen.

In der Gewalt zeigt sich die Problematik eines beschädigten Selbstbewusstseins, eines negativen Selbstbildes. Gewalt ist ein Angstproblem. Gewalt ist nicht vererbt, sondern erlernt.

Genau dort liegt nun die Chance in der Therapie, in der Beratung:  alternative Handlungen zu erlernen. Das Ziel ist, gerade in kritischen Momenten gewaltfrei zu agieren bzw. zu reagieren.

Eigenverantwortung lernen

Andreas hat keine leichte Aufgabe vor sich. Zunächst geht es darum, dass er in Kontakt mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen kommt und dass er lernt, Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen. Ansatzweise hat er schon kapiert, dass nicht „sie ihn provoziert und ihm dann die Hand ausrutscht“ sondern dass er es ist der sich nicht in der Hand hat und eine Grenze überschreitet. Dazu bedarf es Selbstkontrolle – im Gegensatz zum bisherigen Anspruch, andere zu kontrollieren..

Andreas wird lernen müssen, mit Frustrationen umzugehen, Empathie aufzubauen, seine Aggressionen zu akzeptieren aber verbal auszutragen, mit Nähe und Distanz zu spielen, Grenzen zu akzeptieren. Er wird sein Rollenbild als Mann sich genauer anschauen müssen und auch sein aktuelles Frauenbild überdenken. Vor allem wird es wichtig sein, dass er aus sich herausgeht , seine Gefühle und Bedürfnisse lernt zu kommunizieren.

Andreas hat seit kurzer Zeit eine neue Freundin. Da hat er ein gutes Lernfeld in der neuen Beziehung und die Chance, sein Leben gewaltfrei neu einzurichten. Ich wünsche ihm dazu alles Gute.

Albert A. Feldkircher

April 2016