Kategorien: Kirche und Nationalsozialismus, Vatikan, Märtyrer, Vorarlberg, Österreich


Inhalte

Debatte um das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialimus
Begriffsklärungen
Wichtige Personen
Historische Eckdaten
Besonderheiten der Situation in Vorarlberg

 

Debatte um das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus

Das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus ist äußerst komplex und vielschichtig. Erzählungen aus dem katholischen Widerstand wurden lange Zeit mit allgemeiner Kirchengeschichte verwechselt und verhüllten den Blick auf die aktive Zusammenarbeit von Katholischer Kirche und NS-Machthabern. Seither dominieren Fragen nach Mitschuld, Mitwissen, struktureller Kontinuität und öffentlichem Widerstand. Ein paar Blitzlichter aus diesen Debatten um das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus:

  • Der Feldkircher Historiker Gerhard Wanner untersuchte in den 1970er Jahren im Auftrag von Bischof Bruno Wechner das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus in Vorarlberg. „Verfolgung trotz Anpassung", lautete sein Fazit.
  • In den 00er-Jahren verschärfte sich die Diskussion die römische Amtskirche betreffend. Daniel Jonah Goldhagen spricht 2002 von einer „moralischen Schuld der Kirche", da diese tief in die Verbrechen des Holocaust verstrickt gewesen war.
  • Der Theologe und Autor Stefan Moritz stellte im selben Jahr in einer Untersuchung über die Situation in Österreich eine „Übereinstimmung von Katholizismus und Nationalsozialismus in wesentlichen ideologischen Fragen" fest.
  • Maximilian Liebmann, ehem. Professor für Kirchengeschichte in Graz stellte 2009 die These von der „pastoral bedingten Anpassung" an den Nationalsozialismus auf, und sah das Handeln der Kirche vor dem Hintergrund der Kontinuität einer verordneten „Entpolitisierung" des Katholizismus seit dem Ständestaat.


Die Reaktionen seitens der Kirche blieben oft unscharf, meist verhalten und abwehrend. Vereinzelt wurden offizielle Schuldbekenntnisse formuliert (z.B. Würzburger Synode, Kardinal Franz König 1987).

  • „Wir sind das Land, dessen jüngste Geschichte von dem Versuch verfinstert ist das jüdische Volk systematisch auszurotten. Und wir waren in dieser Zeit, trotz beispielhaften Verhaltens einzelner Personen und Gruppen, aufs Ganze gesehen doch eine kirchliche Gemeinschaft, die zu sehr mit dem Rücken zum Schicksal des jüdischen Volkes weiterlebte, die zu stark auf die eigene Bedrohung schaute und die zu den an Juden und Judentum verübten Verbrechen geschwiegen hat. Viele sind dabei aus nackter Lebensangst schuldig geworden. Dass Christen sogar bei dieser Verfolgung mitgewirkt haben, bedrückt uns besonders schwer. Wir müssen bereit sein aus dieser Schuldgeschichte unseres Landes und auch unserer Kirche zu lernen.“
  • Kardinal Franz König bekannte in einer Predigt vom 26. September – wie in Österreich üblich etwas später als in Deutschland erst - 1987: „Als katholische Christen müssen wir auch eingestehen, dass kirchliche Kreise Schuld auf
    sich geladen haben, als sie einem manchmal religiös verbrämten Antisemitismus Raum gegeben haben. Denn jene Geisteshaltung war eine der Voraussetzungen dafür, dass die vom NS-System in Gang gesetzte Massenvernichtung der Juden auf einen zu geringen Widerstand stieß. Mit schmerzlichem Bedauern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass viele Katholiken mit Ausnahme einer Minderheit, das Wort des großen Pius XI. ‚geistlicher Weise sind wir alle Semiten’ nicht verstanden und zu eigen gemacht haben.“

Als allgemeiner Konsens kann gelten, dass sich die katholische Kirche in Österreich wie in Vorarlberg dem nationalsozialistischen System angepasst hat und Widerstand aus kirchlichen Reihen nur auf individueller Ebene erfolgt ist.


Begriffsklärungen

  • Apostolische Administratur: Kirchliche Verwaltungseinheit, die von einem Apostolischen Administrator und nicht von einem Bischof geleitet wird. Innsbruck-Feldkirch war zur Zeit des Nationalsozialismus Apostolische Administratur und keine eigene Diözese.


Wichtige Personen

  • Gauleiter Franz Hofer (1902-1975), von 24. Mai 1938 bis Kriegsende Gauleiter von Tirol und Vorarlberg
  • Theodor Kardinal Innitzer, 1875-1955, von 1932 bis zu seinem Tod Erzbischof von Wien und Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz
  • Paulus Rusch, Apostolischer Administrator für Innsbruck-Feldkirch ab 1938
  • Weihbischof Franz Tschann (1872-1956), Generalvikar des Vorarlberger Anteils der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch von 1936 bis 1955.
  • Ernst Volkmann 


Historische Eckdaten 

  • 12. März 1938: Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, erste Verhaftungswellen in Vorarlberg
  • 18. März 1938: "Feierliche Erklärung" der Bischöfe Österreichs (Hintergrundartikel)
  • 10. April 1938: Abstimmung über den Anschluss mit 99,73% pro Anschluss
  • 7. Oktober 1938: Rosenkranzandacht im Wiener Stephansdom
  • 8. Oktober 1938: Sturm auf das erzbischöfliche Palais
  • 9./10. November 1938: Reichspogromnacht - Kirche schweigt
  • 1. September 1939: Kriegsbeginn
  • Dezember 1939: Landeshauptmannschaft Bregenz wird aufgelöst, Vorarlberg gehört bis zum Mai 1945 zum Gau Tirol-Vorarlberg.
  • 8. Mai 1945: Kapitulation des Deutschen Reichs


Besonderheiten der Situation in Vorarlberg

Das NS-System ging insbesondere in jenen Gegenden verstärkt gegen die Kirche vor, in denen die Volkskirche stark verwurzelt war. Franz Hofer erklärte die Kirche zu seinem besonderen Feind und wollte dem Führer einen klösterfreien Gau Tirol-Vorarlberg schenken. Deshalb war die Kirche hier trotz Anpassung besonders schweren Repressionen ausgesetzt.