Was geht in einem Menschen vor, der kurz vor seiner Hinrichtung steht? Der aus seiner Zelle geführt wird und weiß, dass dies seine letzten Schritte sein werden. Verzweifelt er? Bettelt er um sein Leben? Oder stärkt ihn sein Glauben so sehr, dass er froh ist, von seinem Leid erlöst zu werden? Carl Lampert gibt auf diese Fragen eine eindeutige Antwort: „Nun ruft mich Gott! Lebt wohl!“

Simone Rinner

Es fällt schwer sich vorzustellen, wie man damals selber gehandelt hätte. In Zeiten der NS-Herrschaft, in der man schnell aus der Volksgemeinschaft ausgegrenzt und anschließend „vernichtet“ wurde. Ob man sein „Anders-denken“ geheim gehalten und sich um seines Lebens Willen angepasst hätte. Oder ob man dem Staat die Stirn geboten hätte, um zu zeigen, dass man mit der Art und Weise, wie mit den Menschen umgegangen wird, nicht einverstanden ist. Wie Carl Lampert.

Kein Zurück mehr
Die Leidensgeschichte des Provikars beginnt im Jahr 1940, als er die Todesanzeige von Pfarrer Otto Neururer in einer Kirchenzeitung veröffentlicht. Als Sterbeort gibt er an: „Fern seiner Seelsorgegemeinde, in Weimar Buchenwalde“. Dies kennzeichnet den „point of no return“, erklärt der Museumspädagoge der Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle/Saale, Michel Viebig, im KirchenBlatt-Gespräch. Die Nennung des  KZs als Todesort war damals streng untersagt, ein Zurück für Carl Lampert nicht mehr möglich. Bereits einen Monat später wird der Provikar verhaftet - wegen Verstoßes gegen die NS-Geheimhaltungsvorschriften.

Fern der Heimat
Ein Jahr muss Carl Lampert in Dachau und im KZ Sachsenhausen schwere körperliche Arbeit verrichten, bevor er im August 1941 wieder frei gelassen wird. Er erhält „Gauverbot“ und darf seine Heimat nicht mehr betreten. Lampert wird ins Carolusstift in Stettin geschickt, wo er seelsorgerische Tätigkeiten übernimmt. Was er nicht weiß, ist, dass die Gestapo einen Spitzel auf ihn angesetzt hat, der ihn der Spionage überführt, wenn auch einer frei erfundenen.

Pfaffengesichter und Verbrecherbande
Im Dezember 1943 werden Carl Lampert und fünf andere Inhaftierte ins Zuchthaus Halle an der Saale gebracht. Unter der Leitung des Reichkriegsgerichtsrates Werner Lueben beginnt dort der Prozess mit den Worten „Wenn man die Pfaffengesichter und Verbrecherbande sieht“. Gegen Carl Lampert und zwei weitere Priester wird zum ersten Mal das Todesurteil ausgesprochen. Aufgrund gerichtsinterner Streitigkeiten werden die Drei im Jänner 1944 dem Reichskriegsgericht Torgau übergeben.

Täter und Opfer auf einem Friedhof
In der Nacht vor der Unterzeichung des zweiten Todesurteils gegen Lampert begeht der Senatspräsident Lueben Selbstmord. „Je mehr er sich in den Fall Lamperts einarbeiten muss, desto genauer erkennt er, auf welche Art und Weise das Belastungsmaterial zu Stande gekommen ist“, so Viebig, „nämlich durch falsche Zeugenaussagen und durch Folter“. Lueben sieht für sich nur einen Ausweg: er erschießt sich. Bemerkenswert ist, dass Lueben in einem Familiengrab auf dem selben Friedhof in Halle zur Ruhe gebettet wurde, auf dem sich auch der Gedenkstein für die Priester befindet, für deren Tod er verantwortlich ist.

„Aufstehen! Fertig machen!“
Mit diesen Worten beginnen die letzten Tage des Provikars. Zwischen dem 10. und 12. November 1944 wird Carl Lampert von Torgau nach Halle an der Saale in den „Roten Ochsen“ gebracht. Am Vormittag des 13. Novembers 1944 erhält Lampert Besuch vom geistlichen Direktor des Elisabethkrankenhauses, der bei Todeskandidaten immer zur Seelsorge angefordert wird. Lampert selbst erfährt erst zu Mittag durch einen Vollstreckungsleiter, dass er noch am selben Tag sterben wird. Gefesselt darf er noch etwas essen und Briefe schreiben, bevor ihm der Wehrmachtsoberpfarrer Artur Drossert in seinen letzten Stunden beisteht. Gegen 16 Uhr wird Lampert abgeholt und schreibt quer über den Brief an seinen Bruder Julius „Nun ruft mich Gott! Lebt wohl!“.

549 Hingerichtete machen betroffen
Dieser Hinrichtungsraum, in dem Lampert und 548 andere Menschen aus 15 Ländern ihr Leben verloren, ist Teil der Ausstellung in Halle, in der die politische Justiz im „Roten Ochsen“ von 1933 bis 1945 beleuchtet wird. Die Gedenkstätte gibt es zwar erst sei 1995, ihr kommt aber eine wichtige Funktion zu, erläutert Viebig: Zum einen ist es wichtig „Geschichte vor Ort“ zu erklären, zu zeigen was geschehen ist, damit sich dies nicht wiederholt. Zum anderen, so Viebig „muss man an die Leute erinnern, die damals da gewesen sind. Die ihr Leben aufs Spiel gesetzt und in vielen Fällen eben auch verloren haben.“

Verhaftung - Verurteilung - Hinrichtung
Ein Beispiel hierfür ist Carl Lampert, der auf den Schautafeln exemplarisch als „das Opfer“ gezeigt wird. Ohne Führung können sich die Besucher in die Geschichte einarbeiten. „Bei Lampert kein einfacher Fall, wo man sagen kann: Tat, Verhaftung, Verurteilung, Hinrichtung“, so Viebig, „sondern ein riesiger Komplex“.

Eine starke Lebenslinie
Und dennoch sei die Unheilsjustiz an Lampert gescheitert. Viel zu stark war der Wille des Provikars, an dem auch eine Justiz, die darauf ausgelegt gewesen ist, die Menschen zu brechen, nichts ändern konnte. Selbst in den Gnadengesuchen, die Lampert schrieb, nahm er nichts zurück. Viebig beschäftigt sich nun seit über 15 Jahren mit den Lebensgeschichten von Menschen, die im „Roten Ochsen“ hingerichtet wurden. Er hat viele Dokumente von und über den Provikar gelesen, insbesondere ab dem Jahr 1938. „Bei Lampert kann man einen langen Zeitraum verfolgen und nirgendwo - habe ich den Eindruck - überlegt er wirklich grundsätzlich, ob er sich nicht doch anpassen soll“, zeigt sich der Museumspädagoge beeindruckt.

Bis zum Schluss
„Er hat irgendwann diese Konfrontation aufgenommen, die ihm der Staat aufgenötigt hat, aber er hat das durchgezogen bis zum Schluss und das ist es, was ihn auch heraushebt und eben nicht nur kirchlicher Widerstand ist. Sondern das steht so über den Dingen“, fasst Viebig zusammen.

 

Hintergrund

Im Jahr 1993 schlug der damalige Justizminister des Landes Sachsen-Anhalt, Walter Remmers, die Errichtung einer Gedenkstätte im „Roten Ochsen“ vor. Damit sollte der Opfer der Diktaturen vor und nach 1945 gedacht werden. 549 Menschen verloren dort ihr Leben, wo heute nur mehr ein leerer Raum ist. Ein Ort, der für sich spricht und betroffen macht. Der Hinrichtungsraum.

Doppelte Vergangenheit
Der Raum ist Teil einer von zwei Dauerausstellungen, die seit 1995 in Halle zu sehen sind. Schließlich handelt es sich hier um eine Gedenkstätte mit doppelter Vergangenheit: Zum einen ist da die Justiz der Nazizeit, zum anderen die ab 1944. Carl Lampert ist mit einem eigenen Terminal zu seinem Leben Teil der ersten Ausstellung. Wichtiger Bestandteil sind die Gerichte, da die Nationalsozialisten ab 1933, parallel zum alten Justizsystem, ein eigenes aufbauen.

Gradlinig
Während der NS- Herrschaft bildeten drei Häftlingskategorien den Großteil der im „Roten Ochsen“ Inhaftierten: Politische, rassisch und religiös Verfolgte, sowie Kriminelle und Kriminalisierte. Bei lediglich 19 der 549 erwähnten Hinrichtungen handelte es sich zum Beispiel um Kapitalverbrechen wie Mord. Lampert zählt zu jenen religiös Verfolgten, bei denen nicht nur viele Dokumente, sondern auch Fotos erhalten sind. Der Provikar ist der einzige, dessen Gerichtsverfahren in Halle im Zuchthaus durchgeführt wurde. Ein Grund, warum sein Urteilsblatt durch die Ausstellung führt. „Der andere ist seine Gradlinigkeit“, lächelt Viebig.


Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle (Saale), Deutschland
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 10 bis 16 Uhr.
Samstag und jeden dritten Sonntag im Monat von 13 bis 17 Uhr.
Montags geschlossen
www.stgs.sachsen-anhalt.de