Die 13. Caritasgespräche 2015 widmeten sich dem Thema "Schuld" in seiner ganzen Komplexität. Die offenen und auch sehr persönlichen Gespräche zeigten, dass wir diesen Diskurs einer Zeit, die vielfach erbarmungslos ist, geradezu schulden.

Der große Saal des Bildungshauses St. Arbogast war am 9. und 10 Dezember bis auf den allerletzten Platz gefüllt. Um "Schuld" sollte es gehen diese eineinhalb Tage, um all jene Fragen, die diese menschliche Verfasstheit aufwirft. "Die Art der Annäherung", so erläuterte Caritasdirektor Walter Schmolly in seiner Begrüßungsansprache, "sie ist fragend, suchend, dialogisch, ausleuchtend, Tiefe suchend." Und diese Form, ein Thema zu bearbeiten, machen die Caritasgespräche wohl aus. In unterschiedlichster Art kommen hier Menschen miteinander ins Gespräch: am Podium, in Kleingruppen, in den Pausen. Wieder und wieder. Dabei enstehen neue Verknüpfungen von Gedanken, Erfahrungen bringen die Theorie ins Leben und Leben in die Theorie, Neues wird gemeinsam geschaffen - gleichsam von allen Beteiligten.

In diesem Prozess kam den Referenten natürlich eine besondere Bedeutung zu. Die vier Professoren, die eingeladen waren, brachten nicht nur ihre unterschiedliche Persönlichkeit und Biographie ein, sondern auch ihren fachspezifischen Zugang zum Thema. Darin zeigte sich, wie sehr das Thema "Schuld" unseren Alltag prägt, sowohl auf individueller als auch gesellschaftpolitischer Ebene.

Die Sicht des Neurologen und Kriminologen

Reinhard Haller, Psychotherapeut und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, beschrieb Schuld als "menschliches Grundgefühl", das wir brauchen. Denn eine schuldfreie Gesellschaft wäre eine gewissenlose Gesellschaft. In seiner Arbeit begegnen ihm Krankheitsbilder, die mit einem Ungleichgewicht in diesem Bereich zusammenhängen: durch fehlendes oder überhöhtes Schuldgefühl. Bei der Therapie geht es darum, Schuldgefühle bewusst zu machen und aufzuarbeiten. Haller führte an, dass Schuld auch ein Geschäft ist. Ob Medien, Rechtssprechung oder Therapie - an vielen Orten wird Geld mit Schuld gemacht. Der Kriminologe sieht in der Empathielosigkeit eine der größten Ursachen für Verbrechen und zitierte dazu den Physiker Steven Hawkins: "Das Überleben der Menschheit wird davon abhängig sein ob sie die Empathie retten kann."

Gedanken des Sozialpsychologen

Klaus Ottomeyer, Sozialpsychologe, Ethnopsychoanalytiker und Psychotherapeut, beleuchtete unter anderem die Auswirkungen des Neoliberalismus. Neoliberale Strömungen führten zu einer moralischen Erosion. Werte sind abhanden gekommen und damit jener Wert, der für die menschliche Würde unabdingbar ist: Anerkennung. Ob im Arbeitsbereich, beim Konsum oder in Beziehungen, Menschen wird vielfach keine Anerkennung mehr geschenkt, vielmehr geht es um Leistung, Kaufkraft, Perfektionismus etc. Diese fehlende Anderkennung - verbunden mit der Emanzipation der Frauen und sexueller Freizügigkeit - sie führt eine tiefe Verunsicherung bzw. Kränkung der Männer mit sich. Der Ruf nach dem Patriarchat wird laut, nach der alten Ordnung zwischen Mann und Frau. "Wir brauchen eine neue Männlichkeit, eine neue Wehrhaftigkeit" - dieser Satz findet sich sowohl in Europa als auch in arabischen Ländern.

Beitrag des Ökonomen

Alexander van der Bellen, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, sah sich als Ökonom eher als Außenseiter in dieser Runde. Denn zum "Tagesgeschäft eines Ökonomen gehört es nicht dazu, über Schuld nachzudenken". In seiner Funktion als Politiker ging er dann der Frage nach, warum die EU in vielen Bereichen handlungsunfähig ist. Er sah die Ursache in der schleichenden Machtübernahme durch den Europäischen Rat. Eine Reformbewegung müsste vom Europäischen Parlament ausgehen, eine Aussicht, die wenig wahrscheinlich ist.

Was die Theologie zu sagen hat

Fulbert Steffensky hatte als Theologe und Religionspädagoge viel zum Thema beizutragen, spielen doch Schuld und Vergebung von Anfang an wichtige Rollen in der christlichen Religion. Die missbräuchliche Verwendung der Schuld als Machtmittel wurde von Moderator Franz Josef Köb schon in der Eröffnungsrunde kritisch angemerkt. Steffensky meinte dazu, dass diese Theologie heute praktisch überholt ist, dass aber die "katholische Kirche nie etwas widerruft, sondern eher umschleicht und verändert".

Für Steffensky hat "Schuld" mit menschlicher Würde zu tun. "Die Begriffe Schuld, Umkehr, Vergebung und Gnade sind wundervolle Begriffe. Sie betonen die Souveränität des Menschen. Er ist Autor seines Lebens und nicht nur Opfer der Lebensumstände." Für den Umgang mit Schuld kennt die Kirche große Instrumente doch ihr Missbrauch hat es schwer gemacht, damit umzugehen. Die Beichte zum Beispiel wurde vom "Freiheitsinstrument" zum "Unterdrückungsinstrument". Dennoch beherbergt die Kirche hier einen großen Schatz. Sie ist eine Instituion, die dem Thema "Vergebung" bleibend Raum verschafft. Solche Orte sind selten in unserer Zeit. Dabei wären sie vonnöten, denn es gab kaum eine Zeit mit solch großer Zahl von Schuldgefühlen, sie ist geprägt ist vom "Zwang perfekt zu sein, zu siegen, schön zu sein, ganz zu sein".

Vergebung ist für den deutschen Theologen etwas, das uns - wie so viel anderes Wesentliches - von anderen zugesagt werden muss. Hier wird deutlich, dass der Mensch angewiesen ist auf andere, dass er nicht autark lebt, nicht autark leben muss. "Wir müssen uns nicht selbst bezeugen, nicht durch Ganzheit, nicht durch Unschuld. Weil "der Geist Zeugnis gibt" braucht es keine Selbstrechtfertigung und auch keine Selbstverdammung." Das ist Gnade.