1,2 Millionen Menschen in Österreich sind armutsgefährdet oder leben sogar unter der Armutsgrenze. Not, die man bei uns oftmals gar nicht so wahrnimmt, weil sie sich (auch) hinter Wohnungstüren versteckt. Langsam aber sicher ist von dem Problem auch die Mittelschicht betroffen - und besonders bei Themen wie Wohnen und Leben schrillen bei der Caritas seit längerem die Alarmglocken.

Nein, an das Bild bettelnder Menschen haben wir uns (hoffentlich) noch nicht gewöhnt, aber irgendwie schauen wir doch nicht mehr so oft hin. Schon gar nicht genauer. Und von der Lebensgeschichte und dem Schicksal, die hinter dem Bettelnden und oftmals Obdachlosen Menschen stecken möchten viele auch eher wenig wissen. Dennoch ist und wird Armut in unserer Gesellschaft immer mehr zum Thema.

Arm oder armutsgefährdet
1,2 Millionen Menschen in Österreich, also 14,4 Prozent der Bevölkerung, leben unter der Armutsgrenze oder sind armutsgefährdet, berief sich Caritaspräsident Michael Landau auf aktuelle offizielle Statistiken. Die offensichtliche Armut bettelnder Menschen in Großstädten sei dabei nur die "Spitze des Eisbergs", Not spiele sich vorwiegend "hinter der Wohnungstür" ab, erklärte der Caritaspräsident. Vor allem alleinerziehende Mütter wüssten oft nicht, wie sie ihren Kindern neue Kleidung oder Schulsachen kaufen bzw. die Wohnung warm halten sollen.

Problem bis Mittelschicht durchgedrungen
Die Erfahrung der Caritas zeigt, dass abgesichertes Wohnen oberste Priorität bei der Armutsvermeidung und -bekämpfung hat. "Überteuerte Mieten, undurchschaubare Zuschlagsysteme und hohe Eigenmittelanteile bekommen nicht nur Menschen am Rand der Gesellschaft zu spüren", warnte Landau. "Das Problem hat längst die Mittelschicht erreicht." Die durchaus "klaren Ansagen" im Regierungsabkommen zum Thema leistbares Wohnen seien bisher nicht umgesetzt, "vom angekündigten Maßnahmen-Mix spüren und sehen wir noch nichts", kritisierte Landau.

Die Sache mit dem Mitrecht
Ein besonders wichtiges Thema ist die Mieterechtsreform. 229.000 Menschen in Österreich geben an, ihre Wohnungen nicht angemessen warm halten zu können. Und: Mehr als zwei von zehn Bürgern müssten hierzulande mehr als ein Viertel ihres Einkommens für Wohnen ausgeben.  Eine Mietrechtsreform "duldet keinen Aufschub", so Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter.

Geht es nach der Caritas, sollten die Wohnbauförderungsmittel wieder für den Wohnbau zweckgewidmet werden müssen. Handlungsbedarf sieht die Caritas auch im unübersichtlich gewordenen „Dschungel“ von Zu-und Abschlägen, die Mietern verrechnet werden. Dieses „Dickicht“ müsse im Sinne der Mieter gelichtet werden, forderte Wachter. Das bestehende Richtwertsystem funktioniere nicht. Die Politik sollte rechtlich zulässige Zu- und Abschläge in einem reformierten Mieterschutzgesetz vollständig auflisten und damit nachvollziehbar für Wohnungssuchende, aber auch für die Gerichte machen.

Baustelle Arbeitslosigkeit
Doch nicht nur beim Thema Wohnen besteht noch Handlungsbedarf. "Die Kluft zwischen Arm und Reich darf sich in Österreich nicht weiter vergrößern", appellierte Landau. Und er forderte dazu auf, eine Not nicht gegen die andere auszuspielen. Maßnahmen gegen den "Armutsantreiber Nummer eins, die Arbeitslosigkeit" forderte der Grazer Caritasdirektor Franz Küberl. Auch wenn Österreich im EU-Vergleich mit einer Quote von 4,7 Prozent (Ende August; gegenüber 10,1 Prozent der EU-28) gut dastehe. Angesichts eines Arbeitslosigkeitsanstiegs in Österreich von fast zwölf Prozent gegen über dem Vorjahr müsse die Politik vehement gegensteuern, so der Appell Küberls an den Sozialminister: Diesen Zuwachs einfach hinzunehmen sei "unverständlich". Die Caritas wisse, dass mehr Arbeitslose unweigerlich auch mehr manifest Arme im Jahr darauf bedeuten. "Manifest arm" sind in Österreich insgesamt fünf Prozent, unter Langzeitarbeitslosen jedoch 31 Prozent, so Küberl.

Armut zieht Kreise
Im Alltag bedeutet das, kein Geld für das Nötigste zu haben, also kein Geld für Heiz- und Mietkosten, Windeln, Babynahrung oder kleine Reparaturen. Wem Geld für Wohnen und Essen fehlt, kann auch am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen, verliert Freunde und in der Isolation den Halt im Leben. Betroffene Eltern "vererben" die Arbeitslosigkeit auch häufig an ihre Kinder, wies Küberl hin und forderte eine entsprechende Förderung "jedes einzelnen Kindes". (red/kathpress)