Weihnachtsansprache von Bischof Benno Elbs

So! Nun ist es geschafft. Die vergangenen Wochen waren für uns alle doch irgendwie anstrengend. Viele Gedanken haben wir uns darüber gemacht, wie wir lieben Menschen eine Freude bereiten können. Durch Geschenke, die persönlich sind und die das Herz unserer Lieben berühren. Viele von uns hatten große berufliche Anstrengungen. Manche haben vielleicht auch Sorge.
Nun ist aber erst einmal Heiliger Abend und ich möchte Sie einladen, ein paar Minuten mit mir zu verweilen. Ich möchte Sie einladen, darüber nachzudenken, was denn Weihnachten bedeutet.

Was heißt es, weihnachtlich zu leben? Es heißt zum Beispiel, die Stille suchen. Wenn man das Geheimnis eines Festes begreifen will, oder wenn man die Persönlichkeit eines Menschen, eines geliebten Menschen erahnen will, dann braucht man den Schlüssel der Stille. Das kann ein stiller Raum sein, in dem ich das Geschehen von Bethlehem in mein Herz aufnehme. Das kann ein ruhiger Weihnachtsspaziergang sein mit dem Partner, der Partnerin oder alleine, mit der Familie oder mit Freunden. Das kann der Besuch eines liebgewordenen Ortes sein, an dem ich mich wohl fühle. Es gibt eine Vielzahl stiller Räume.
Von solch leisen Dingen handelt dieses Gedicht von Andrea Schwarz: 


Meistens wird Gott ganz leise Mensch

die Engel singen nicht,
die Könige gehen vorbei,
die Hirten bleiben bei ihren Herden.
Meistens wird Gott ganz leise Mensch.
Von der Öffentlichkeit unbemerkt,
von den Menschen nicht zur Kenntnis genommen.
In einer kleinen Zweizimmerwohnung,
in einem Asylantenwohnheim,
in einem Krankenzimmer,
in nächtlicher Verzweiflung,
in der Stunde der Einsamkeit,
in der Freude am Geliebten.
Meistens wird Gott ganz leise Mensch,
wenn Menschen zu Menschen werden.

Weihnachtlich leben kann auch heißen, aus meinem Herzen eine Wohnung zu machen. Papst Franziskus schreibt: „Maria, die Mutter Jesu, versteht es, mit ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe einen Tierstall in das Haus Jesu zu verwandeln.“ 
Das heißt, Bethlehem ist nicht irgendwo in Palästina, ist nicht ein Ereignis vor 2000 Jahren, sondern Weihnachten ereignet sich in unserem Herzen. Oder es ereignet sich nicht. Und es sind zwei Dinge, die unser Herz zu einem freundlichen Haus Jesu machen können, zu einem Ort, wo Gott geboren wird:

Das eine sind ein paar ärmliche Windeln. Damit ist all das gemeint, was unser Leben ausmacht: vielleicht die Sorgen, die uns prägen; die Angst, die uns quält; unversöhnte Beziehungen, die uns belasten. Kurz gesagt, es ist unser Alltag, den wir an Weihnachten zur Krippe bringen dürfen.

Und das zweite, „eine Fülle zärtlicher Liebe“. Danach sehnt sich jedes Herz, und das ist das Tiefste, was Weihnachten ausmacht, nämlich, dass Gott zur Welt und zu jedem Menschen sagt: Ich liebe dich, du Welt, ich liebe dich, du Mensch.
Der Papst meint, wenn wir auf Maria schauen, dann ist es vor allem diese Dynamik der Zärtlichkeit, die Maria zum Vorbild der Welt und unseres persönlichen Lebens werden lässt. Wir müssen wieder an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe glauben. Weihnachtlich leben heißt also – bildlich gesprochen – aus ärmlichen Windeln, aus unserem Alltag und mit einer Fülle zärtlicher Liebe ein Haus für Jesus, für Gott in unserem Herzen zu bauen, damit Weihnachten in uns geschieht. 

Und noch eines, weihnachtlich leben heißt, in das Antlitz von Menschen zu schauen. Dieses berührende Bild hat der jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas  geprägt. Er hat sich die Frage gestellt, warum der Holocaust möglich war. Warum war es möglich, dass so viele Menschen von anderen Menschen grausam hingerichtet wurden? Eine aktuelle Frage auch heute.
Lévinas` Antwort: „Weil die Menschen vergessen haben, verlernt haben, in das Antlitz eines anderen zu schauen.“ Weihnachten heißt, in das Antlitz von Menschen zu schauen. Nicht nur auf die äußerlichen Gesichtszüge, sondern in die Tiefe der Person.

Das ist das große Geschenk von Weihnachten: Gott, Jesus wird als Kind Mensch. Er bückt sich, er blickt in die Herzen der Menschen, er schaut in ihr Antlitz. Genau darin besteht ja das Geschenk der Liebe: den anderen groß machen, indem man ihm in das Antlitz schaut – der Asylantin, dem kranken Menschen, dem Einsamen, dem Verzweifelten, dem Geliebten, den Kindern, einer Jugendlichen. Es gibt unendlich viele Menschen, die sich freuen, wenn wir ihnen bewusst ins Antlitz schauen. 

Liebe Vorarlberginnen und Vorarlberger, das möchte ich uns von Herzen wünschen, dass wir in diesem Sinne weihnachtliche Menschen werden:

- dass wir Menschen werden, die den Schlüssel der Stille in den Händen halten, eine Stille, die uns in das Geheimnis dieses Festes führt;
- dass wir in unserem Herzen „aus ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe“ eine Krippe bauen, einen Ort, wo Gott Mensch werden kann, wo die Liebe Mensch werden kann;
- dass wir den Mut finden, in das Antlitz von Menschen zu schauen, sie groß machen und sie dadurch zum Leuchten bringen.


In diesem Sinn wünsche ich uns allen eine gesegnete und gute Weihnacht.

Diözesanbischof Benno Elbs