Predigt von Bischof Benno Elbs am Ostersonntag, 20. April 2014, im Dom von Feldkirch.

Eine meiner prägendsten Erfahrungen der letzten Wochen hatte ich bei einem Vortrag, den ich vor einem Kreis honoriger sozial engagierter Persönlichkeiten unseres Landes halten durfte zum Thema: Was ist denn eigentlich die Zukunft der Kirche, die Zukunft der Religion in einer modernen säkularen Gesellschaft? Am Ende meines Vortrages fragte mich ein Vater, was ich nun sagen würde – er hat Kinder im Alter von 16, 17 und 18 Jahren – warum sollen diese drei Kinder – seine Kinder – an Gott glauben? Warum sollen sie den Gottesdienst besuchen? Was würden Sie meinen Kindern sagen? Auf diese Frage war ich nicht gefasst. Sie hat mir im wahrsten Sinne des Wortes etwas die Sprache verschlagen. Und doch ist es die zentrale Frage nach dem WARUM unseres Glaubens.

Liebe Brüder und Schwestern!
Ich glaube, dass das Osterfest uns da etwas weiterhelfen kann. Was hat Ostern, was hat das Christentum der Welt gebracht in diesen 2000 Jahren, dass heute noch junge Menschen sagen können, da will ich dazugehören? Bevor man versucht ist, das Positive zu stark zu beleuchten, ist es redlich, mit einem Geständnis zu beginnen.

Es ist so – das Christentum hat auch viel Verwirrung und Leid in die Welt gebracht. Papst Johannes Paul II. hat das in seinem aufsehenerregenden Schuldbekenntnis am 12.März 2000 im Petersdom in berührenden Vergebungsbitten formuliert. Der Papst hat um Vergebung gebeten dafür, dass Christen in manchen Zeiten der Geschichte Methoden der Intoleranz zugelassen haben. Wenn wir vom Guten, vom Schönen des Glaubens reden, dann müssen wir es vor diesem Hintergrund sehr demütig und bescheiden tun.

1. Ostern gibt den Menschen seine Würde

Vergangene Woche habe ich den Film „Twelve Years A Slave“ angesehen. Der dreifach oskargekrönte Film über den Sklavenhandel und die Sklaverei im Amerika des 19. Jahrhunderts hat mich sehr bedrückt. Zwei Stunden lang Demütigung an Demütigung, Gewalt, Verzweiflung. Menschliche Seelen werden mit Füßen getreten von Ignoranten und sadistischen Großgrundbesitzern. In meinem Herzen machte sich das Gefühl breit, es kann doch nicht sein, dass Mörder endgültig über die Opfer siegen können. Ich glaube, Jesus Christus und der Gott Jesu Christi sind Anwalt der Opfer und die Kraft vollkommener Gerechtigkeit. Millionen Menschen werden täglich um ihr Leben betrogen durch Kriege, durch versklavende Systeme, durch Missbrauch, durch Hunger und Ignoranz.
Es wäre zynisch, den Menschen zu sagen, mit dem Tod ist alles zu Ende. Dann wären die Mörder und Täter fein heraus. Wer zieht sie zur Rechenschaft? Gibt es dann überhaupt die Würde des Menschen? Ich glaube, Ostern drängt uns Christen danach, Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferin gegen den Tod zu sein. Und das Sterben und die Auferstehung Jesu zeigen, dass Unrecht und Justizmord nicht das Letztgültige sind. Seit über zwei Jahrtausenden hören Menschen nicht auf, daran zu glauben und setzen sich ein für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, getragen von dieser Osterhoffnung, beschenkt mit den Osteraugen, um die Menschenrechte ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Jesus hat es zwar nicht persönlich so formuliert, aber der Artikel 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung vom 10.Dezember 1948 könnte sehr wohl aus dem Herzen des Auferstandenen kommen: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“. – Ostern, ein Fest der Menschenwürde.

2. Ostern ist ein Fest das uns sagt, dass das Leben trägt

Ich hatte während meiner Ausbildung als Psychotherapeut das Glück, Frau Dr. Elisabeth Lukas näher kennen zu lernen, eine Schülerin von Viktor Frankl. Sie meinte einmal in einer Vorlesung, dass jeder Mensch ein bisschen Sterben hinter sich hat. In vielen Situationen der Angst, der Panik, der Sorge im menschlichen Leben. Und sie hat eine Geschichte erzählt, die mich damals persönlich sehr betroffen gemacht hat, sie hat mich berührt, weil auch ich kein guter Schwimmer bin:

Ein junger Mann steht im Schwimmbad hoch oben auf einem 3 Meter hohen Sprungbrett, von dem seine Kameraden lachend ins Wasser hüpfen, und er bebt vor Angst. Nun wendet sich das Lachen seiner Kameraden gegen ihn, sie höhnen ihn, ein Feigling zu sein. Welche Möglichkeiten hat nun dieser junge Mann?

1. kann er die Stufen vom Sprungbrett wieder hinunterklettern. Er kann kapitulieren. Diese Erfahrung kenne ich persönlich auch. Aber erlöst ist er damit von seinen Ängsten nicht. Und der Spott der anderen wird hinter ihm her hallen.

2. kann er eine Weile hoch oben auf dem Sprungbrett verweilen, aber das Zögern oder Warten wird ihn nicht sicherer, sondern noch unsicherer machen. Vom Warten allein geht die Angst nicht weg, sie verstärkt sich eher.

3. kann er – und das ist der spannende Moment – mitsamt Angst und trotz Angst springen.
Und wenn wir überlegen, was dann passiert – er fällt ins Wasser. Es passiert genau das, was der Mensch befürchtet hat. Er geht unter. Er versinkt tief im Schlund des Wassers. Es ist, als ob er in das Reich des Todes – wenn wir jetzt an Ostern denken – hinabstiege. Aber dann geschieht etwas Überraschendes. Beinah ganz ohne sein Zutun hebt ihn das Wasser wieder hoch, trägt ihn an die Oberfläche, lehrt ihn, dass alles gut ist und dass er nichts mehr zu fürchten braucht, dass er fröhlich sein kann, wie seine Kameraden, und diese applaudieren ihm.
Diese Geschichte, die aus meinem persönlichen Leben sein könnte, lehrt uns, dass es etwas gibt, dass es selbst bei einem Fall ins Bodenlose etwas gibt, das uns Menschen hält und trägt und aufhebt und emporhebt. Und – liebe Freunde – das ist Ostern. Ostern ist die Erfahrung, dass das Leben letztendlich trägt. Wir brauchen wie dieser Mensch auf dem Sprungbrett einen Vorschuss an Mut. Wir brauchen einen Vorschuss an Vertrauen, wie Petrus, als er Jesus auf dem Wasser entgegen gegangen ist. Der Blick auf den auferstandenen Christus ist ein Blick, der unsere Seele mit Mut und Vertrauen füllt, weil wir spüren, das Leben trägt. Von leisen Erfahrungen von Auferstehung erzählt der Vorarlberger Schriftsteller Alexander Jehle in einem seiner Gedichte. Er überschreibt es „Trotzgedicht“:

Trotz aller Zweifel
trotz aller Angst
trotz aller Schmerzen
trotz aller Schuld
trotz aller Trauer
trotz aller Hoffnungslosigkeit
der Resignation trotzen
und dem Leben
mutig und scheu

zulächeln

So kann eine Erfahrung von Ostern aussehen.

3. Ostern heißt, die Liebe ist stärker als der Tod

Es war auch so zur Zeit der Jünger. Ein Leben nach dem Tod galt als möglich. Aber eine Botschaft, die so aus dem Rahmen fällt, das leere Grab. Die Frauen beim Grab und auch die Jünger machten eine emotionale Achterbahn durch. Angst, Emotion, Schrecken, Entsetzen, auch die Absicht, das Ganze zu verschweigen. Es ist so, wie es im Lukasevangelium 24,41 heißt: Sie konnten es vor Freude nicht glauben.

Unsicherheit und Freude waren die Gefühlszustände der Frauen, die die ersten Zeuginnen der Auferstehung Jesu waren. Manche versuchten dann, dieses Geheimnis klein zu reden, sie sagten: Ostern ist nichts anderes als die Trauerarbeit der enttäuschten Anhänger. Oder andere meinten, Jesus sei nur scheintot gewesen. Alle diese Gedanken, wenn man sie historisch und exegetisch betrachtet, sind absurd, haltlos.

Auferstehung, das muss nicht außergewöhnlich oder spektakulär sein: Ganz unscheinbare Zeichen nur: Ein leeres Grab. Ein stärkendes Wort auf dem Weg nach Emmaus. Brot, das geteilt wird. Eine leise Erfahrung: Gott ist mit uns.

In Ostern begegnen wir dem großen und entschiedenen „ABER“ Gottes gegen die größte Macht der Geschichte, gegen die Macht des Todes. Wir brauchen die Mystik des offenen Herzens, wir brauchen Osteraugen, um diese große Hoffnung in unserem Herzen tragen zu können. Aber diese Hoffnung ist es, die die Geschichte der Liebe geschrieben hat in den Herzen Milliarden von Menschen bis zum heutigen Tag. Der Philosoph Gabriel Marcel hat diese Haltung der Liebe angesichts des Todes, der jedem Menschen bevorsteht, so formuliert: „Einen Menschen lieben heißt sagen: Du wirst nicht sterben – und dies angesichts von Tod und Verwesung“. Ja, es ist so, Ostern ist die Botschaft, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Christus lebt. Halleluja.

Liebe Brüder und Schwestern!
So möchte ich uns allen wünschen, dass wir diese Ostererfahrungen machen dürfen.
Ostern ist das Fest, das dem Menschen – jedem Menschen – die Würde gibt, das Fest der Mystik, der offenen Herzen und Augen.
Ostern ist das Fest der Hoffnung, dass das Leben getragen ist, getragen durch Jesus Christus. Wir dürfen den Sprung des Lebens mit einem Vorschuss von Mut und Vertrauen wagen.
Ostern ist das Fest, das uns davon erzählt, dass Christus lebt, dass die Liebe stärker ist als jeder Tod. Christus verheißt uns diesen neuen Himmel und diese neue Erde.