Predigt von Bischof Benno Elbs am Hochfest der Geburt Christi, 25. Dezember 2016 im Dom St. Nikolaus, Feldkirch

Wir feiern heute das Fest der Geburt Christi, Weihnachten. Was ist das für eine besondere, geweihte, gesegnete Nacht?
Weihnachten ist für uns mit vielen besonderen Erfahrungen verbunden. Es gibt die Advents- und Weihnachtsmärkte, da ist das Suchen und Aussuchen von Geschenken, mit denen wir lieben Menschen, unseren Familien und Freunden, Freude bereiten wollen. Es ist eine Zeit, wo wir neu Brücken zueinander bauen, Kontakte wieder aufnehmen, Beziehungen pflegen. Es ist aber auch eine Zeit, in der Einsamkeit, Not und Sorgen besonders schmerzhaft erfahren werden. Zwei Gedanken möchte ich mit Ihnen heute teilen.

Weihnachten bringt uns mit der Sehnsucht unseres Lebens in Berührung. „Alles beginnt mit der Sehnsucht.“ So lautet der Titel eines bekannten Gedichtes der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs. Und so ist es auch: Die Gründung einer Familie, die Wahl eines Berufes, eine Initiative, die ich setze – politisch, menschlich –, immer ist da eine Sehnsucht, die mein Leben und mein Herz bewegt. Ähnlich drückt es auch Antoine de Saint-Exupéry aus: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

In der Sehnsucht begegnen wir der Lebendigkeit unseres Lebens, dem Kern unseres Seins. Wenn wir es in der Sichtweise der Bibel betrachten, die uns als Ebenbild Gottes bezeichnet, begegnen wir darin auch dem Göttlichen. Wir begegnen Bethlehem in unserem Leben. In dieser Sehnsucht erleben wir unser Begrenzt-Sein in unserer Widersprüchlichkeit. In meiner Sehnsucht spüre ich, wie nahe beieinander Lebensfreude und Lebensschmerz sind, wie sich Freude und Trauer oft die Hand geben. In meiner Sehnsucht erwacht der Traum einer Welt, die gerechter ist, die zärtlicher wird. In meiner Sehnsucht ertaste ich Gottes Spur in den Ereignissen meines Lebens. In meiner Sehnsucht steckt der Widerstand, nicht länger von falschen Erwartungen Unter Druck gesetzt zu werden und Manipulationen ausgesetzt zu sein. In meiner Sehnsucht schlummert die Kreativität, die Entfaltungsräume sucht. Weihnachten, liebe Schwestern und Brüder, bringt uns mit unserer Sehnsucht in Berührung. Darum lohnt es sich, einmal vor der Krippe niederzuknien und die Krippe im eigenen Herzen zu betrachten.

Das Zweite: Weihnachten möchte unser Herz zu einem Kraftwerk der Menschlichkeit machen.
Wir haben in den letzten Monaten gespürt, dass sich vieles in unserer Welt verändert. Terrorismus, gerade dieser Tage wieder in Berlin, Angst vor der Zukunft, die Sorge, wie wir mit der Flüchtlingsfrage umgehen können, all das sind Dinge, die uns bewegen. Papst Franziskus spricht vom Virus der Polarisierung und vom Virus der Ausgrenzung in unseren Gesellschaften. Die Welt funktioniert oft nach den Spielregeln von Macht und Gewalt, das konnten wir bei verschiedenen Wahlkämpfen in diesem Jahr beobachten.

Wenn wir dann vor der Krippe stehen, vor der Krippe unseres Herzens, dann merken wir, dass in diese Dunkelheit des Lebens, die wir alle kennen, ein Licht leuchtet. Ich denke da auch an viele Menschen aus unserem Land, die in sozialer Hinsicht sehr viel bewegt haben. Sie haben viele Lichter der Hoffnung angezündet, für Menschen mit einer Beeinträchtigung, für Bedürftige, für psychisch kranke Menschen.

Weihnachten heißt, nicht die Nacht der Hartherzigkeit und des Eigennutzens triumphiert, sondern die Menschlichkeit. Das neugeborene Kind in der Krippe, das uns alle froh macht und Freude schenkt, ist ein Zeichen dafür, dass das Leben neu beginnt, dass die Zukunft eine Chance hat, dass die Liebe stärker ist als alles, was zerstört. Entscheidend ist, dass wir uns anstecken lassen von dieser Zärtlichkeit Gottes, die aufrichtet.

Eine Erfahrung vor wenigen Tagen hat mich sehr berührt: Ein junger Mensch liegt im Sterben. Sein Bruder sitzt bei ihm am Sterbebett, schaut ihm liebevoll in die Augen und fährt ihm mit der Hand behutsam durch sein Haar. Diese Geste der Zärtlichkeit hat ein Lächeln, einen Hauch von Entspannung und Leichtigkeit auf das Gesicht des Sterbenden gezaubert. Man konnte spüren, dass er vertrauen konnte, dass er sich in dieser Atmosphäre des Respektes, der Menschlichkeit aufrichten konnte, dass seine Seele atmen konnte. Für mich ist dieses Erlebnis auch ein Bild von weihnachtlichem Atem. Es zeigt, wie in einer bedrückend schweren Situation Weihnachten wird durch eine kleine Geste der Liebe und menschlicher Nähe.

Dieses Weihnachten kann sich täglich ereignen, wenn wir uns bücken, wenn wir einem Menschen diese zärtliche Liebe Gottes weitergeben und so ein Lächeln der Freude und des Friedens auf sein Gesicht und in sein Herz zaubern. Dann macht uns dieses heutige Fest zu einem Kraftwerk der Menschlichkeit, der Solidarität und des Friedens, dann macht uns dieses Fest zu einer wärmenden Krippe.

Liebe Schwestern und Brüder, das wünsche ich uns an diesem Weihnachtsfest:
- dass wir persönlich mit unserer Sehnsucht neu in Berührung kommen und so diese tiefe Geborgenheit im Geheimnis Gottes spüren dürfen und
- dass wir Menschen sind, die durch den Blick in die Krippe und durch die Berührung mit dem Göttlichen in unserem Leben zu Kraftwerken der Menschlichkeit und des Friedens werden für diese Welt.

In diesem Sinne: Gott segne unser Weihnachten.