Gedanken von Bischof Benno Elbs zum Palmsonntag.

Endlich ist da einer, der Kranke heilt, der die Kleinen und Schwachen ernst nimmt. Er legt sich mit den Mächtigen an. Er weckt Hoffnung auf Freiheit und Leben. Das wird gefeiert mit einem Triumphzug. Massen säumen den Weg beim Einzug Jesu in Jerusalem. Jesus auf dem Höhepunkt seines öffentlichen Wirkens. So sehen Sieger aus. Alle jubeln ihm zu, er nimmt ein Bad in der Menge. 

So ruft es die Palmweihe am morgigen Palmsonntag in den Pfarreien landauf, landab in Erinnerung. Die Palmbuschen der Volksschulkinder, die vertrauten Lieder, Klänge der Blasmusik, wärmende Sonnenstrahlen und erstes sprießendes Grün versetzen in Hochstimmung beim Einzug in die Kirchen. Und schon gleich anschließend wird die Leidensgeschichte vorgetragen: Verrat, Gefangennahme, Prozess, Verurteilung, Kreuzweg, Tod.

Intensivstation des Lebens

Die Karwoche führt an den Nerv des Lebens. Es geht um Verletzung und Heilung, um Tod und Leben, um Halleluja und um „Kreuzige ihn“. Die Gegensätze menschlichen Lebens werden sichtbar. Die Erfahrungen der Hoffnung und Freude genauso wie die Stunden der Angst, der Verzweiflung. Die Karwoche ist wie eine Intensivstation des Lebens und damit auch eine Intensivstation des Glaubens.

Ein Fernsehbild ging mir durch Mark und Bein. Da saß eine palästinensische Mutter, auf dem Schoß ihr totes Kind. Ich sah das alte Gesicht einer jungen Frau, vom Leid gezeichnet und mit Augen, die fragend anklagen. Fassungslos, verzweifelt, leer. Die Frau. Und ich. Dieses Bild der Ohnmacht, das alles sagt. Es macht bewusst, was herauskommt, wenn Mächte regieren, die das Fühlen verlernt haben. Ein Bild, das zeigt, was herauskommt, wenn eigene Interessen mit nackter Gewalt durchgesetzt werden. Ein Bild, das sagt, was herauskommt, wenn im Kalkül der Politik, im Kalkül der Macht ein Menschenleben nichts mehr wert ist.

Ich muss auch an das schreckliche Sterben beim Flugzeugabsturz in den französischen Alpen denken. Unermesslich ist das Leid, das hier Einzelne und Familien tragen müssen, tief verletzt sind ihre Seelen.

Die Wunden der Menschen

In der Karwoche ist Platz und Zeit für die Wunden der Menschen. Es ist Platz und Zeit für den großen Gedanken des französischen Schriftstellers Paul Claudel: „Gott ist nicht gekommen, das Leid zu beseitigen, er ist nicht gekommen, es zu erklären, sondern er ist gekommen, es mit seiner Gegenwart zu erfüllen.“ Die Wunden der Menschen sind die Wunden Gottes. Hier liegt der Anfang aller menschlichen Hoffnung. Deshalb ist die Karwoche so wie ich sie verstehe für die Menschen in dieser Welt eine Hoffnungs-Woche. Eine Hoffnung, die davon erzählt, dass niemand aus der Hand Gottes verstoßen wird. Alles menschliche Fragen, Leiden, aber auch Hoffen und die Freude sinkt in die Hand Gottes, in die Geborgenheit des Lebendigen.