Die Predigt von Bischof Benno Elbs am 24./25. Dezember 2015 im Dom St. Nikolaus in Feldkirch.

Wir spüren es in diesen Tagen wieder, dass der Heilige Abend, die Weihnachtszeit das beliebteste Fest ist in Österreich. Kein anderes Fest kann mit ihm in dieser Hinsicht mithalten. Was ist aber das Besondere an Weihnachten? Es sind nicht nur die Geschenke, die Kinderherzen und auch die Herzen von Geschäftsinhabern höher schlagen lassen. Es sind nicht die Weihnachtsbeleuchtung, die Christbäume oder die Weihnachtsmärkte, die den Zauber dieses Festes ausmachen. Es ist nicht nur die Erinnerung an unsere Kindheit, die uns in diesen Tagen warm ums Herz macht. All das gehört dazu und wir freuen uns darüber. Und doch ist Weihnachten noch etwas ganz anderes. Man könnte vielleicht sagen: Weihnachten ist das Fest der Menschlichkeit, weil Gott selbst Mensch wird. Das Evangelium von der Geburt Jesu, das wir heute Abend und in diesen Tagen hören, bringt uns diesen Gedanken näher.

1. Die erste Szene dieses Weihnachtsevangeliums sagt: Die Welt ist so, wie sie ist.
Es wird eine Welt beschrieben, in der Menschen Macht ausüben, wo Menschen andere dazu zwingen können, ihre Heimat zu verlassen, wo Menschen auf der Flucht sind, wo sie unfreiwillig von zuhause weggehen müssen. Es wird die Hartherzigkeit von Menschen beschrieben, die einer schwangeren Frau die Herberge verweigern. Es wird die Gier eines mächtigen Kaisers zur Sprache gebracht, der noch mehr Geld von seinen Untertanen herauspressen möchte. Es werden ärmliche Umstände der Geburt in einem Stall beschrieben, bei der kein Arzt, keine Hebamme anwesend ist. Szenen, wo Menschen an den Rand gedrängt werden, wie heute. Szenen, wo Menschen das Lebensnotwendigste fehlt, wie heute. Szenen, wo Menschen auf der Flucht sind, vertrieben, wie heute. Szenen, wo Menschen Herberge suchen, die ihnen verweigert wird, wie heute. Ja, Weihnachten beschreibt eine Welt, wie sie ist – zur Zeit der Geburt Jesu wie heute.

2. In dieser Welt gibt es aber auch eine Botschaft, die hell ist und Hoffnung gibt.
Die Engel in der Weihnachtserzählung sprechen nicht von Gewalt und Macht und Herrschaft, sondern sie sprechen von Heil und Freude und Frieden. Ja, mitten in menschlichen Situationen wird es hell. Viele Weihnachtslegenden und Weihnachtsgeschichten sind im Laufe der Zeit entstanden. Immer wieder variiert das gleiche Thema. Ein Beispiel für viele andere ist die Erzählung „Die Heilige Nacht“ der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf:

Ein Mann geht in der Weihnachtsnacht hinaus in die Dunkelheit, um sich Feuer zu leihen. Er kommt zu einem Hirten, einem alten, mürrischen Mann, der unwirsch und hart gegen alle Menschen ist. Als er den Fremden kommen sieht, greift er nach seinem langen, spitzen Stab und wirft ihn nach ihm. Der Stab fährt zischend auf den Mann los, aber ehe er ihn trifft, weicht er zur Seite und saust, an ihm vorbei, weit über das Feld. Weitere ungewöhnliche Dinge passieren. Die zähnefletschenden Hunde beißen nicht zu, die sengende Glut verbrennt die Haut nicht. Es wird deutlich: In dieser Nacht triumphieren nicht Hartherzigkeit und Eigennutz der Menschen, in dieser Nacht triumphiert die Menschlichkeit. Es gibt in dieser Welt und es gibt heute diese starke Botschaft von Menschen, die im besten Sinne des Wortes leben, wie Gott sie gewollt hat. Ein neugeborenes Kind ist ein Zeichen dafür, dass das Leben neu beginnt, dass die Zukunft eine Chance hat, dass die Liebe stärker ist als alles, was zerstört.
„Und dies sei euch das Zeichen: ein Neugeborenes werdet ihr finden, das gewickelt ist und in einem Futtertrog liegt“ (Lk 2,12). Das ist Zeichen für Heil, Zeichen für Freude, Zeichen für Friede.

3. Es braucht Menschen, die hinhören und sich aufmachen.
Nicht jeder will oder kann das hören. Es ist schon eine kleine Zumutung zu glauben, dass durch ein kleines Kind die Welt verändert würde. Es sind Hirten, zwielichtiges Volk am Rande der Gesellschaft, sie durften den Tempel nicht betreten, aber sie erkennen, was passiert. Es ist schon eigenartig. In diesem so gänzlich unfrommen und so gar nicht ordentlichen Milieu leuchtet die Menschlichkeit Gottes auf. Versteckt, unscheinbar, sichtbar nur den Menschen am Rande des Weltgeschehens. Gott ist Mensch geworden – so könnte man sagen – im Versteck, inkognito. Und inkognito, unerkannt ist er auch seinen Weg gegangen in den ersten Monaten und Jahren seines Lebens. Die wenigsten haben etwas von diesem Wunder begriffen. Am ehesten noch die Armen, die Kleinen, mit denen er später als junger Mann feierte, aß und trank. Sie haben begriffen, dass es in der Welt, die nach den Spielregeln von Herrschaft, von Macht und Gewalt funktioniert noch eine andere Botschaft gibt, nämlich: Friede, Freude und Heil.

Es hat hier in Bethlehem schon begonnen. Gott kommt inkognito, unerkannt. Dort wo wir es am wenigsten vermuten, können wir ihm begegnen. Im Alltag, ganz gewöhnlich, ist er anwesend, als Mensch mit uns. Als Zeichen der Menschlichkeit.

4. Die Bedeutung für uns heute.
Wir spüren es in diesen Wochen, dass es viele Gründe gibt auf der Welt, Angst zu haben. Vieles ist unsicher in unserem persönlichen Leben: wirtschaftliche, soziale und politische Umbrüche, Sorgen, Leid, Krankheit, Terrorismus. Vieles bedroht uns, damals wie heute.
Und vielleicht genau deshalb heißt die Botschaft am Beginn des Lebens Jesu so überwältigend und klar: „Ängstet euch nicht!“ Und: „Friede den Menschen auf Erden.“ Das Fest der Menschlichkeit – Weihnachten – lässt in unseren Herzen auch ein wenig den Traum vom Paradies wiederkehren. Sehnsuchtsmomente füllen unser Herz. Eben diese Sehnsucht nach Heil, nach Freude, nach Friede.

Die Weihnachtstage werden vorübergehen und der Alltag wird uns wieder einholen. Der Stab, den hartherzige Menschen aufeinander werfen, wie es in der Weihnachtsgeschichte von Selma Lagerlöf geheißen hat, wird sein Ziel wieder treffen. Menschen werden wieder verletzt werden, gekränkt, im Innersten verwundet. Armut wird wieder sichtbar werden unter uns und doch: der Traum einer menschlichen Welt hält uns in Atem, lässt uns nicht unberührt. Der Traum dieses Festes der Menschlichkeit möge uns immer wieder wachrütteln, wenn wir in alte Geleise und ungute Gewohnheiten zurückfallen. Die Sehnsucht dieses Festes möge unser Herz füllen, möge unserem Herzen Menschlichkeit einprägen.

Liebe Schwestern und Brüder,
in diese Welt, so wie wir sie täglich erleben, kommt dieses Zeichen, dass es auch etwas Anderes und Helles und Freundliches gibt. Das bringt Menschen in Bewegung, die sich aufmachen und hinhören auf diese große Botschaft, dass Frieden sein möge und Freude und Heil. Dann sind wir unterwegs auf diesem weihnachtlichen Weg der Menschlichkeit und dann hören wir dieses Wort des Engels, dieses geheimnisvollen Boten Gottes, der zu den Hirten sagt: „Ich verkündige euch große Freude, die in allem Volk wiederfahren wird: denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids… Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.“
Gott segne uns mit dieser seiner Menschlichkeit.

Bischof Benno Elbs