Hirtenbrief zur Vorbereitung auf Ostern 2014

Liebe Schwestern und Brüder!

Von Versuchungen berichtet uns das Evangelium am heutigen ersten Fastensonntag. Von drei Versuchungen ist da die Rede, denen Jesus begegnet: aus Steinen Brot zu machen, sich mit übermenschlichen Wundern grandios zu präsentieren, grenzenlose Macht zu erlangen. Es sind die Versuchungen nach Reichtum, nach Anerkennung und nach Macht. „Wenn du Gottes Sohn bist…“, so flüstert der Versucher. Drei Mal diese Versuchung zur Überheblichkeit, die Versuchung, selber die Geschicke zu lenken, selber den Erfolg einzuheimsen, selber zu sein wie Gott.

Wie aber sieht Jesu Reaktion aus, die in der Zeit der Stille in der Wüste gewachsen ist? – Nicht die eigene Größe und Machtdemonstration zählen für ihn, nicht noch so verlockende Versprechungen. Das Vertrauen auf Gott ist es, das im Letzten allein den Hunger unseres Herzens zu stillen vermag. Wie es auch der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief ausdrückt: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.“ (2 Kor. 12,9).

Jesus lässt aufhorchen bis heute: Das Wesentliche liegt im schlichten Vertrauen des Glaubens, dass Gott seine Liebe schenkt.
Neben dieser Versuchung zur Überheblichkeit gibt es heute noch eine ganz andere Versuchung – die Versuchung zur Mutlosigkeit. Bedrückende  Arbeitslosigkeit, Korruption und Finanzskandale, rücksichtslose Ausbeutung der Bodenschätze – Stichwort Fracking –, Kriege in Syrien, in Zentralafrika, Hunger und Armut, Flüchtlingselend, Klimawandel und Umweltkatastrophen…  Die Medien sind täglich voll von Schreckensmeldungen. Die Kreuzwege im Jahr 2014 haben viele Gesichter.
Viele resignieren, sind mutlos und sagen: Da kann man eh nichts tun. Und schauen weg oder stürzen sich in Ablenkung. Die Versuchung zur Mutlosigkeit liegt oft wie ein Nebel auf vielen Situationen unseres Lebens.

Doch: Fastenzeit ist Wendezeit
Die Fastenzeit ist eine Einladung, sich der eigenen Anfälligkeit für die Versuchungen zu stellen. Eine Zeit für Wüstenerfahrungen, für Stille, zum Innehalten, um Zwischenbilanz zu ziehen, um den Blick auf das Wesentliche zu richten, um achtsam zu werden: Was tut mir gut? Was tut meinen Mitmenschen gut? Was heißt das für mein Leben: Gott schenkt mir seine Liebe?

Fasten bezieht sich nicht nur auf das Essen, sondern auf den gesamten Lebensstil. Wo können wir vereinfachen und entrümpeln? Fasten – das kann sein wie ein Frühjahrsputz für die Seele, damit wir uns im Haus unserer Seele wieder wohl fühlen. Indem wir Gewohnheiten aufspüren, die sich eingeschlichen haben, die das Klima in unseren Herzen vergiften. Eine andere Sichtweise einüben und unser Leben von Gott her sehen und nicht mehr durch die Brille unserer Verletzungen, Enttäuschungen und Eitelkeiten. Fasten kann die Augen unseres Herzens öffnen. Es hilft, die wirklichen Schätze unseres Lebens wieder zu sehen.

Kreuzwege werden zu Osterwegen
Mit den Augen unseres Herzens nehmen wir auch die Kreuzwege von heute wahr – in unserem Leben und in der Welt. In der Kirche der Gemeinschaft Sant’Egidio in Rom sind weit über hundert ganz unterschiedlich gestaltete Kreuze aus allen Erdteilen aufgestellt. In Rom und an vielen Orten weltweit teilen Mitglieder von Sant’Egidio das Leben mit den Armen. Diese Kreuze erinnern an viele Kreuzwege der Menschheit. Vor allem erinnern sie daran: Gott trägt alle unsere Kreuze mit. Er ist nicht gekommen, die Kreuze von der Erde zu verbannen. Jesus geht alle Kreuzwege mit, das ist unsere tiefste Hoffnung. In seinem Weg nach Golgota ist er solidarisch mit den manchmal schweren Pfaden menschlichen Lebens. „Der Herr wischt die Tränen ab von jedem Gesicht“, sagt der Prophet Jesaja (Kap. 25). Das lässt Kreuzwege zu Oster-Wegen werden. Hoffnung und Mut leuchten auf.

Unsere Pfarren bieten in der Fastenzeit eine ganze Reihe von Anregungen an, dass wir die Augen unseres Herzens öffnen. Zuallererst in den Gottesdiensten von Aschermittwoch bis Karsamstag. Wie schon in den vergangenen Jahren gibt es auch wieder die Einladung zum Innehalten, Stillhalten, Durchhalten unter dem Motto „Halt amol“. Eine alternative Fastenaktion unter dem Titel „40 Tage ohne Kompromiss“ macht Vorschläge, Neues auszuprobieren (viele weitere Impulse finden sich auf der Homepage der Katholischen Kirche Vorarlberg).  Vielleicht ist auch der Zeitpunkt für einen Neuanfang im Sakrament der Versöhnung oder für Exerzitien im Alltag. Hier können Wunden in unserer Seele heilen.

Untrennbar zum Fasten gehören auch Werke der Nächstenliebe. „Gemeinsam mit Gott sollen wir den Schrei der Armen hören“, erinnert uns Papst Franziskus. Möglichkeiten, Lebenschancen zu teilen, gibt es viele.

Wie zum Kreuz zwei Balken gehören, so gehören zu einem zeitgemäßen Fasten zwei Dimensionen – die vertikale und die horizontale: das Vertrauen auf Gott, die Freude am Evangelium und das entschiedene Handeln für den Menschen. So dürfen wir auch in allem Dunkel, im Leid, in der Versuchung zur Mutlosigkeit darauf vertrauen: Wir gehen auf das Licht von Ostern zu.

Von Herzen wünsche ich uns in diesen heiligen 40 Tagen, dass Gott unsere Wege und Neuanfänge mit Freude segnet.

Benno Elbs
Diözesanbischof