Gedanken zum Sonntag, 12. Dezember 2015, von Bischof Benno Elbs

Rücksichtslos und unbarmherzig tickt unsere Welt. Den Reichen, Schönen, Schnellen, Starken, Lauten fliegt der Erfolg zu. Wer da nicht mithält oder nicht mitkommt – Pech gehabt. „Geiz ist geil“, „unterm Strich zähl ich“, wir leben in einem Zeitalter des Narzissmus. Wo man hinschaut Selfies, die mich selbst in den Mittelpunkt stellen.

Viele Menschen sind heute in einem gewissen Sinne ausgesperrt. Sie sind einsam, sie dürfen nicht dabei sein: Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Menschen mit Behinderung, junge Mütter, die mit ihrem Kind ohne Rückhalt eines Partners oder der Familie zurande kommen müssen, die Ungeborenen, viele alte und kranke Menschen, die irgendwo das Gefühl haben, nicht dazugehören zu dürfen, Asylsuchende, ganze Länder und Kontinente sind ausgegrenzt.
In diese kalte Wirklichkeit hinein kann das „Jahr der Barmherzigkeit“, das Papst Franziskus am 8. Dezember eröffnet hat, aufatmen lassen. Er redet lieber von der Zärtlichkeit als von der Barmherzigkeit, sagt der Papst, von Zärtlichkeit eben, die einer Mutter zu eigen ist, von der Zärtlichkeit Gottes. Wie eine kleine „Revolution der Zärtlichkeit“, erlebe ich es, wenn der eineinhalbjährige Aaron in der Wohngemeinschaft Mutter und Kind im Haus St. Michael bereitwillig seinen Lieblingskeks mit mir teilt. Kinderaugen handeln mit der Vernunft des Herzens.

Weg zur Versöhnung
Wieviel Schuld, Verletzungen, Versagen, enttäuschte Erwartungen belasten die Beziehungen zwischen den Menschen, die Beziehung zu mir selbst und auch zu Gott, meinem letzten Ziel. Da ist das Jahr der Barmherzigkeit eine Einladung, unsere Welt wieder einmal in Ordnung zu bringen, Versöhnung zu suchen, Frieden zu suchen, Brücken zu bauen.

Gott wird nicht müde, die Tür seines Herzens offen zu halten
Das ist mit dem Sakrament der Versöhnung, der Beichte gemeint: Gott verhält sich wie eine zärtliche Mutter oder ein verständnisvoller Vater, die ihrem Kind zu verstehen geben: Da ist nichts, worüber wir nicht reden können. Da gibt es nichts, was dir nicht vergeben wird. Und es ist die Erfahrung unseres Lebens, dass wir das Wort, das uns hilft, uns nicht selber sagen können. Wir sind darauf angewiesen, dass Menschen zu uns sagen: Ich vertraue dir. Ich liebe dich. Ich schätze dich. Das gibt unserem Leben Sinn und Farbe. Und wir sind angewiesen darauf, dass Menschen uns sagen: Deine Schuld ist dir vergeben, ich verzeihe dir. Und letztendlich ist es Gott, der uns das sagt im Sakrament. Die Beichte ist für mich so etwas wie ein „geistlicher Reset-Knopf“, der uns hilft, einen Neuanfang zu suchen und zu wagen.

Und auch wir als Kirche müssen um Vergebung bitten.
Die Kirche als Ganzes ist angewiesen auf diese Barmherzigkeit Gottes. Allzu oft wurden vielleicht in gut gemeintem pastoralem Eifer Menschen verletzt. Ich denke zum Beispiel an ledige Mütter, an ledige Kinder. Bei der Familiensynode wollten viele Synodenväter diese Bitte um Versöhnung unterstreichen. Denn Versöhnung und Barmherzigkeit schenken kann nur jemand, der weiß, dass auch er selbst dieser Versöhnung und Barmherzigkeit bedarf.

Eine Tür in den Raum des Friedens
Die Heilige Pforte, die an diesem Sonntag nicht nur in Rom, sondern auch an vielen Orten eröffnet wird, auch im Dom in Feldkirch, in Bludenz-St. Peter, in Vens und in Schoppernau, ist ein Symbol für diese Wiederherstellung des inneren Friedens. Es ist ein „Tor der Gerechtigkeit“ (Psalm 118,19).
Selbst die Türen der Gefängniszellen hat Papst Franziskus im Heiligen Jahr zu „Heiligen Pforten“ erklärt. Menschen leben dort, die Schuld auf sich geladen haben und die als Gefangene nicht die Möglichkeit haben, eine Heilige Pforte zu besuchen. Der Papst ermutigt sie aber, immer dann, wenn sie durch die Türe ihrer Zelle gehen, innerlich umzukehren und sich erneut dem Guten, der Versöhnung zuzuwenden. Und so wird auch die Türe einer Gefängniszelle zu einer Pforte der Umkehr, der Hoffnung und des Neuanfangs, wenn Menschen diese innere Umkehr versuchen.

Von Herzen wünsche ich Ihnen in diesem Jahr der Barmherzigkeit die Erfahrung einer „Revolution der Zärtlichkeit“.

Bischof Benno Elbs