Begriffe wie „Erbsünde“ oder „letztes Gericht“ kommen heute kaum mehr vor. Zu viel Angst haben sie jahrhundertelang verbreitet. Der Theologe Fulbert Steffensky wagte sich im Bildungshaus St. Arbogast dennoch an diese Themen, eröffnete neue Sichtweisen und rettete sie damit in die Gegenwart.

Das Bild rechts stammt aus der Kirche in Hittisau, entstanden ist es im Jahr 1941, gemalt wurde es von Waldemar Kolmsperger. Auf dem Bild sind Frauen in Wälder-Tracht zu sehen.

Patricia Begle

Fulbert Steffensky„Tradition bedeutet immer Neu-Interpretation. Wer nur zitiert, verrät die Tradition.“ Mit dieser Prämisse beginnt Fulbert Steffensky seine Ausführungen. Rund 30 Frauen und Männer folgen ihm gespannt, bringen ihre persönlichen Erfahrungen ein und stellen Fragen. Es geht darum, „durch Formen und Formulierungen hindurch den Geist der Sache zu entdecken.“

Vergangenheit. Im Umgang mit traditionellen Glaubenslehren gibt es für Steffensky ein klares Kriterium: „Stärken oder verraten sie die Würde des Menschen und die Größe Gottes?“ Wird die Geschichte des Sündenbegriffs auf diese Frage hin untersucht, so macht das Ergebnis betroffen. Über Generationen hinweg wurden Menschen klein gehalten. Sünde wurde vielfach an Sexualität gekoppelt, manchmal sogar ausschließlich. So erzählt der Theologe von einer älteren Dame, die verlegen meinte: „Man hat ja nichts mehr zu beichten.“

Sünde. Der Blick in die Bibel gewährt einen völlig anderen Zugang zur Sünde. Hier wird von David erzählt, der von Nathan auf seine Sünde, den Ehebruch verwiesen wird. David weicht diesem Urteil nicht aus, „er hat die Größe, das Gesicht zu verlieren“. Und hier ist der Punkt, der das Verständnis von Sünde völlig verändert. Zur eigenen Schuld zu stehen hat mit Würde zu tun. Wer sich vor der eigenen Schuld versteckt oder diese abschiebt, „spricht sich die Würde ab, handlungsfähig gewesen zu sein“.

Reue. David kann auch deshalb sein Gesicht verlieren, weil Gott ein „geängstigtes Herz nicht verachtet“, weil Gott vergibt. Das heißt nicht, dass er uns von den Konsequenzen unseres Handelns befreit und wir kommen auch Schmerz und Trauer nicht aus. Aber: wir haben „das Recht, ein anderer zu werden“, zitiert Steffensky seine verstorbene Frau Dorothee Sölle. In dieser Erkenntnis liegt etwas sehr Befreiendes, hier kann das Wort „Reue“ angesiedelt werden.

Konkret. Steffensky warnt auch davor, den Sündenbegriff zu abstrahieren. Das diffuse Gefühl "wir sind allzumal Sünder", das lange Zeit bestimmend war, verdeckt die konkrete Schuld. Ein unverbindliches Sündebewusstsein schützt vor Bekehrung. Insofern geht es darum, an die konkrete Sünde, an die Tat zu denken und nicht an die Sündhaftigkeit.

Benennen. Energisch fordert der Theologe auf, die Sünde anderer zu benennen. Er führt das Beispiel eines Millionärs an, der sich eine Yacht um mehrere Millionen Euro bauen lässt. "Ich will ihn einen Gauner nennen, weil er das Gut der Armen raubt", erklärt er. Damit macht er deutlich, dass Sünde nicht bei bloßer Innerlichkeit stehen bleiben darf. Es geht immer auch um das Jetzt, das ganz konkrete. Und "jeder theologische Gedanke muss praxis werden, sonst wird er faul".

Erbsünde. Im Begriff „Erbsünde“ findet Steffensky zwei Erfahrungen. Einmal sieht er ihn im Zusammenhang mit jener Sündhaftigkeit, „die vor meiner Verantwortung steht“. Denn „wir leben immer schon in sündigen, gebrochenen Zusammenhängen. Ehe mich meine Mutter geboren hat, bin ich schon verwickelt.“ Zum zweiten verweist er auf das Wort „Verstockung“.  Es umschreibt jene Umstände, deren Sündhaftigkeit für uns unsichtbar ist. Der weltweite Waffenhandel ist ein Beispiel dafür.  „Unsichtbar macht sich die Dummheit indem sie Größe annimmt“, bringt es ein Zitat von Bert Brecht auf den Punkt. Steffensky spricht von der „Schuld, kein Gewissen zu haben“.

Letztes Gericht.
Sogar hinter dem „letzten Gericht“ entdeckt der Theologe das menschliche Geheimnis und den Geist, der stärkt. „Wir haben als Menschen das Recht, einmal unverhüllt vor dem Antlitz Gottes zu stehen und uns selbst zu erkennen, was wir sind und was wir waren.“ Das bedeutet einerseits Pein, denn die Erkenntnis unseres Ungenügens, unseres Lebensverrats und unserer Bosheit schmerzt. Gleichzeitig sind die Augen Gottes jene, die uns kennen und erkennen, in ihnen können wir uns bergen. So steht neben der Pein der Lebenstrost.
„Gericht“ hat außerdem etwas mit „Unterbrechung“ zu tun. Unterbrochen werden jene Zustände, die jetzt nach Gerechtigkeit schreien. „Einmal wird es anders sein.“ Dies ist mehr als eine Sehnsucht, es ist ein Versprechen.

Sühneopfer Christi. Die Auslegung des Todes Jesu als Sühneopfer war lange Zeit die vorherrschende Theologie. Warum sich diese Interpretation so lange gehalten hat, lässt sich schwer erklären. Ein Grund dafür liegt darin, dass das Gottesbild immer auch mit den äußeren Lebensumständen verknüpft war. Waren die Zeiten karg, war auch das Gottesbild ein karges. Lebten die Menschen in ständiger Angst, war auch das Gottesbild mit Ängsten behaftet. Dennoch stellt sich die Frage: Kann ein Tod dem Leben dienen? Denn kein Tod ist gut, der menschen gewaltsam aufgepresst wird.

Steffensky deutet den Tod Christi als Folge seiner Barmherzigkeit. "Wer barmherzig ist, kommt nicht ungeschoren davon. Es gibt keine Liebe ohne Schmerz und keine Güte ohne Opfer." Für den Menschen bedeutet dies, dass "Gott in unsere Endlichkeit gefallen ist und sich nicht aus unserem Tode vertreiben lässt". So können ChristInnen vertrauensvoll singen, "dass sie im Tod getragen sind".

Heute. Im Gespräch wurde klar, dass diese Fragen die jüngere Generation anders betreffen. Überhaupt hat jede Generation ihre Fragen und Aufgaben. Während es in den 60er und 70er Jahren darum ging, sich von Autoritäten und Grenzen zu befreien, geht es heute vielmehr darum, mit wem ich Grenzen aushandle. Gewissen wird im Gespräch gebildet, und die Tradition ist hier eine wichtige Stimme, die Bibel eine alte Lehrerin.
Ging es früher um die Frage "Wie werde ich ich?" stellt sie sich heute als "Wie werde ich mehr als ich?"

Zugang. Die Begegnung mit Fulbert Steffensky war der Beginn einer neuen Reihe, mit der das Bildungshaus St. Arbogast zum Gespräch mit theologisch erfahrenen Menschen einladen möchte. Dadurch sollen neue Zugänge zu theologisch-spirituellen Themen ermöglicht werden - ein Ziel, das mit der ersten Begegnung erreicht wurde.

Fulbert Steffensky sprach am Vorabend zum Thema „Gnade“. Diesen Vortrag finden Sie rechts unter "Links und Dateien" zum Nachhören.